Engagement:"Angst habe ich ausgeblendet"

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Der Schauspieler Thomas Darchinger hat einen Hilfskonvoi in die Ukraine begleitet. (Foto: privat)

Schauspieler Thomas Darchinger hat einen Hilfskonvoi in die Ukraine begleitet. Eine Reise, die zu den intensivsten Erfahrungen seines Lebens gehört, wie er sagt. Ein Gespräch über Raketenalarme, Albträume, Schmerz und Dankbarkeit.

Interview von Carolin Fries, Herrsching

Thomas Darchinger gibt gerne den Bösewicht. Doch privat ist der 60 Jahre alte Schauspieler, der in Herrsching aufgewachsen ist, alles andere als böse. Der Adolf-Grimme-Preisträger tourt derzeit mit einer Demokratiekampagne durch Deutschland und liest aus der Autobiografie des Holocaust-Überlebenden Solly Ganor vor. Vergangene Woche hat er einen Hilfskonvoi in die Ukraine begleitet, organisiert wurde das Projekt vom Verein Bamberg.UA. Sonntagmittag kam Darchinger zurück - und musste gleich weiter zu einem Auftritt. Entsprechend müde klingt er tags drauf am Telefon - doch die Erinnerungen rütteln ihn schnell wach.

SZ: Fünf intensive Tage liegen hinter Ihnen. Wie fühlen Sie sich nach dieser Reise?

Thomas Darchinger: Erschöpft, aber sehr erfüllt und tief bewegt. Es ist nicht so leicht, hier gleich wieder zum Alltag überzugehen. Erfüllt, weil die Hilfe, die wir gebracht haben, sehr viel gute Dienste leisten wird. Tief bewegt, weil wir sie in eine Situation gebracht haben, die man nicht so ohne Weiteres greifen und verarbeiten kann. Ich hatte in der Ukraine auch mal eine Nacht mit Albträumen.

Sie fuhren mehrere Krankenwagen voll beladen mit Medikamenten und medizinischem Material nach Lwiw im Westen der Ukraine. Wie lief das ab?

Die Initiative kommt von Rüdiger Linhof von den "Sportfreunden Stiller". Er hat mir vor ein paar Wochen erzählt, dass er wieder einen Hilfskonvoi vorbereitet, und gefragt, ob ich mitkommen will. Über Spendengelder konnten sechs Krankenwagen gekauft werden, ein Unimog und ein Regionalbus, der zu einer mobilen Krankenstation mit zehn Betten umgebaut wurde. Was es mit dem Unimog auf sich hatte, war mir anfangs nicht klar. Wir haben die Krankenwagen gefahren, immer in Zweier-Teams, sodass man sich abwechseln konnte beim Fahren. Vormittags ging es in Nürnberg los und über Polen in die Ukraine, wo wir am nächsten Morgen um sieben Uhr ankamen. Auffällig war, dass schon die Grenzbeamten wahnsinnig freundlich waren. Ein erster Eindruck, der sich die folgenden Tage ständig bestätigen sollte.

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Wie ging es weiter?

Vor dem Rathaus haben wir die Krankenwagen an die Empfänger übergeben. Es waren dazu extra Soldaten von der Front nach Lwiw gekommen und jemand vom Krankenhaus in Cherson. Die Dankbarkeit war unfassbar groß. Man hat uns auch vertrauensvoll viele Dinge gezeigt, damit wir ein noch besseres Gespür für die Situation bekommen. Erst bei der Übergabe wurde mir klar, welch extrem wichtige Rolle der Unimog spielt, weil mit dem geländegängigen Fahrzeug verwundete Soldaten auf dem Schlachtfeld schnell abtransportiert werden können. Bis jetzt haben Kameraden die schwer Verwundeten oft über viele hundert Meter unter Beschuss schleppen müssen. Mit dem Krankenhaus-Bus und den Krankenwagen steht nun direkt an der Front eine mobile Krankenversorgung bereit. Der letzte Krankenwagen, den Rüdiger Linhof überführte, hat 400 Tage überlebt und pro Tag drei bis fünf Menschenleben gerettet. Dann haben ihn die Russen zerschossen.

