Grafrath/Inning:Gestrandet in Inning

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Eine Familie mit zwei Kindern will sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen. Weil einem Berater offenbar die Sachkenntnis fehlt, platzt der Immobilienkauf. Die Mietwohnung in Grafrath ist da bereits gekündigt

Von Stefan Salger, Grafrath/Inning

Olivera und Ralf-Michael Reiz und ihre beiden kleinen Kinder sitzen zwischen allen Stühlen. Sie wollten sich den großen Traum erfüllen: die eigenen vier Wände. Der Kauf einer Wohnung aber ist wohl geplatzt, weil die Banken den Kredit verweigern. Das Geld für die bereits bestellten Fenster und die neue Küche können sie wohl abschreiben. Damit nicht genug: Die günstige Mietwohnung in Grafrath ist längst gekündigt, seit Anfang Januar lebt die Familie in einer kleinen Ferienwohnung in Inning. Der angebliche Finanzexperte habe sie schlecht beraten und hingehalten, so der Vorwurf. Die Welt der Familie Reiz ist aus den Fugen geraten.

Olivera und Ralf-Michael Reiz sitzen hinter zwei dicken Ordnern, in denen das ganze Unglück abgeheftet ist. Das alles könne man verbuchen unter der Überschrift "Richtig blöd gelaufen", wird ihr Finanzberater später am Telefon sagen, der den Kopf schüttelt über die Fallstricke der EU-Gesetzgebung. Aber der Mann spiele bei dem ganzen Drama selbst eine tragende Rolle, findet das Ehepaar. Im Grunde haben sie noch Glück, dass sie in der Ferienwohnung einer Bekannten untergekommen und nicht auf der Straße gelandet sind. Die beiden Kinder, der dreijährige Ole und die fünfjährige Larissa, schauen sich am späten Nachmittag eine Zeichentrickserie an. Am Abend wird sich die ganze Familie das einzige Schlafzimmer teilen, das es in der Inninger Dachgeschosswohnung gibt. Olivera Reiz könnte in die Luft gehen, wäre alles nicht so deprimierend. Ihr Mann Ralf-Michael ist ruhiger. Er hat sich noch ein Fünkchen Hoffnung auf so etwas wie ein Wunder in letzter Sekunde bewahrt. Dem "Finanzexperten" kreidet er Unwissenheit an, böse Absicht will er ihm nicht unterstellen.

Das Haus in Inning. (Foto: Stefan Salger)

Die ganze Geschichte fängt 2015 an. In dem Jahr zieht die Familie nach Grafrath in eine gemietete Dreieinhalbzimmerwohnung. Der Sohn kommt einen Monat nach dem Umzug aus München zur Welt. "Wir haben damals noch nicht von einem Eigenheim zu träumen gewagt", erzählt Olivera Reiz, die damals noch in Elternzeit ist. Sie wissen, dass allein das Einkommen des freiberuflichen Job-Coaches für die ganz großen Sprünge kaum reicht. Gut ein Jahr später - Olivera Reiz ist halbtags in ihren Job im Online-Marketing zurückgekehrt - bewerben sie sich dann aber für ein von der Gemeinde im Einheimischenmodell angebotenes Grundstück. Sie kommen nicht zum Zug, wollen ihren Traum nun aber nicht mehr aufgeben.

Im August 2018 werden sie auf eine erschwingliche Wohnung in Eurasburg bei Friedberg aufmerksam. Vier Zimmer im ersten Stock und im Garten ein tolles Trampolin und eine Schaukel. "Wir waren glücklich, dass wir unseren Kindern so was bieten können", sagt Olivera Reiz. Denn die knapp 270 000 Euro sollten sich auch mit überschaubarem Eigenkapital aufbringen lassen. Entsprechende Signale kommen ebenfalls von dem Finanzvermittler, auf den sie in einem Immobilienportal im Internet gestoßen waren. Anfang September nimmt dieser Berater, der freiberuflich vor allem für eine Bausparkasse in Rheinland-Pfalz arbeitet, alle Unterlagen entgegen. Eine Woche werde es wohl dauern, bis das mit dem Kredit geregelt sei. Dann aber passiert wochenlang nichts. Die Banken seien gerade sehr beschäftigt, es dauere noch ein bisschen. Aber alles sehe gut aus. Mit solchen Worten seien sie immer wieder vertröstet worden.

