SZ-Serie: Abgedreht - Filmkulissen rund um München:Himmel und Hölle unter Kastanien

Lesezeit: 4 Min.

Der Biergarten auf dem Heiligen Berg in Andechs ist 1974 Drehort für Herbert Achternbuschs ersten eigenen Spielfilm "Das Andechser Gefühl" gewesen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Herbert Achternbusch hat seinen ersten Spielfilm, die Groteske "Das Andechser Gefühl", vorwiegend auf dem Heiligen Berg gedreht. Der Philosoph Jürgen Habermas war bei der Uraufführung dabei.

Von Gerhard Summer, Andechs

In diesem Biergarten geht's um Leben und Tod, um den ganz normalen Irrsinn und ums Saufen. Ein Mann verdeckt sein Gesicht, angeblich weil er von Interpol gesucht wird. Ein anderer schneidet sich theatralisch ein Ohr ab. Alte Frauen lachen und geifern. Burschen rangeln miteinander. Und zwei Kerle reden minutenlang aneinander vorbei, der Polizist Alois und der namenlose Dorfschullehrer. "Gestern ham's 11 000 Mass getrunken", doziert der Alois. Sein Gesprächspartner, wenn man das so nennen mag, erzählt ihm, dass er seit zehn Jahren auf eine schöne Schauspielerin warte, die ihn aus seinem Trott reißen könnte. Aber jetzt bleibe ihm nur noch ein einziger Tag, denn "morgen geht's dahin mit mir". Der Alois sagt ganz trocken: "Wohin denn, wenn ich fragen darf?" "Ich sterbe." "Dein Problem möcht' ich auch haben, hahaha."

Regisseur, Schriftsteller und Maler Herbert Achternbusch (November 1938 - Januar 2022). (Foto: Röhnert Ursula/SZ Photo)

Der Dialog steht am Anfang von Herbert Achternbuschs "Das Andechser Gefühl", seinem 1974 in nur etwa drei Wochen entstandenen Erstling. Bald trudelt auch die ersehnte Schauspielerin ein - eine Schönheit im zitronengelben Kleid. Als Hauptdrehort der in Alkohol getränkten Groteske hatte sich der Regisseur (November 1938 - Januar 2022) die Terrasse des Andechser Bräustüberls mit Blick auf sanfte Hügel und Felder ausgesucht, was sonst? Auf dem Heilige Berg, berühmt für Wallfahrt und Braukultur, steht schließlich so etwas wie der Inbegriff der bayerischen Biergarten-Seligkeit. Und Himmel und Hölle haben in Achternbuschs Film einträchtig unter Kastanien Platz.

Der Biergarten des Bräustüberls ist inzwischen zwar mit einer riesigen Markise überdacht, aber die Gäste haben nach wie vor den Ausblick auf Hügel und Felder. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Fotografin Barbara Gass aus München, die jahrzehntelang zum Achternbusch-Tross gehörte und in der Tragikomödie erstmals als Schauspielerin auftrat, glaubt nicht unbedingt, dass die Ortswahl mit der katholischen Erziehung des Filmemachers zu tun hatte. "Er war einfach gerne in dem Biergarten, es ist ja auch eine wunderbare Atmosphäre da." Außerdem lebte Achternbusch damals noch nicht in Ambach am Starnberger See, sondern in einer Villa in Buchendorf bei Gauting, die vorher Wirtshaus, Pfarrhof und Mädchenschulheim war, also in Klosternähe. Weitere Filmszenen entstanden in der Umgebung - in einem halb verfallenen Anwesen im Gautinger Ortsteil Hausen, wie Gass sagt, und in der "spießigen Küche" eines Hauses in Holzhausen bei Münsing. Dort ersticht die Ehefrau den Lehrer mit einem monströsen Küchenmesser, "da hast du dein Andechser Gefühl".

Im Gautinger Ortsteil Hausen sind die Szenen mit Herbert Achternbusch (als Dorflehrer) und seiner Tochter Judit Achternbusch entstanden. (Foto: Bioskop Film)

Die Reaktionen auf das Debüt des Regisseurs, Schriftstellers und Malers, der als Provokateur galt, als Nachfolger von Karl Valentin und als bayerisches Pendant zu Monty Phyton, fallen heute noch geteilt aus. Professor Jürgen Habermas und seine Ehefrau Ute waren damals bei der Uraufführung in der völlig verrauchten, inzwischen abgerissenen Gaststätte Würmbad in Gauting dabei. "Wir waren begeistert", sagt der Philosoph und Soziologe aus Düsseldorf, der seit 50 Jahren in Starnberg lebt. "Wir hatten damals noch keine richtige Tuchfühlung mit Bayern. ,Das Andechser Gefühl' war für uns die allerbeste Einführung in die bayerische Kultur." Achternbusch habe ihm auch eine Filmrolle angeboten, "ich sollte in eine Wirtschaft eintreten, mich umschauen, verwirrt durchgehen und den Raum verlassen". Habermas sagt: Leider habe er die Offerte abgelehnt, "ich hätte mich darauf einlassen sollen".

