Eine Jugendstrafanstalt irgendwo in Polen: Es geht hier extrem brutal zu. Die jungen Männer quälen, ja foltern einen der ihren. Warum, das erfährt man nicht. Als Aufpasser aufgestellt ist Daniel (Bartosz Bielenia), der die Aufgabe mit großer Wachsamkeit erledigt. Seine ausdrucksstarken blaugrauen Augen sind faszinierend und verfolgen den Kinogänger noch über die Filmzeit hinaus. Das polnische Drama "Corpus Christi" von Jan Komasa, das auf dem Fünfseen-Filmfestivals läuft, ist die Geschichte von Daniel, einem jungen Straftäter, der, in der Haft geläutert, unbedingt Priester werden will. Doch im erzkatholischen Polen ist das nicht möglich. Nach seiner Entlassung begibt er sich nicht an seine Bewährungsstelle, ein Sägewerk am anderen Ende des Landes, sondern geht ins nahe Dorf, wo er sich als "Pfarrer Tomasz" ausgibt. Und die Vertretung des kranken Dorfpfarrers übernimmt.
Als Meßdiener in der Haftanstalt hat er sich Rituale angeeignet, was er nicht kann, ersetzt er durch eigene Ideen. Bei seiner ersten Messe etwa improvisiert er, weil ihm die richtigen Worte fehlen. Mit unschuldigem Augenaufschlag meint er, auch Stille könne ein Gebet sein. Sind die Gläubigen anfangs noch skeptisch, fassen sie doch mehr und mehr Vertrauen zu dem jungen unorthodoxen Priester, auch wenn einige doch die alten Methoden bevorzugen, allen voran der Sägewerksbesitzer und Bürgermeister der Gemeinde.
Der neue Pfarrer fordert die Aussöhnung zwischen sechs Familien und einer Witwe, die von allen geächtet wird. Bei einem Autounfall waren ein Jahr zuvor sechs Jugendliche ums Leben gekommen. Nach Überzeugung der Dorfbewohner war der ältere Fahrer betrunken, als er das Auto der jungen Leute rammte. Es ist vor allem die Jugend, angeführt von Marta, die hinter Pfarrer Tomasz und seiner coolen Art stehen. Bielenia spielt sowohl den Geistlichen als auch den Straftäter mit einer Inbrunst, die schaudern lässt. Der Zuschauer hofft mit ihm, wobei das extrem katholische, ja bigotte Verständnis des Glaubens beim nicht polnischen Publikum auf große Skepsis stößt. Und allein vom Gefühl her die ganze Zeit klar ist, dass das alles nicht gut gehen kann.
Der Film basiert auf einer wahren Geschichte: In der Pfarrei St. Andrzej Bobola in der kleinen Gemeinde Budziska in Masowien hatte sich ein junger Mann, der aus einer Jugendhaftanstalt entlassen worden war, als Priester ausgegeben. Die Menschen haben ihn geliebt und waren schockiert, als sie erfuhren, dass er kein geweihter Priester war. Sie schrieben Briefe an den Vatikan, der daraufhin die Sakramente sanktionierte, wodurch sich ein großes Problem löste. Denn die Gläubigen wussten vorher nicht, ob sie nun verheiratet oder ihre Kinder getauft waren.
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Bei den Filmfestspielen in Venedig war "Corpus Christi" mit großem Erfolg gezeigt worden, Film, Regisseur und Hauptdarsteller haben bereits etliche Preise bekommen, jetzt ist das Drama als bester ausländischer Film für den Oscar 2020 nominiert. Und steht auf der Auswahlliste für den 34. "One Future Preis", der beim Fünfseen-Filmfest vergeben wird. Die Jurymitglieder der Interfilmakademie unter Vorsitz von Filmpfarrer Eckart Bruchner haben bereits über den Film beraten. Bedauert haben einige Zuschauer, dass die deutschen Untertitel von den Bildern ablenkten.
Klar war für die meisten der Corona-bedingt nur etwa 40 Kinofans, die zur Vorstellung gekommen waren, dass sie sich vor einer Diskussion gedanklich mit dem Werk auseinandersetzen müssten. Bruchner, der in Gauting lebt, versprach, "Corpus Christi" im Oktober als Filmgespräch zu zeigen und dazu auch die Pfarrer der beiden Gautinger Kirchengemeinden einzuladen. Der Film läuft nochmals am 31. August, 17 Uhr, im Kino Seefeld.