Regionale Landwirtschaft:Wenn die Kuh das Klima retten soll

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Ein Rind: ökologischer Sündenfall oder vielleicht sogar gut für die Umwelt? (Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Um den Klimawandel aufzuhalten, muss Rindfleisch verzehrt werden: Diese These vertritt der Agraringenieur Ulrich Mück. Auf dem Landwirtschaftstag des Starnberger Bund Naturschutz erntete er dafür gleichermaßen Verwunderung wie Begeisterung.

Von Tim Graser, Herrsching

"Wir haben ein Problem", konstatiert Ulrich Mück. "Die vegetarische Ernährungsweise in Deutschland hat dazu geführt, dass der Rindfleischverzehr seit 1960 um 45 Prozent abgenommen hat." Wenn das mit der Rettung der Umwelt noch was werden soll, müssten endlich mehr Steaks gegessen und mehr Rindfleisch konsumiert werden, sagt der Agraringenieur. Aber Moment mal: Steaks, Burger und Hackbraten essen für das Klima, im Ernst? Ganz genau, meint Ulrich Mück und präzisiert. Biodiversität, Grünlanderhalt - vor allem dafür brauche man die gemütlichen Vierbeiner auf den Weiden und, damit das alles wirtschaftlich bleibt, später auch auf dem Teller.

Nicht wenige staunten am vergangenen Wochenende über das, was Ulrich Mück da im Herrschinger Ortsteil Wartaweil auf der Bühne erzählte. Die Starnberger Kreisgruppe des Bund Naturschutz (Bund) hatte zum mittlerweile fünften Landwirtschaftstag geladen. Es sprachen unter anderem Biobauern, ein Klimaforscher der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und eben der Agraringenieur Ulrich Mück, der dort mit vermeintlichen Gewissheiten brach.

Dass Rindfleisch "ein großes CO₂-Thema" ist, wie Moderator Harald Ulmer feststellt, war eigentlich von vornherein gewiss. Rinder gelten als wahre Methanschleudern. Das Treibhausgas, das die Tiere im Verdauungstrakt erzeugen, belastet die Atmosphäre 28 Mal so stark wie Kohlenstoffdioxid. Um das Futter für die vielen Tiere anzubauen, braucht es zudem viel Platz, große Waldflächen müssen dafür gerodet werden.

Das Hausrind als Klimakiller - so lernt man das in der sechsten Klasse im Biologieunterricht, und so beschreibt das auch der promovierte Geograf und Klimaforscher Florian Zabel von der LMU, der am Wochenende als Erster sprach. Gut 50 Kilo Fleisch essen die Deutschen pro Jahr und Kopf. Zwar "dürfen wir auch Fleisch essen", zitiert Zabel die Eat Planetary Health Diet, demnach sollte es allerdings "nur ein Viertel von dem sein, wie wir es jetzt tun".

Von allen Tieren hätten Rinder dabei "mit Abstand die größten Emissionen" - circa achtmal so viel wie Schweine, was vor allem am Ausstoß von Methan liegt, das beim Verdauungsprozess entsteht. Auf einer Grafik zeigte er, wie viele Emissionen durch die Produktion der einzelnen Fleischarten entstehen. "Eins sticht hier definitiv raus - das ist das Rindfleisch."

Ulrich Mück polarisiert mit seinen Thesen. (Foto: Nila Thiel)

Für seinen Folgeredner hingegen gelten Rinder als Wundertiere, wenn nicht sogar als die Spitze der Evolution. "Rinder sind die einzigen Tiere, bei denen am Ende mehr Lebensmittel herauskommen, als man hinein füttert", schwärmt Ulrich Mück. Er nennt das die "Lebensmittel-Konversions-Effizienz". Dieser betrage bei Rindern 1,06. Also pro Kilo Lebensmittel, die man an eine Kuh verfüttert, bekommt man 1,06 Kilo Lebensmittel in Form von Milch oder Fleisch zurück. "Im Prinzip ein Lebensmittelentstehungswunder", so Mück. Da könnten weder Schafe noch Ziegen mithalten, geschweige denn Schweine oder Geflügel.