Die Helfer des Vereins Bamberg.UA bei der Übergabe der Krankenwagen vor dem Rathaus in Lwiw. (Foto: Thomas Darchinger)
Die sechs Rettungsfahrzeuge werden an der Front dringend benötigt. (Foto: Thomas Darchinger)

Krankenwagen werden beschossen?

Ja, die Russen schießen auf Krankenwagen und auch auf die medizinischen Helfer - das rote Kreuz auf den Helmen dient den russischen Soldaten gerne als Zielscheibe. Besonders beliebt sind bei den Ukrainern britische Spenden-Krankenwagen, in denen der Fahrer auf der rechten Seite sitzt. Die Russen zielen auf die vermeintliche Fahrerseite und schießen in dem Fall vorbei. Die Russen versuchen mit wirklich barbarischen Mitteln die Ukrainer in ihrem Freiheitskampf zu demoralisieren und zu schwächen. So sind die russischen Tretminen extra so gebaut, dass sie nicht töten, sondern verletzen. Einfach aus der perfiden Taktik heraus, dass verwundete Soldaten für den Feind mehr Aufwand bedeuten als tote Soldaten und die Armee dadurch geschwächt wird. In Lwiw haben wir ein Krankenhaus besucht, in dem die verwundeten Soldaten operiert werden, meistens sind es Amputationen. Dort machen die Soldaten auch eine Reha und Traumatherapie und lernen, mit ihrer Behinderung ein möglichst normales Leben zu führen. Auch ein Gräberfeld haben wir besucht, da wurde der bestehende Friedhof einfach um den Parkplatz erweitert. Der ganze Parkplatz ist inzwischen ein Meer aus Gräbern, auf denen ukrainische Fahnen wehen. Dort zu stehen und die Fotos der Toten zu sehen - zarte, junge Männer - und die trauernden Eltern und Witwen zu erleben: Das war wie ein Schlag ins Gesicht.

Der Friedhof wurde um den Parkplatz erweitert. (Foto: Thomas Darchinger)
Auf den Gräbern der gefallenen Soldaten wehen ukrainische Fahnen im Wind. (Foto: Thomas Darchinger)
Viele der Gefallenen sind junge Männer. (Foto: Thomas Darchinger)

Die Front im Osten verläuft mehrere hundert Kilometer entfernt von Lwiw. Wie ist der Krieg in der Stadt zu spüren?

Die Menschen versuchen natürlich, soweit es möglich ist, ein normales Leben zu führen. Sie arbeiten, um die Wirtschaft des Landes aufrecht zu halten und haben angefangen, sich unabhängiger zu machen und viele Dinge selbst zu produzieren. Ganz viel vom herrschenden Mangel kompensiert die Bevölkerung durch einen unglaublichen Erfindungsreichtum. Wir haben auch Zutritt zu Orten gehabt, die höheren Sicherheitsstufen unterliegen, weshalb ich davon nicht erzählen kann. Bei all dem Schmerz, der in unfassbarer Dimension vorhanden ist, ist aber immer auch ein unbändiger Wille zu spüren, diesen Kampf weiterzuführen. Die Menschen wollen die Freiheit für die Ukraine verteidigen sowie für Europa. Das haben sie immer wieder betont: Die Russen würden nicht an der ukrainischen Grenze Halt machen, sollten sie dort Erfolg haben.

Wird auch Lwiw angegriffen?

Verglichen mit dem Osten ist Lwiw eine sehr friedliche Stadt, und trotzdem ist der Krieg überall. Immer mal wieder gibt es einen Raketenalarm, die Leute reagieren kaum noch darauf. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, sich zu schützen. Das liegt auch daran, dass es manchmal nur 90 Sekunden vom Alarm dauert, bis die Rakete einschlägt. Deshalb halten sich Menschen an die Zwei-Wände-Regel: Bring möglichst zwei Wände zwischen dich und die Rakete. In der Ukraine liegen die Bäder meist in der Mitte des Hauses, weshalb die Menschen bei Raketenalarm meistens in den Badezimmern ausharren.

