Öffentlicher Nahverkehr:Endstation Fahrermangel

Lesezeit: 4 min

Abfahrt 8.27 Uhr, Ankunft 9.40 Uhr: Die Arbeitstage von Driton Lushtaku sind dicht getaktet. Trotzdem fährt der 45-Jährige nach wie vor gerne: Die verschiedenen Fahrgäste, dazu kommt man rum - und etwas Aufregung ist auch manchmal dabei. (Foto: Nila Thiel)

Kaum jemand will noch als Busfahrer arbeiten. Zu groß die Verantwortung, zu niedrig die Gehälter, dazu motzende Fahrgäste und freche Autofahrer: Unterwegs auf der Linie 921 mit Driton Lushtaku, der den Job trotz allem gerne macht.

Von Linus Freymark, Herrsching

Eigentlich könnte er sich jetzt fürchterlich aufregen. Driton Lushtaku hat an der Haltestelle gestoppt. Nun will er wieder los, der Blinker ist gesetzt - und dann drängelt sich ein Auto nach dem anderen an ihm vorbei. Ein Autofahrer hupt den Bus sogar an. "Sehen Sie?", fragt Lushtaku, "obwohl ich blinke." Die Rücksichtslosigkeit wäre ein guter Grund für eine Schimpftirade über freche Autofahrer. Aber Lushtaku bleibt ruhig. "Bringt nichts, sich zu ärgern", sagt er. Überhaupt ist Lockerbleiben wichtig als Busfahrer. Nicht jeder ist der Typ dafür. Und vielleicht ist auch das einer der vielen Gründe dafür, warum den Job kaum noch jemand machen will.

In ganz Deutschland suchen Busunternehmen händeringend nach Fahrern. Im Landkreis Starnberg, in dem Lushtaku fährt, ist ein Drittel aller Linien schon auf Ersatzfahrpläne umgestellt, berichtet Landrat Stefan Frey (CSU). Der Ausbau des Busnetzes genoss lange die Poleposition auf der kommunalpolitischen Agenda. Doch nun steht wegen leerer Kassen und fehlender Fahrer ein Kurswechsel an. Vor allem nicht so stark frequentierte Linien würden ausgedünnt. "Wir werden mehr auf Effizienz achten müssen", sagt Frey.

Eineinhalb Stunden bevor er an der Haltestelle die Autos vorbeilassen muss, steuert Lushtaku seinen Bus aus dem Depot in Richtung Herrschinger Bahnhof. Es ist ein trüber Novembermorgen, Himmel und Asphalt grau in grau, die Scheibenwischer fegen den Regen aus dem Sichtfeld. Mit der Linie 921 geht es von Herrsching über Inning und Weßling wieder zurück nach Herrsching. Abfahrt ist pünktlich um 8.27 Uhr, die Ankunft ist für 9.40 Uhr angesetzt. Seit neun Jahren fährt Lushtaku, 45 Jahre alt, Pullunder über Hemd und Krawatte, für die Firma Geldhauser auf den MVV-Linien im Landkreis. Seit fünf Jahren arbeitet er als "Oberfahrer", das bedeutet: Die Hälfte seiner Arbeitszeit fährt er, die andere Hälfte macht er Schichtpläne. Bislang konnte er alle Fahrten besetzen - aber auch nur, weil er bislang stets Ersatz gefunden hat oder selbst eingesprungen ist. Bald gehen zwei Fahrer in Rente, neue Kollegen sind nicht in Sicht. "Keine Ahnung, wie es dann wird", sagt Lushtaku.

Die Zukunftsaussichten beunruhigen auch seinen Chef Martin Geldhauser. Seit 60 Jahren gibt es den gleichnamigen Familienbetrieb nun, und klar: Den ein oder anderen Fahrer hat man immer mal wieder gesucht. "Aber so schlimm wie jetzt war die Situation noch nie", sagt Geldhauser. "Es ist wirklich dramatisch."

Hohe Verantwortung bei niedrigem Gehalt: Attraktiv ist anderes

Die Gründe für den Fahrermangel sind vielfältig, Lushtaku wird sie auf seiner Runde nach und nach aufzählen. Klar liegt es auch am Geld. Aber Busfahren bedeutet Stress. Jede Sekunde kann etwas passieren, im Bus oder auf der Straße. "Man muss immer mit Fehlern der anderen rechnen", sagt Lushtaku.

Eine hohe Verantwortung bei niedrigem Gehalt, attraktiv ist anderes. Hinzu kommen die Arbeitszeiten: Lushtaku fängt um 6 Uhr an, andere Kollegen sind da längst auf der Straße. Auch der Aufwand für die Ausbildung schreckt viele ab: Ein Busführerschein kostet 10 000 bis 12 000 Euro, zudem braucht man einen Personenbeförderungsschein, den man alle fünf Jahre erneuern muss. "Man muss den Job mögen", sagt Lushtaku.

