Abhängige Rentner:Alt, einsam, süchtig

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Die Gefahr lauert in der Flasche: Immer mehr Rentner betäuben ihre Einsamkeit mit Alkohol - die Zahl der süchtigen Senioren steigt rapide an.

Julia Stürzl

Sie sind einsam und verzweifelt und bekämpfen die Leere mit Alkohol oder Tabletten: Immer mehr Senioren leiden an Suchtkrankheiten. Da aber betrunkene oder verwirrte Rentner nicht ins Schema passen, wird die Situation der Betroffenen von der Gesellschaft meist verharmlost oder verdrängt. Ein Bericht des Bezirks Oberbayern zur Arbeit von Suchtberatungsstellen zeichnet ein besorgniserregendes Bild: Die zunehmende Abhängigkeit der Senioren von Alkohol oder Medikamenten zieht sich quer durch alle sozialen Schichten, die Zahl der Rentner, die professionelle Hilfe benötigen, steigt konstant an.

Immer mehr Rentner sind abhängig von Alkohol und Medikamenten. (Foto: dpa)

Der Entwicklungsbericht für 2009 belegt, dass immer mehr ältere Menschen süchtig nach Drogen sind. In Starnberg gab es allein im Jahr 2009 einen Anstieg der Drogenberatung um zehn Prozent im Vergleich zu 2007. Der Anteil der 50- bis 64-jährigen Klienten stieg um 24,3 Prozent und bei den 65-jährigen sogar um fast 40 Prozent. Die Abhängigkeit von Alkohol belegt mit mehr als 50 Prozent den ersten Platz, dann folgen Schlaf-, Schmerz- und Beruhigungsmittel (15 Prozent) und Cannabis (11,2 Prozent).

Der Leiter der Suchtberatungsstelle Condrobs in Starnberg, Stefan Wenger, sagt: "Alte Menschen dosieren ihre Medikamente häufig zu hoch, was schnell zu einer Abhängigkeit führen kann." Warum aber besteht vor allem bei Senioren eine immer höhere Suchtgefahr? "Der Wechsel vom Erwerbsleben in die Rente ist für viele Menschen schwierig, denn im Alter kommt es zu familiärem Wandel, Einsamkeit und fehlender sozialer Einbindung. Die Menschen werden immer älter und haben einen längeren Lebensabend zu bewältigen. Oft fehlt dann eine sinnvolle Aufgabe."

Diese Probleme träfen nicht nur arme Leute. Auch Professor Felix Tretter, Fachbereichsleiter vom Kompetenzzentrum Sucht im Isarklinikum Haar warnt vor voreiligen Schlüssen: "Vom Trend her hat die Zahl der suchtkranken Senioren zwar zugenommen, es gibt aber verschiedene Ursachen dafür."

Condrobs ist eine der Einrichtungen, die Süchtige vor und während ihres Entzugs betreut. "Bei extremen Fällen gibt es auch noch eine intensive Nachsorge in Form von betreutem Wohnen", erklärt Bernd Feidner. Die meisten Drogensüchtigen hätten nach dem Entzug Probleme mit der Wiedereingliederung in den Alltag, so wie der 57-jährige E., den Feidner betreut.

"Erst wollte ich keinen Entzug machen"

Der Patient spricht langsam und reflektiert über seine Vergangenheit als Alkoholsüchtiger. Wenn ihm etwas zu nahegeht, nestelt er an einer Taschentuchpackung oder starrt auf seine Hände. Die Erinnerung an diesen schweren Lebensabschnitt ist noch immer frisch. "Wenn man Alkoholiker ist, lebt man im Halbdelirium. Man hat kein Selbstwertgefühl mehr und man schämt sich, aber man braucht den Alkohol auch. Wenn man keine Aufgabe mehr hat, ist das Suchtrisiko sehr hoch, weil man sich überflüssig und gesellschaftsuntauglich fühlt", erzählt E. und holt tief und rasselnd Luft, dann fängt er an zu husten. "Erst wollte ich keinen Entzug machen. Man redet sich selber ein, dass man gar nicht süchtig ist." Der Weg zurück in die Normalität sei schwer.

Um der Leere des Alltags und somit der Sucht vorzubeugen, empfiehlt Wenger, man solle "soziale Kontakte und Freizeitbeschäftigungen auch im Alter aufrechterhalten". Denn die Sucht kann zwar überwunden werden, die gesundheitlichen und seelischen Narben aber bleiben. "Wenn man sieht, wie viel durch den Alkohol kaputt geht, ist es das nicht wert", findet E. im Nachhinein.

© SZ vom 17.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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