Kultur:Gewaltige Sinfonik

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Von 1983 bis 1993 war Jordi Mora (vorne) ständiger Chefdirigent des Münchner Jugendorchesters. (Foto: Nila Thiel)

Dem katalanischen Dirigenten Jordi Mora gelingt mit dem Bruckner-Akademieorchester ein großer musikalischer Wurf. Den erleben aber nur wenige Zuschauer.

Von Reinhard Palmer, Gauting

Am 4. September jährt sich Anton Bruckners Geburtstag zum 200. Mal. Für den katalanischen Maestro Jordi Mora mehr als Grund genug, bei der diesjährigen 30. Bruckner Orchester Osterakademie München eines der schönsten und beeindruckendsten Werke des Komponisten einzustudieren und dreimal öffentlich zu Gehör zu bringen.

Auch wenn beschämend wenige Gautinger am Samstag den Weg ins Foyer der Realschule fanden, um die eher seltene Gelegenheit wahrzunehmen, Bruckners 5. Sinfonie B-Dur zu erleben, wurde es ein fulminantes Fest großer Sinfonik, zumal zuvor Wagners Siegfried-Idyll sanft in die Klangmalerei des Abends einführte.

Kein leichter Einstieg für eine von der Uraufführung im Treppenhaus des wagnerschen Privathauses Meilen entfernte, enorme Orchesterbesetzung, verlangt doch dieses durch und durch romantische Werk vom ersten Ton an höchste Einfühlsamkeit und zarteste Stimmungen. Der kurze Moment des Glücks in Wagners turbulentem Leben, seine Geliebte Cosima heiraten und die Geburt eines Sohnes - der auch Siegfried heißen sollte - feiern zu können, "diktierte" Wagner eine sinfonische Dichtung in die Feder, die noch lange einen großen Einfluss auf die musikalische Nachwelt ausüben sollte. Ungeachtet dessen, dass drei der vier Themen aus dem gleichnamigen Drama stammen.

Dieser enge persönliche Bezug in der Behandlung des Materials ist in Wagners Musik eine Rarität, umso wichtiger daher in der Interpretation eine innige, berührende Klangformung. Erstaunlich, dass Jordi Mora mit seinem angesichts der großen Sinfonik geradezu asketischen Dirigat diesen voluminösen Klangapparat des Projektorchesters in der kurzen Zeit der intensiven Akademie so weit zu disziplinieren vermochte, geradezu kammermusikalisch schlank, feinnuanciert kolorierend und ausdrucksstark in diese Zauberwelt wagnerscher Glückseligkeit eintauchen zu können.

Der Dirigent schafft es, den voluminösen Klangapparat zu disziplinieren

Die Bläser erhoben sich nur hauchdünn über die warmtonige, weiche Streicherunterlage, die der Erzählung nahezu magische Stimmungen verlieh und sich plastisch an den von Mora angelegten schlüssigen Spannungsbogen schmiegte. Wohliger kann Wagner wohl kaum klingen. Fast zu viel der Schönheit, doch im Kontext des Konzertabends eine erhellende Interpretation, fand sich in Bruckners Sinfonie viel von dem Klangzauber wieder, hatte doch der nur elf Jahre jüngere Oberösterreicher in Wagner einen für seine musikalische Auffassung adäquaten Meister gefunden, auch wenn es diesen nicht im Geringsten tangierte. Zu brav und zu bürgerlich dürfte Bruckner dem weltgewandten Wagner vorgekommen sein.

Das vielköpfige Orchester gilt es erst einmal zu zähmen. (Foto: Nila Thiel)

Tatsächlich liegen das Siegfried-Idyll und die Brucknersinfonie formal gesehen weit voneinander entfernt. Während die sinfonische Dichtung Wagners durch den Komponisten verbürgt ausnahmsweise einer rein intuitiven, emotionalen Choreographie folgt, hielt sich Bruckner in diesem Werk ungewöhnlich streng an tradierte kompositorische Techniken, bis zur monumentalen Fuge mit Schlusschoral im Finale, wohl um seine Anstellung an der Wiener Universität fürs Fach Harmonielehre und Kontrapunkt zu untermauern.

Jordi Mora war es deutlich sehr daran gelegen, in seinem Dirigat den Weg von der Siegfried-Atmosphäre in der Introduktion bis zur Klangekstase im Schlusssatz mit Pauken, Schmetterblech und was sonst noch dieser gewaltige Orchesterapparat mit vielfacher Besetzung der Bläser wie einer überwältigenden Kontrabasssektion im riesigen Streicherpart hergibt, also über die vier Sätze hinweg einer alles umfassenden Entwicklung zu unterziehen.

Zumal Bruckner ja Beethovens Neunte die Idee eingeflüstert hatte, die Themen der Sinfonie im Schlusssatz aufzugreifen, daher auch Formal der ganzheitlichen Auffassung das nötige Material an die Hand zu legen. Das mag irgendwie vereinheitlichend klingen, hatte aber nichts dergleichen im Sinn. Bruckners Entwicklungen sind niemals linear, sie sind vielmehr hinter einem unentwegten, extremen Auf und Ab verborgen.

Die Streicher verleihen der Erzählung nahezu magische Stimmungen

Und nicht nur das war für ein Projektorchester eine enorme Herausforderung. Bruckner ging auch in den spieltechnischen Anforderungen in die Vollen, ließ kaum eine Möglichkeit aus, die Klangsubstanz zu differenzieren. Aber auch hier zeigte sich das Akademieorchester gewandt genug, all die Finessen einhellig zu bewältigen.

Insbesondere die Blechbläser in ihren scharf rhythmisierten Attacken der gewaltigen Eruptionen bewiesen höchste Präzision. Bemerkenswert auch die solistischen Bläsergesänge oft über Pizzicato-Streichern, die Bruckners sanglich-sinnierende Ader beeindruckend zu exponieren vermochten. Ein großer Wurf, der mehr Beachtung verdient hätte.

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