Bis zu 12 000 Euro kostet ein Busführerschein. Zudem benötigt man einen Personenbeförderungsschein, um als Fahrer arbeiten zu dürfen. (Foto: Nila Thiel)

8.44 Uhr, das Ortsschild von Inning taucht im Regen auf. Lushtaku muss bremsen, auf der Staatsstraße gilt seit einem knappen Jahr Tempo 30. Gut für Anwohner und Umwelt, schlecht für Lushtaku. Denn die neue Regelung kam später als der Fahrplanwechsel. Die Zeitrechnung des Verkehrsbetriebs geht von 50 Kilometern pro Stunde aus, er aber schleicht mit 30 durch den Ort. Zack, drei Minuten Verspätung. "Ich weiß, wo ich sie wieder reinholen kann", sagt Lushtaku. Aber manche Fahrgäste beschweren sich auch schon über drei Minuten. Oft reicht eine Baustelle oder ein falsch geparktes Auto, und der Bus hechelt dem Zeitplan hinterher.

Überhaupt, die Fahrgäste! Mit den meisten kommt Lushtaku gut zurecht, nach bald zehn Jahren kennt man sich. Beim Ein- und Aussteigen grüßen einige: Hallo, guten Morgen, gute Fahrt noch! Aber es gibt eben auch die anderen: Die sich beschweren, wenn er älteren Menschen beim Einsteigen hilft, weil das Zeit kostet. Die maulen, warum er nicht weiterfährt, wenn ein Lastwagen die Straße blockiert. Die meckern, wenn er zu spät kommt. "Immer ist der Busfahrer schuld", sagt Lushtaku. "Dabei können wir fast nie etwas dafür." In der Pandemie habe sich das nochmal verstärkt. "Die Leute sind anders geworden", sagt Lushtaku. "Aggressiver." Die freundlichen Fahrgäste entschädigen dafür. Aber es würde ihn schon freuen, wenn noch ein paar mehr grüßen oder sonstwie ein paar nette Worte für ihn übrig hätten. Erst recht, weil Busfahrer kein Job ist, den man der Bezahlung wegen macht.

"Immer ist der Busfahrer schuld": Viele Fahrgäste motzen, erzählt Lushtaku, aber es gebe auch sehr nette. (Foto: Nila Thiel)

Irgendwo zwischen Weßling und Inning stellt Lushtaku eine Rechnung auf: 14,37 Euro bekommt man pro Stunde bei Geldhauser, hinzu kommen 75 Cent Zuschlag. Macht im Monat in etwa 2500 Euro brutto. "Und jetzt finde damit mal eine Wohnung hier im Landkreis", sagt Lushtaku. Viele Fahrer kommen aus dem Ausland, er hilft ihnen dann bei Wohnungssuche und Behördengängen. Aber nicht immer schafft er es, alles zu organisieren. Die Bewerber springen dann schnell wieder ab.

Trotz der absurd hohen Mieten ist das Gehalt in der Region im Deutschlandvergleich eines der niedrigsten. In Baden-Württemberg etwa bekommen Fahrer fast überall drei Euro mehr pro Stunde, und das bei geringeren Lebenshaltungskosten. "Die Fahrer fangen dann natürlich lieber dort als hier an", sagt Busunternehmer Geldhauser. Oder sie wandern nach kurzer Zeit dorthin ab. Die Löhne zu erhöhen, ist für Geldhauser schwierig. Zum einen sind die Gehälter tarifgebunden. Zum anderen muss er sich an den Beträgen orientieren, die in den Auftragsausschreibungen festgelegt sind.

"Wir brauchen eine Zulage von drei Euro für den Ballungsraum München", fordert Geldhauser

Damit Geldhauser mehr bezahlen kann, müsste er mehr Geld bekommen. Deshalb findet Geldhauser: "Wir brauchen eine Zulage von drei Euro für den Ballungsraum München." Zumindest kurzfristig würde das sehr helfen, sagt er. Sollte sich das Problem weiter verschärfen, sei "die Verkehrswende in den Landkreisen in Gefahr".

Viel Stress, wenig Geld - Herr Lushtaku, warum machen Sie den Job eigentlich? Er überlegt kurz hinter seinem Lenkrad. "Ich mag das einfach." Man kommt rum, kriegt viel mit. Bringt er zum Beispiel Leute von der S-Bahnstation zu ihrer Arbeitsstätte, hat er das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. "Die Leute könnten sonst nicht arbeiten", sagt er. Fehlt ein Bus, fehlt den Firmen eine große Zahl an Mitarbeitern. Oder hier, die Mutter, die mit ihren zwei kleinen Kindern an der Haltestelle in Etterschlag wartet. "Kann ich doch nicht stehen lassen", sagt er.

9.39 Uhr, zurück am Bahnhof Herrsching. Lushtaku öffnet die Türen, lässt die Fahrgäste aussteigen. Heute bedankt sich niemand. Dabei ist er sogar eine Minute zu früh.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: