Berg/München:Annäherung an die eigene Jugend

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Schauspieler Jürgen Tonkel mit seinem Hund Cosmo. (Foto: Ludwik Erdmanski)

Der Schauspieler Jürgen Tonkel liest Oskar Maria Graf

Von Katja Sebald, Berg/München

"Im Wirtshaus kenne ich jeden, aber ich bin trotzdem ein Fremder." Dieser wuchtige Satz könnte ein Zitat von Oskar Maria Graf sein. Er stammt aber von Jürgen Tonkel: Der bekannte Schauspieler wuchs wie der berühmte Schriftsteller am Starnberger See auf. Seit vielen Jahren lebt Tonkel in München. Jetzt nähert er sich mit einer Lesung aus "Das Leben meiner Mutter" nicht nur Oskar Maria Graf, sondern auch seiner eigenen Kindheit und Jugend in Berg. Begleitet wird er dabei von dem "bayerischen Blues-Barden" Schorsch Hampel. An diesem Freitag, 28. Januar, sind beide zum ersten Mal im Münchner "Hofspielhaus" an der Falkenturmstr. 8 zu sehen und zu hören (20 Uhr, Karten unter: www.hofspielhaus.de). Es gibt aber auch schon die Idee, ein Gastspiel am Starnberger See folgen zu lassen.

Man kennt ihn als den "Paulaner-Mann" aus der Werbung, als kauzigen Radiomoderator aus "Wer früher stirbt, ist länger tot", vor allem aber auch als Fernsehkommissar an der Seite von Katharina Böhm in "Die Chefin", als Bürgermeister in den "Rosenheim Cops" und als Polizeichef im BR-Tatort. Auch mit dem preisgekrönten Kinofilm "Die Hummel" und dem vielfach ausgezeichneten Stück "I hired a contract killer", das er unter der Regie von Gil Mehmert am Münchner Metropoltheater spielte, erregte Jürgen Tonkel viel Aufsehen. Mit der Graf-Lesung erfüllt er sich nun einen lange gehegten Wunsch: Oskar Maria Graf setzte dem Ort seiner Herkunft mit dem im Exil geschriebenen, 1946 erstmals in Deutschland erschienenen Roman "Das Leben meiner Mutter" ein literarisches Denkmal. Seine Familienchronik ist aber auch zum Sinnbild der Zeitumstände und einer sich zwischen 1850 und etwa 1930 rasend schnell verändernden Gesellschaft geworden. Tonkel zieht nun in Lesung und Kommentar Parallelen zu seinem eigenen Leben.

"Mein Großvater war einer der Torfstecher in Höhenrain, die Graf in seinem Buch beschreibt", sagt Tonkel. "Wenn ich jemandem erzähle, ich komme aus Berg, dann entsteht ein völlig falscher Eindruck: Ich bin in ganz einfachen Verhältnissen aufgewachsen." Tonkel kam 1962 in Höhenrain zur Welt - eine der letzten Hausgeburten in dem niedrigen Torfstecher-Anwesen. Seine Mutter ist "eine gestandene Höhenrainerin", der Vater ein Heimatvertriebener, den es nach Bayern verschlagen hatte. Bücher, so sagt er, habe es in seinem Elternhaus kaum gegeben. Grafs "Leben meiner Mutter" aber stand im Regal, er habe es bereits als Jugendlicher gelesen. "Aus meiner Familie bin ich der einzige, der jemals aufs Gymnasium geschickt wurde", erzählt er, "und das auch nur, weil der Pfarrer und der Lehrer dazu geraten haben". Im Dorf habe er sich als der "Gspinnerte" bald als Fremdkörper gefühlt.

Wie seinerzeit auch Oskar Maria Graf rebellierte Jürgen Tonkel und zog früh in die Stadt. Für die Eltern war es eine große Enttäuschung, dass der Sohn dann doch nicht Jura oder Medizin studierte, sondern mit grün gefärbten Haaren in einer Punk-Band Schlagzeug spielte. Drummer in einer Band - das war dann auch 1985 seine erste Rolle in der Fernsehserie "Blam". Es sei ein "Schlüsselerlebnis" gewesen, sagt er dreißig Jahre später, ein Durchbruch aber noch lange nicht.

Die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule schaffte er nicht. Die Ablehnung war ein so herber Schlag, dass er beschloss, sich alleine "durchzuwurschteln": "Ich habe jeden Schmarrn gemacht, um Geld zu verdienen." Das Autodidaktische, das Exzessive, das Zähe - es gäbe noch viele Parallelen, die man zu Graf ziehen könnte. Auch Tonkel wurde früh Vater, er heiratete und versuchte sich in einem bürgerlichen Leben, aus dem er schließlich ausbrach. Und obwohl er sich längst seine Rollen aussuchen kann, sagt er immer noch: "Ich bin kein Künstler, ich arbeite diesen Beruf."

Ein "liebevolles, aber distanziertes Verhältnis" habe er heute zu seinem Heimatdorf, sagt Tonkel, der immer noch regelmäßig an den Starnberger See kommt und in jüngster Zeit sogar mit einem Umzug aufs Land liebäugelt.

Am Freitagabend wird er auch die Passage lesen, in der Graf mit einer gewissen Abfälligkeit die Torfstecher in Höhenrain beschreibt, ehemalige Strafgefangene, die man dort angesiedelt hatte. Und vielleicht wird er ihn noch einmal sagen, diesen Satz, den er auch am Ende des Interviews sagt: "Ich bin immer noch ein Fuizler." Und Jürgen Tonkel wird ihn mit Stolz sagen.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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