Fünfseen-Filmfestival:Botschaft aus einer zerrissenen Region

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Daria Onyshchenko (links) hat Regie bei dem Politdrama "The Forgotten" geführt - hier im Gespräch mit Moderatorin Alexandra Belopolsky (rechts). (Foto: Nila Thiel)

Die Ukraine ist Gastland beim diesjährigen cineastischen Großereignis. Beim Empfang am Dienstag im Kino Starnberg steht die Frage "Was bedeutet Krieg für den Film?" im Mittelpunkt

Von Lea Kropff, Starnberg

Tschernobyl, die Klitschko-Brüder und der Konflikt um die Annexion der Krim. Das sind Dinge, die so manch einem vielleicht in den Kopf schießen können, wenn er an die Ukraine denkt, dem diesjährigen Gastland beim Fünfseen-Filmfestival. So ergeht es auch Matthias Helwig. Zu Beginn des Empfanges am Dienstagabend im Kino Starnberg, spricht der Veranstalter davon, dass er persönlich viel zu wenig wisse über das Land, das eigentlich so nah - weniger als 1000 Kilometer entfernt - liege. Dabei habe es für den internationalen Film in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. "Mir sind bei der Vorauswahl für das diesjährige Programm einige Filme im Kopf geblieben, die eine besondere Bildstärke und Emotionalität innehatten. Und dann ist mir aufgefallen: Mensch, die kommen ja alle aus der Ukraine." So sei Helwig schon früh klar geworden, dass er die Ukraine gerne als Gastland auf dem diesjährigen Fünfseen-Filmfestival hätte. Eine Idee, über die sich der Generalkonsul des Landes in München, Yarmilko Yuriy, besonders gefreut habe, denn, so startet er seine Empfangsrede mit einem Lenin-Zitat, der Film ist die wichtigste aller Künste."

In den vergangenen Jahren sei das ukrainische Kino wie ein Phönix aus der Asche gestiegen, führt er fort, die Situation unterscheide sich stark zu der in den neunziger Jahren, wo Filmförderung kaum ein Thema gewesen sei. In der anschließenden Podiumsdiskussion wird Daria Onyshchenko, die ukrainisch-deutsche Regisseurin von "The Forgotten", gefragt, warum der ukrainische Film zur Zeit einen solchen Boom erlebe. Dass in der Ostukraine immer noch Krieg herrsche und dass das Land im wahrsten Sinne des Wortes zerrissen sei, trage dazu bei. "Der Krieg motiviert Künstler, darüber zu berichten", sagt Onyshchenko.

Die Trailer der ausgewählten Filme zeigen starke, emotionsgeladene Bilder des bewaffneten Konflikts in der besetzten Donbass-Zone und von den Nachwirkungen der Tschernobyl Katastrophe, aber auch aus den Leben der Ukrainer, die vielerorts auf Fortschritt und Frieden hoffen. Jüngst feierte man in Kiew den 29. Jahrestag der Unabhängigkeit; jedoch sei der Krieg Alltag geworden, so Podiumsgast und Blogger Anton Pavlushko. "Viele Ukrainer können heutzutage zwischen verschiedenen Panzerarten unterscheiden, das ist die Realität." Auf der anderen Seite habe sich an der politischen Situation seit der Maidan-Revolution einiges geändert, weiß Onyshchenko: "Es gibt weniger Korruption." Das habe sie auch selbst erfahren: "Früher musste man für Filmförderung in staatlichen Strukturen gehen und dem Neffen von irgendwelchen Abgeordneten eine Komparsenrolle verschaffen. Jetzt gibt es viele Angebote, die Kunst und Kultur frei fördern."

Bunte Akzente setzten an diesem Abend Mitglieder der Gruppe "Munich Kyiv Queer", die sich in Regenbogenflaggen gehüllt hatten. Sie stehen für den Austausch der Münchner und Kiewer Pride-Szene. "Die Ukraine ist viel liberaler geworden, auch wenn es Rückschläge gibt. Das kommt nur in den Medien so nicht oft an", sagt Kamil Safin von der Gruppe. Dass der Austausch zwischen der Ukraine und Deutschland im Fluss bleibt, ist zu erwarten, wenn man das Interesse für die Filme von Daria Onyshchenko und ihren Kollegen betrachtet: Es ist schlichtweg gewaltig.

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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