Eine große Einschränkung gibt es aber: Für Mück sind ausschließlich Weiderinder die Klimaheilsbringer. Also jene Vierbeiner, die genügend Grünland zur Verfügung haben, auf dem sie nach Lust und Laune grasen können. Denn eigentlich nicht die Rinder, sondern "das Grünland schützt das Klima". Dauergrünland speichere fünfmal mehr Kohlenstoff im Boden als Äcker.

Grünland und Rinder - das "Dreamteam der Evolution", schwärmt Mück

Damit ist der Agraringenieur am Knackpunkt seiner Theorie angekommen. Grünland und Rinder lebten in Symbiose, seien gar das "Dreamteam der Evolution", schwärmt Mück. Die Vierbeiner knabbern am Gras und sorgen danach per Kuhfladen für die Rückführung der Nährstoffe in den Boden. Ein gesunder Boden wiederum könne zum einen mehr Treibhausgase binden und biete zum anderen etlichem Kleingetier und Mikroorganismen ein Zuhause - Stichwort Biodiversität. Bis zu 267 verschiedene Insektenarten leben im, am oder von so einem Kuhfladen.

Klimaforscher Florian Zabel hat in seinem Vortrag verschiedene mögliche Klimaszenarien für die Zukunft bis 2100 vorgestellt. (Foto: Nila Thiel)

Ist der Fleischverzicht, gerade unter jungen Menschen en vogue, also doch nicht das Maß aller Dinge, wenn es um Klimaschutz und Ernährungsfragen geht? Doch, sagt auch Ulrich Mück: 70 Prozent weniger Geflügel, 50 Prozent weniger Eier, 60 Prozent weniger Schwein und 30 Prozent weniger Milch, das rät der Agraringenieur, der auch Demeter-Höfe berät, dem Durchschnittsdeutschen. Nur der Anteil am Rindfleisch in der Ernährung müsse gleich bleiben - sofern es "das Gute" von der regionalen Bio-Öko-Weide ist. Wer also nun denkt, er müsse nur einfach zum Discounter gehen und massenweise brasilianisches Rindfleisch zu Tiefstpreisen einkaufen, um das Klima zu retten, der hat sich geirrt.

Auch und vor allem der hohe Konsum an Milchprodukten sei problematisch für die Umwelt, sagt Mück, da die Milchkühe in der Regel eben nicht auf der idyllischen Wiese einer Allgäuer Bergalm stehen und dort auf den Grünflächen grasen, sondern in großen Ställen in Reih und Glied an die Melkmaschine angeschlossen werden. Da sei fürs Klima nichts gewonnen - im Gegenteil.

Steakessen rettet die Welt? Beim Publikum kommt diese Theorie durchaus an. (Foto: Nila Thiel)

Manche Sätze von Mück wie "Jetzt bräuchte ich mal wieder ein Steak, um meinen Joghurt- und Milchkonsum auszugleichen" hören sich zweifellos komisch an. Auch Klimaforscher Florian Zabel runzelte da am Wochenende die Stirn. Für ihn ist klar, dass Mücks Theorie einer wissenschaftlichen Überprüfung niemals standhalten würde. Seine Hauptkritik: Gerade wenn die Rinderhaltung nur noch auf extensiv bewirtschafteten Weideflächen stattfinden würde, würde die Produktion deutlich geringer ausfallen, weshalb deutlich weniger Fleisch konsumiert werden könnte. Um die Effekte auf das Klima zu bemessen, müssten außerdem weitere Effekte berücksichtigt werden, die von Herrn Mück außer Acht gelassen werden.

Ob nun der pragmatische Agraringenieur Mück, der sich vornehmlich um die Weiden im eigenen Land sorgt, oder der Klimaforscher Zabel, der auf verschiedensten Ebenen Modellrechnungen anstellt, in einem sind sich die beiden einig: Man sollte generell weniger Fleisch essen - und Ernährungsfragen bitte ohne ideologische Scheuklappen behandeln. Damit wäre dem Klima, physisch wie gesellschaftlich, schon einmal viel geholfen.

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