Ausländerpolitik:Mühsam zur zweiten Heimat

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"Gemeinsam lernen" heißt es im Integrationskurs für Zuwanderer. (Foto: Sven Hoppe/picture alliance/dpa)

Der Landkreis Starnberg legt seinen Integrationsfahrplan neu auf, der Kreisausschuss billigt ihn einstimmig - ein ehrgeiziges Vorhaben.

Von Sabine Bader, Starnberg

Das Gedankenexperiment lohnt sich: Man setze sich kurz hin und versuche sich vorzustellen, wie es ist, in einem fremden Land anzukommen. Ein Land, dessen Sprache man weder spricht noch versteht, dessen Sitten und Gebräuche einem fremd sind, und in dem man sich auch nicht unbedingt willkommen fühlt. Oft haben die Betroffenen das Gefühl, allein zu sein mit ihren Sorgen und Ängsten - so ergeht es den meisten Flüchtlingen und Einwanderern. Es dauert nun mal lange, bis man in einem fremden Land richtig Fuß fasst. Geschweige denn, bis es zur zweiten Heimat wird. Der von Mitarbeitern im Landratsamt Starnberg und zahlreichen externen Akteuren 2019 erarbeitete Integrationsfahrplan soll dabei helfen. Was dies angeht, ist schon einiges passiert in den vergangenen Jahren: Trotz Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg konnten rund 80 Prozent der Projekte und Aktionen stattfinden.

Seit März diesen Jahres ist die Gilchinger Turnhalle zur Flüchtlingsunterkunft geworden. (Foto: Nila Thiel)

Ein Umstand, auf den das Landratsamt stolz ist: Kann doch nicht jeder Landkreis einen ähnlich ehrgeizigen Fahrplan vorweisen - vor allem keinen, der so gut läuft. Um zu ermessen, für wie viele Menschen im Fünfseenland ein solcher Fahrplan von Nutzen sein kann, sollte man sich einige Zahlen zu Gemüte führen: Im Landkreis Starnberg leben derzeit insgesamt zirka 137 000 Menschen, davon 26 409 mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Das sind 19 Prozent der Landkreisbevölkerung. Hinzu kommen viele eingebürgerte Menschen mit Migrationshintergrund. Diese kommen zu 49 Prozent aus EU-Staaten und 34 Prozent aus sonstigen Ländern, neun Prozent sind Menschen im Asylverfahren und Geduldete und acht Prozent sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.

Der Flüchtlingsfahrplan kann nahezu einem Fünftel der Landkreisbürger helfen

An diesen Zahlen lässt sich ersehen, dass der Flüchtlingsfahrplan nahezu einem Fünftel der Landkreisbürger bei der Eingewöhnung helfen kann. Manche Projekte klingen einfach - und können doch so wichtig sein. Beispielsweise das Lernpatenprogramm für Schüler, Azubis und Deutschkurs-Teilnehmer. Oder das Projekt von Ehrenamtlichen und Praktikanten, die in den Sommerferien mit Kindern in kleinen Gruppen Bücher aus dem Vorlesekoffer lesen. Auch wird mithilfe eines interkulturellen Trainings die Kompetenz von Schülern gestärkt, so dass sie sensibel werden für verschiedene kulturelle Prägungen, was wiederum Streitigkeiten vorbeugt. Alle drei Programme werden fortgeführt. Barbara Huber vom Fachbereich "Asyl, Integration und Migration" im Landratsamt bricht auch eine Lanze für das sogenannte Hippy-Projekt, bei dem Eltern lernen, wie sie ihre Kinder gut auf den Schulstart vorbereiten. Dafür kommen sogenannte Hausmütter, die die Muttersprache sprechen, ins Haus der jeweiligen Familie.

Bild einer Flucht: Dieses Bild des damals achtjährigen Amir wurde 2017 in Rahmen einer Ausstellung in der Sparkasse Starnberg gezeigt. (Foto: Nila Thiel)

Wichtig findet Huber auch das interkulturelle Frauentreffen: Frauen aus verschiedenen Ländern kommen mit deutschen Frauen zusammen und sprechen über wichtige Themen, bei denen sie auch ihre Sprachkenntnisse verbessern können. Neu im Programm des Integrationsfahrplans sind Bildungslotsen. "Sie sind ebenfalls Migranten, die in der Schule die Lehrer bei Elterngesprächen unterstützen." Auch sollen für Asylbewerber Bewerbertrainings angeboten werden, um ihnen die hier geltenden Spielregeln am Arbeitsplatz zu erläutern und auch dabei zu helfen, dass sie Jobs oder Ausbildungsplätze finden. "Ganz neu organisieren wir einen interkulturellen Stammtisch in einem Café in Starnberg," berichtet Huber. Dazu würden die Bildungslotsen und die Sprach- und Kulturvermittler ebenso eingeladen wie die Mitarbeiter des Ausländerbeirats. Weiterhin wird für die Wohnraumbörse geworben. Und es gibt Fortbildungen für Führungspersonal von Schulen und Kindergärten, bei denen gezeigt wird, welche Traumata Kinder und Jugendliche durch Fluchterlebnisse erlitten haben.

Integration funktioniert über Arbeit und Sprache - das weiß auch Bernhard Sontheim

Verständlich, dass es viele Projekte auch weiterhin geben soll. "Die Maßnahmen sind alle sinnvoll und wertvoll für die Integration", sagte Sabine Neumann, Leiterin des Fachbereichs Asyl, Integration und Migration bei der Vorstellung des angepassten Fahrplans im Kreisausschuss des Landkreises. Das sahen die Kreisräte trotz der angespannten Finanzsituation des Landkreises ähnlich: Sie stimmten den jährlichen 48 500 Euro zu - darunter auch Feldafings Bürgermeister Bernhard Sontheim, der zu den besonders sparsamen Kreisräten zählt. Integration funktioniere schließlich über Arbeit und Sprache, sagte er. Und die lohne es zu fördern.

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