Wo haben Sie geschlafen?

Die Stadtverwaltung hat uns in einem Hotel untergebracht. Tagsüber hatten wir volles Programm, abends sind wir gemeinsam Essen gegangen, immer wieder auch mit Soldaten. Bis zur Sperrstunde: Um zehn Uhr schließen die Lokale, um Mitternacht muss man im Haus sein. Ich habe immer wieder länger mit Soldaten gesprochen. Wenn man einem Mann in die Augen schaut, der gerade auf Fronturlaub bei seiner dreijährigen Tochter, dem siebenjährigen Sohn und seiner Frau ist und in wenigen Tagen zurück nach Bachmut muss, dann reicht ein Blick in die Augen, was für eine unfassbare Belastung es ist, ständig mit dem Tod konfrontiert zu sein.

Haben Sie mit den Männern über die Erlebnisse an der Front gesprochen?

Das ist gar nicht so einfach, weil ich nicht wusste, ob und wie ich das ansprechen soll. Der Soldat sagte mir dann, dass es für ihn sehr wichtig sei, darüber zu sprechen - allerdings nicht mit Zivilisten, sondern nur mit Kameraden. Zivilisten seien schnell überfordert von den Erzählungen.

So sieht der improvisierte Luftschutzkeller im Krankenhaus "Unbroken. National Rehabilitation Centre" aus, in dem es auch einen OP-Saal gibt. (Foto: Thomas Darchinger)

Das klingt sehr bewegend.

Ja, weil man den Schrecken des Krieges so unmittelbar gespürt hat. Den spürt man aber auch, wenn ein Mann erzählt, dass seine Tochter, die als Krankenschwester an der Front gearbeitet hat, mit gerade einmal 24 Jahren gestorben ist. Oder wenn man mit Ärzten im Krankenhaus redet, die mit unglaublicher Kraft und Einfallsreichtum eine Unmenge an Fällen bewältigen. Diese Reise war sicher eine der intensivsten Erfahrungen in meinem Leben.

Sie wohnten im Hotel und man zeigte Ihnen die Stadt. Kamen Sie sich manchmal wie ein Tourist vor?

Nein. Ich hatte da zwar vorher ein wenig Bedenken, aber die Verbindung zu den Menschen war so intensiv, dass mir diese Bedenken sofort genommen wurden. Und so sicher war es dann doch nicht. Es schlugen ja durchaus Raketen in der Stadt ein. Wir haben uns auch nicht sonderlich sicher gefühlt, weil wir ja wussten, dass die Russen genau solche Hilfsgüter wie Krankenwagen durchaus als Ziel sehen.

Hatten Sie Angst?

Wir haben Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und zum Beispiel die Ortungsdienste auf unseren Mobiltelefonen ausgeschaltet. Angst habe ich von Beginn der Reise an ausgeblendet.

Sie haben anfangs von einem Albtraum erzählt, den Sie während ihres Aufenthalts hatten. Was haben Sie geträumt?

Ich kann ihn gar nicht mehr genau wiedergeben, aber es war ein permanentes entsetzliches Sterben in diesem Traum. Es war wie in einem wilden Gemälde von Rubens, eine Überflutung von Sterben und Tod.

Würden Sie noch einmal hinfahren?

Unbedingt. Das Ziel ist, dass wir jetzt wieder Spenden sammeln und im Sommer den nächsten Konvoi hinfahren. Bis dahin gilt es, nicht müde zu werden, die Ukraine zu unterstützen. Wir dürfen uns nicht von der russischen Propaganda beeinflussen zu lassen und müssen verstehen, was für eine enorme Bedrohung von Russland ausgeht - auch für uns.

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