Ausstellung:Eine Zeitreise für die Sinne

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Dank der Ausstellungsmacher blicken die Besucher unter anderem in eine historische Schusterwerkstatt. (Foto: Nila Thiel)

"Mausefallen für Dich - Zigarren für die Welt" lautet der Titel der Präsentation im Gautinger Bosco, die dank der Sammlung von Hermann Geiger Gautings Aufschwungs zu Beginn der Industrialisierung veranschaulicht.

Von Katja Sebald, Gauting

Das Gautinger Bosco hat sich in ein "Museum auf Zeit" verwandelt. Im Foyer steht ein uralter Fiat, den jemand zum landwirtschaftlichen Fahrzeug umgebaut und anschließend viele Jahre lang ausgiebig genutzt hat. Oben im großen Saal riecht es nach Heu und nach Stall, die Hühner gackern. Dann geht man durch den ohrenbetäubenden Lärm in den Werkhallen der Alfawerke und durch die Munitionsfabrik von Wilhelm Baier in Stockdorf.

Man sieht den Rauch aus dem Schornstein der Papierfabrik aufsteigen, man hört das leise Klirren der Kristallgläser im eleganten Festsaal des Bahnhofshotels und begegnet den Arbeiterinnen aus der Tabakfabrik. Unversehens steht man im Wohnzimmer des Bahnhofsvorstehers und kehrt schließlich durch einen historischen Friseursalon und eine alte Schusterwerkstatt zurück in die Gegenwart.

Möglich gemacht wurde diese furiose Zeitreise für alle Sinne durch den Unterbrunner Sammler Hermann Geiger und seinen schier unerschöpflichen Fundus. Inszeniert haben die Ausstellung "Mausefallen für Dich - Zigarren für die Welt" vier Gautinger in ehrenamtlicher Arbeit.

Hans-Georg Krause, der vor mehr als 30 Jahren das Theaterforum gründete und sich eigentlich schon seit Längerem in den Ruhestand verabschiedet hatte, steckte mit seiner Idee zu dieser Ausstellung auch die Künstlerin Rosemarie Zacher an, die ein großes Faible für alte Dinge hat. Diese wiederum begeisterte Sibylle Sommer dafür, mit der sie in der "Schule der Fantasie" zusammenarbeitet. Auch Werner Gruban vom Vorstand des Theaterforums war schnell überzeugt. Wenig Überzeugungsarbeit mussten die vier beim Gautinger Messebauern Fabian Friedrich leisten, der nicht nur das Material für alle Einbauten kostenlos zur Verfügung stellte, sondern auch zwei seiner Mitarbeiter schickte, die das Bosco im Handumdrehen zum Museum umbauten.

Den uralten Fiat im Foyer des Bosco, der zum landwirtschaftlichen Fahrzeug umgebaut ist, präsentieren Hermann Geiger, Rosemarie Zacher, Sibylle Sommer und Hans-Georg Krause (von links). (Foto: Nila Thiel)

Die Geschichte Gautings werde immer vom einstigen Römerort bis zur Villenkolonie erzählt, sagt Krause. Eigentlich aber sei das Wasser der Würm für die Entwicklung Gautings entscheidend gewesen. Eine Karte von 1860 ist deshalb Ausgangspunkt der Ausstellung: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war Gauting von der Landwirtschaft geprägt, doch die wenig ertragreichen Schotterböden entlang des Flusses ermöglichten den Bauern nur ein kärgliches Einkommen. Mit dem Einsetzen der Industrialisierung aber führte das Wasser, das seit jeher eine Vielzahl von Mühlen zwischen Leutstetten und Stockdorf angetrieben hatte, zu einer rasanten Veränderung der Arbeitswelt.

Die Würm spielt für den Aufschwung Gautings eine entscheidende Rolle. (Foto: Nila Thiel)

In Stockdorf und Grubmühl entstanden Metallstanzwerke, auch für die Papierfabrik von Julius Haerlin und die Vorproduktion in der Holzschleif wurde die Wasserkraft genutzt. Im Alfawerk wurden landwirtschaftliche Maschinen hergestellt. Und die "Esslinger Draht- und Eisenwarenfabrik" von Wilhelm Baier siedelte 1908 nach Stockdorf über, um mit dem Wasser der Würm die Maschinen antreiben zu können.

Der heutige Weltkonzern "Webasto" begann damals mit dem Bau von Fahrradschutzblechen und Mausefallen, war in Kriegszeiten wie alle anderen Betriebe zur Produktion von Munition und anderen Rüstungsgütern verpflichtet und eroberte in der Wirtschaftswunderzeit mit Schiebedächern und Autoheizungen vom Würmtal aus den internationalen Markt.

Nur wenig ist vom einst mondänen Bahnhofshotel erhalten geblieben. Doch das Originaltor und ein Foto des Festsaals vermitteln den Eindruck eines opulenten Banketts. (Foto: Nila Thiel)

Zudem veränderte der Bau der Bahnstrecke von München nach Starnberg das Leben in Gauting. Als außerdem eine Schwefelquelle entdeckt wurde, entstanden schnell hochtrabende Pläne, die freilich mit dem Versiegen der Quelle genauso schnell wieder zunichtegemacht wurden. Eindrucksvolles Zeugnis für den erwartenden Besucheransturm war das stattliche, ja beinahe mondäne Bahnhofshotel, von dem sich in der Sammlung von Hermann Geiger immerhin ein originales Tor, ein historisches Foto des Festsaals und einige Teile des Hotelservices erhalten haben. Aus diesem wenigen haben die Ausstellungsmacher ein opulentes Bankett gebaut, man sieht förmlich die dienstbeflissenen Ober im Frack vorbeihuschen.

Es gibt eine Vielzahl eindrucksvoller Exponate in dieser Ausstellung. Maschinen, Werkzeuge und komplett erhaltene Zimmereinrichtungen werden hier zu wertvollen Zeugnissen der Arbeitswelten vergangener Zeiten. Manchmal ist es nur ein schnöder Gegenstand oder ein einziges Foto, mit dem Geschichte auf einmal greifbar und begreifbar wird.

Und so ist wohl das Bündel mit den Liebesbriefen aus der Gautinger Papierfabrik eines der anrührendsten Objekte zwischen all den Schätzen und Dokumenten der Ausstellung. Ein Arbeiter gab in den 1950er-Jahren eine Kontaktanzeige in der Süddeutschen Zeitung auf. Viele Briefe, säuberlich mit der Hand geschrieben, gingen daraufhin zwischen ihm und einem "verehrten Fräulein" hin und her. Ob die beiden ein Paar geworden sind und vielleicht zusammen ein halbes oder ganzes Leben in Gauting verbrachten, erfährt der Ausstellungsbesucher nicht.

Ein Bündel mit den Liebesbriefen aus der Gautinger Papierfabrik zählt zu den anrührendsten Dokumenten der Präsentation. (Foto: Nila Thiel)

Diesem schönen Fundstück, das ebenfalls aus der Sammlung von Hermann Geiger stammt, ist eine Lesung mit Gerd Holzheimer und Anna Veit gewidmet, die ebenso wie Vorträge und Workshops für Kinder und Erwachsene zum Rahmenprogramm der Ausstellung gehört. Und wer jetzt Lust auf eine weitere Zeitreise bekommen hat, der kann sich auch noch im Sechzigerjahre-Ambiente des historischen Friseursalons die Haare schneiden lassen - aber natürlich nur mit Termin.

Die Ausstellung "Mausefallen für Dich - Zigarren für die Welt" ist nur an diesem und am kommenden Wochenende jeweils freitags, samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr zu sehen. An den Vormittagen können Führungen für Schulklassen und Gruppen gebucht werden. Der Eintritt ist frei. Das komplette Rahmenprogramm findet sich unter bosco-gauting.de .

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