Stadtversammlung der Grünen:Der Aufstand der Schafe

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Als man sich noch grün war: Sabine Nallinger (Mitte) nach ihrer Kür zur OB-Kandidatin im März 2013 - eingerahmt von zwei Stadtvorsitzenden. (Foto: Robert Haas)

Seit die gescheiterte OB-Kandidatin Sabine Nallinger von ihrer Fraktion abserviert wurde, ist der Ärger bei den Grünen groß. Die Basis ist sauer auf die Parteispitze. Doch kaum jemand wagt sich dort aus der Deckung.

Von Dominik Hutter und Silke Lode

Bei den Grünen rumort es gewaltig angesichts des Umgangs mit der gescheiterten OB-Kandidatin Sabine Nallinger, inzwischen sind sogar erste Rücktrittsforderungen an den Stadtvorstand laut geworden. Ein Stadtparteitag vor zwei Wochen, unmittelbar nach dem Scheitern der Koalitionsgespräche mit CSU und SPD, verlief noch überraschend ruhig; doch seither kippt die Stimmung an der Parteibasis. Auslöser war die Wahl der Fraktionsspitze im Rathaus, bei der Nallinger leer ausging. Die einstige Spitzenfrau ist seither einfache Stadträtin.

Hinzu kamen gezielte Indiskretionen aus den Reihen der grünen Stadträte: Das Protokoll der ersten Fraktionssitzung nach dem endgültigen Scheitern der Koalitionsgespräche gelangte an die Öffentlichkeit. Bei diesem Treffen waren sehr offene Worte gefallen. Stadtchefin Katharina Schulze, Nallingers früherer Konkurrent Hep Monatzeder sowie die Stadträtin Jutta Koller hatten scharfe Kritik an Nallinger geübt und ihr die Schuld dafür zugeschoben, dass die Grünen nach 24 Jahren nun in die Opposition müssen.

Zahlreiche Austritte

Für Guido Bucholtz, den Vizevorsitzenden des Bezirksausschusses Ramersdorf-Perlach, hat der Umgang mit Nallinger "das Fass zum Überlaufen" gebracht: Er ist aus der Partei ausgetreten. Und er ist nicht der einzige, der diesen Schritt getan hat. Von einer Austrittswelle will im Stadtbüro der Grünen zwar niemand etwas wissen. Zehn oder 20 Parteiaustritte habe es aber mit ähnlichen Begründungen gegeben, bestätigt ein Mitarbeiter. Bucholtz stört sich vor allem daran, dass Nallinger als Schuldige hingestellt wird, obwohl ein Team aus fünf Personen für das Verhandlungsergebnis verantwortlich sei. Schon vor der Stichwahl hat der langjährige Grünen-Politiker mehrfach versucht, seine Partei auch von direkten Gesprächen mit der CSU zu überzeugen - ohne Erfolg. Er macht vor allem Katharina Schulze und die nun wiedergewählte Fraktionschefin Gülseren Demirel für diese Blockadehaltung verantwortlich.

"Mir ging es nicht um Schwarz-Grün, sondern darum, mit allen zu sprechen", betont Bucholtz. Dass die CSU irgendwann auf stur gestellt hat, überrascht ihn nicht: "Das ist der Verdienst unserer Verhandlungsdelegation", sagt er. "Die haben eine fette Schleimspur Richtung SPD gemacht - und sind jetzt darauf ausgerutscht." Für dieses Ergebnis sei aber nur Nallinger "radikal abgesägt" worden. "Konsequenterweise müsste auch der Stadtvorstand, also Sebastian Weisenburger und Katharina Schulze, seinen Hut nehmen", fordert Bucholtz. Solange die beiden das Sagen hätten, sei für ihn eine Rückkehr zu den Grünen nicht denkbar.

Zukunft von Sabine Nallinger
:"Ich habe keinen Plan B"

Sabine Nallinger wollte Oberbürgermeisterin werden, nun steht sie ohne Amt da. Auch den Fraktionsvorsitz überlassen ihr die Grünen nicht. Nun will sich die 50-Jährige wieder auf etwas konzentrieren, für das sie lange keine Zeit hatte.

Von Dominik Hutter

Schafe und Wölfe

Ähnlich drastisch äußern sich andere Parteimitglieder. Die Vorwürfe richten sich fast unisono gegen den Stadtvorstand und die Fraktionsspitze. Von "vollkommenem Versagen" ist die Rede, von "autokratischem Agieren". Ausgerechnet bei den Grünen, die sonst keine offene Debatte scheuen, wollen die Kritiker jedoch nicht namentlich zu ihren Aussagen stehen. Einer erklärt das so: "Bei den Münchner Grünen gibt es viele Schafe und ein paar Wölfe. Die Wölfe, also diejenigen, die auf den Stadtversammlungen Regie führen, haben alle im Griff und die Schafe trauen sich nicht aus der Deckung." Insbesondere mit Stadtchefin Schulze lege sich niemand an, der bei den Grünen noch irgendetwas werden wolle.

Laut war allerdings der Aufschrei, als sich abzeichnete, dass sich Nallinger nach dem aufreibenden Wahlkampf als einfache Stadträtin einreihen sollte. Nallinger hat sich zwar um keines der Ämter beworben, offiziell weil sie sich zunächst von den Strapazen des Wahlkampfs erholen will - "ich habe keinen Plan B", hatte sie kurz nach dem Scheitern der Bündnisgespräche gesagt und angekündigt, erst im Sommer zu entscheiden, wie es weitergeht. Doch ihre Unterstützer stellen die Situation völlig anders dar. Bereits vor der internen Wahl haben etwa 50 Grünen-Mitglieder einen Brief an die Rathaus-Fraktion unterschrieben, in dem sie die Stadträte auffordern, Nallinger zu ihrer Fraktionschefin zu machen.

In diesem Brief unterstellen ihre Unterstützer, Nallinger trete nicht an, da sie um die Stimmungslage in der Fraktion wisse und fürchte, durch eine drohende Niederlage erneut beschädigt zu werden. Die Autoren wollten deshalb, dass die Fraktion Nallinger zur Kandidatur auffordert - schließlich sei sie die bekannteste Grüne in München und habe der Partei zu ihrem historisch besten Wahlergebnis verholfen. Eine Antwort haben sie nie bekommen - und die Fraktion bestätigte Florian Roth und Gülseren Demirel im Amt, Stellvertreterin wurde Sabine Krieger.

Ob sich die Kritiker des Parteivorstands bei der Stadtversammlung an diesem Donnerstag aus der Deckung trauen, ist offen. Nallinger selbst gibt sich versöhnlich, räumt aber ein, dass es im Verhandlungsteam unterschiedliche Positionen gab, ob eine Zusammenarbeit mit der SPD noch sinnvoll ist. Eben diese Kritik ist aus der Partei heraus öfter zu hören - dass Mitglieder der grünen Delegation schon während der Gespräche aufgegeben und dann nicht mehr mit der nötigen Ernsthaftigkeit agiert hätten. "Es sind Fehler passiert", stellt ein Grünen-Politiker fest. Als belastet gilt inzwischen auch das persönliche Verhältnis zwischen Nallinger und der umtriebigen Parteichefin Schulze. Schulze war am Mittwoch nicht zu erreichen. In der Partei gilt es aber als ausgemachte Sache, dass weder sie noch Weisenburger bei der Vorstandswahl im kommenden Frühjahr erneut kandidieren werden.

© SZ vom 05.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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