Ein vereinbarter Notartermin muss um eine Woche verschoben werden. Am Vorabend des Termins steht der Finanzexperte dann auf der Matte. Das Ehepaar unterschreibt etwas, das aussieht wie ein Kreditvertrag, das sich aber später lediglich als Vertragsentwurf entpuppt. Die erste Rate ist für Ende November vorgesehen. Der Notar weist sie am folgenden Tag, als der Kaufvertrag für die Wohnung in Eurasburg unterschrieben wird, darauf hin, dass der noch fehlende Grundbucheintrag der Bank nachgereicht werden müsse. Ihre Wohnung in Grafrath kündigt das Ehepaar zum Ende des Jahres. Der Berater habe ihnen das empfohlen, sagen sie. Der Mann von der Bausparkasse bestreitet das. Es scheint ja alles in trockenen Tüchern zu sein. Deshalb werden schon mal Möbel in den Keller der zukünftigen Wohnung gebracht, dreifachverglaste Fenster, Bodenbeläge sowie eine neue Küche werden bestellt, in Absprache mit einem Statiker wird eine Trennwand herausgerissen, und der Makler wird bezahlt. Insgesamt legen die beiden Grafrather etwa 30 000 Euro auf den Tisch.

Dass etwas nicht stimmt, merkt das Ehepaar Ende November. Da meldet sich der Verkäufer der Eurasburger Wohnung, weil der Kaufpreis noch nicht eingegangen ist. Es stellt sich heraus, dass die Bank den Kredit abgelehnt hat. Grund ist vor allem ein seit 2016 gültiges EU-Gesetz. Ralf-Michael Reiz ist 60 Jahre alt. Die Regularien aber sehen vor, dass auch er den Kredit bis zum offiziellen Renteneintritt zurückgezahlt haben müsste. Da hilft auch das Gehalt seiner jüngeren Frau nicht weiter - anders läge die Sache erst, wenn sie monatlich 600 Euro mehr verdienen würde. Durch die Regelung werden ältere Menschen diskriminiert, kritisiert der Jurist Sascha Straub von der Verbraucherzentrale. Aber das sei gesetzlich nun mal so festgelegt, da gebe es wohl kaum Spielraum. Auch dass die Bank als Sicherheit eine Immobilie bekäme, deren Wert eher steigen dürfte, ändere nichts daran.

Die Familie fühlt sich weiterhin von dem Berater hingehalten, der immer wieder Hoffnung gemacht habe, er werde das schon noch hinbekommen. Andere Banken, die das Ehepaar auf eigene Faust kontaktiert, lehnen einen Kredit ebenfalls ab. Der Berater ist schwer zu erreichen, und auch der Verkäufer der Wohnung in Eurasburg antwortet irgendwann nicht mehr - nachdem er den Kaufvertrag gekündigt und Schadenersatzforderungen angekündigt hat. "Für uns wäre es immerhin ein kleiner Trost, wenn wir Fenster, Küche und Bodenbeläge einbauen dürften, um dann beim späteren Verkauf der wertvolleren Immobilie zumindest einen Teil unserer Ausgaben wieder hereinbekommen würden", sagt Ralf-Michael Reiz.

Der Finanzberater hat immerhin signalisiert, er werde den Fall notfalls seiner Berufshaftpflichtversicherung melden. Auch für ihn kam die Absage der Bank offenbar überraschend. Die habe deutlich gemacht, dass sie nicht einmal absehbare Gehaltssteigerungen der Ehefrau berücksichtigen könne. "Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt", beteuert er. Geld verdienen würde er nur im Fall eines erfolgreichen Vertragsabschlusses. Er habe die Hoffnung auf eine Lösung noch nicht aufgegeben, sagt er am Freitag auf Nachfrage der SZ. Einen Durchbruch erhofft er sich bereits am Montag. Es wäre höchste Eisenbahn, denn am Dienstag soll der Grundbucheintrag gelöscht werden. "Wir hängen in der Luft", stellt Olivera Reiz nüchtern fest. "Und wir haben eigentlich kaum noch Hoffnung", pflichtet ihr Mann leise bei. Ein Ende der Odyssee ist nicht absehbar. "Man fühlt sich schon sehr hilflos."

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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