"Wir waren begeistert": Professor Jürgen Habermas und seine Ehefrau Ute, hier bei der Verleihung des "Kulturellen Ehrenpreises der Stadt München" im Saal des Alten Rathauses. (Foto: Stephan Rumpf)

Claudia Metz indes findet: "Das war alles schon sehr, wie soll ich sagen, kunstvoll." Die heutige Landwirtin war als Teenager mit ihrer Freundin Irmgard bei den Dreharbeiten dabei. Die Mädchen bekamen zwei Tage schulfrei, "das war das Höchste". Metz übernahm sogar eine kleine Rolle in der Groteske, in der Margarethe von Trotta als zitronengelber Star über Italien schwadronierte, Walter Sedlmayr den fiesen Schuldirektor gab, der Maler und Germeringer Postbote Heinz Braun den listigen Schulrat übernahm, Achternbusch die Rolle des Lehrers hatte und Barbara Gass seine Frau spielte. Die nunmehr 62-Jährige war im Film das Mädchen, das die Schauspielerin um ein Autogramm bittet. Als Gage gab es 50 Mark, "das war ein Heidengeld". Gleichwohl erinnert sich Metz daran, dass sie nach einer Filmvorstellung in Pöcking gedacht habe, "jetzt weiß ich immer noch nicht, worum es ging". Im Dorf Andechs habe man sich über das Unikum Achternbusch, das oft in der Erlinger Post und im Machtlfinger Wirtshaus saß, "ein bissl lustig" gemacht, "das ist damals unter der Überschrift Spinner gelaufen", sagt sie. Achernbusch sei aber kein Angeber gewesen.

Die Münchner Fotografin und Achternbusch-Schauspielerin Barbara Gass mit einigen ihrer Werke. (Foto: Catherina Hess)

Sogar Barbara Gass war sich damals nicht sicher, ob der knapp 70 Minuten lange Erstling des Regisseurs ein Geniestreich würde. "Aber als er fertig war, hat er mich schon beeindruckt". Denn das ohne Musik auskommende "Andechser Gefühl" habe keine Längen wie spätere Achternbusch-Filme, ob "Atlantikschwimmer" oder "Bierkampf", "Das Gespenst" oder "Heilt Hitler". Gass sagt: "Ich denke, es war sehr mutig, was er da gemacht hat." Einzig die Sex-Szene mit einer Kellnerin (Ingrid Gailhofer) sei "furchtbar unerotisch". Und: Sie habe für ihren langen Schlussdialog unendlich viel Text lernen müssen ("Stück für Stück wird mir das Fleisch herausgerissen, jeden Tag woanders").

Klostersprecher Martin Glaab daheim in Machtlfing. (Foto: Georgine Treybal)

Wer die Ehetragödie sehen und nicht gleich knapp 300 Euro für eine Sammel-DVD mit anderen Achternbusch-Werken ausgeben will, muss sich ins Münchner Filmmuseum begeben. Weder die Produktionsfirma, die mittlerweile Neue Bioskop-Film GmbH, noch das Berliner Bundesfilmarchiv haben die Groteske in ihrem Bestand. Was also von Achternbuschs erstem Spielfilm bleibt? Der Titel, der zum geflügelten Wort geworden ist. "Das Andechser Gefühl ist ein Gefühl, dass wir nicht allein sind", sagt der Schullehrer.

Laut Martin Glaab, dem Sprecher des Klosters, war der Filmemacher aber nicht der Erste, der sein Andechs-Erlebnis in eine griffige Formulierung brachte. Von Abt Hugo (1892 - bis 1967) sei der Ausspruch überliefert: "Andechs, das ist ein Ort, hier ist gut sein." Und was die Haltung der Abtei zum Filmdebüt des universellen Genies betrifft, gilt Glaab zufolge: "Es gehört zum Selbstverständnis dieses Klosters, Spannungen auszuhalten", schließlich pflege man eine "prinzipielle Offenheit" gegenüber zeitgenössischer Kunst und Kultur. Nur eines sei klar: 11 000 ausgeschenkte Mass Bier an einem Tag - "das ist heillos übertrieben".

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