Sportschießen:Fünf Ringe unter den Augen

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Eigentlich ist Selina Gschwandtner die klare Nummer eins ihres Teams. Zurzeit steht sie aber eher als wertvolle Aushilfe am Schießstand. (Foto: Johannes Simon)

Viele Olympia-Schützen spüren noch die Strapazen von Rio. Selina Gschwandtner hilft ihrer HSG zwar, aber Konkurrenten wie Prittlbach sind einfach frischer

Von Julian Ignatowitsch, München

So ein Bundesliga-Wettkampf kann für manchen Schützen schnell mal zu einer halben Weltreise werden, auch wenn er offiziell eigentlich als Heimspiel gilt. Der Russe Nazar Louginets von der HSG München zum Beispiel hat in nur drei Tagen mehr als 5000 Kilometer zurückgelegt. Von Krasnodar kam er nach München, schoss zwei Wettkämpfe für sein Münchner Team auf der Olympia-Anlage in Hochbrück und flog dann wieder zurück in die russische Heimat; zwischendrin machte er einen kurzen Halt bei einem Freund in der Nähe von Augsburg. Für einen international erfolgreichen Sportschützen ist so ein Reiseprogramm ganz normal. Immerhin lohnten sich die Strapazen: Die HSG siegte am Wochenende dank Louginets' Mithilfe zweimal mit 3:2 Punkten, im Lokalderby gegen den "Bund" München und gegen Waldkraiburg. Als Drittplatzierter der Gruppe Süd liegt das Team auf Endrundenkurs. So weit alles gut.

Viele Stunden im Flugzeug und Übernachtungen im Hotel - das kennt auch die deutsche Top-Schützin Selina Gschwandtner, ebenfalls bei der HSG München. Sie war in diesem Jahr schon in Bangkok, Baku und zweimal in Rio de Janeiro, davon einmal als Teilnehmerin bei den Olympischen Spielen. "Das sportliche Highlight meiner bisherigen Karriere", sagt sie und atmet durch. Die gute Stimmung im deutschen Haus, den Erfolg ihrer bayerischen Kolleginnen Barbara Engleder und Monika Karsch, Cocktails an der Copacabana - das alles hat sie noch vor Augen. "Das alles war aber auch sehr anstrengend", sagt sie.

Aktuell hat sich die 22-Jährige selbst eine Reisepause verordnet und ist froh, wenn sie wie an diesem Wochenende im eigenen Bett in München schlafen kann.

Gschwandtner steht anders als Teamkollege Louginets exemplarisch für diejenigen Athleten, die sich nach den Sommerspielen eine kleine Auszeit nehmen. Internationale Wettkämpfe absolviert sie in diesem Jahr nicht mehr, und in den Flieger steigt sie höchstens, um in den Urlaub zu kommen. Nach vielen kräftezehrenden Monaten brauchen Kopf und Körper, beim Schießen vor allem der Kopf, eben mal eine Pause. "Die Motivation lässt einfach ein wenig nach", schildert Gschwandtner. Zumal sie als Studentin für Luft- und Raumfahrttechnik eine doppelte Belastung hat und nicht wie manch anderer Profi, der bei der Bundeswehr oder der Sportförderung ist, ausschließlich auf den Schießsport fokussiert ist.

Gschwandtner schießt derzeit also nur in der Bundesliga, auch das Training hat sie auf eine Einheit pro Woche reduziert. Uni-Bibliothek statt Schießstand. Im Verein ist sie deshalb aktuell nur auf Position vier geführt, normalerweise ist sie die klare Nummer eins. Eigentlich wollte die 22-Jährige auch nur die Hälfte der Wettkämpfe in dieser Saison bestreiten, aber durch eine Verletzung von Teamkollegin Nina-Laura Kreutzer ist sie nun doch regelmäßiger gefordert. "Ich will das Team ja nicht hängen lassen", sagt sie. Ihre Ergebnisse sind momentan zwar nicht ganz so hoch wie sonst, diesmal 394 und 393 Ringen, aber an der hinteren Position reicht das im Normalfall, um den Sieg davonzutragen. So gesehen geht die Rechnung auf: Gschwandtner macht weniger, ihre Mannschaft profitiert trotzdem.

Und dann ist die gebürtige Reischacherin auch mit der Planung für die Zukunft beschäftigt. Sie muss sich ein neues Team suchen, weil die HSG München ihre Luftgewehr-Mannschaft für die kommenden Saison abgemeldet hat. "Wir müssen das akzeptieren", sagt Gschwandtner nüchtern zu der Entscheidung. Ihr Vater und Trainer Theo soll sich in Zukunft verstärkt um die Jugendteams kümmern. Tochter Selina führt derzeit Gespräche mit anderen Vereinen, denn die Bundesliga bietet für Schützen mit Prämien auch einen finanziellen Anreiz. Ein heißer Kandidat für einen Wechsel ist sicherlich der "Bund" München, der eine Nachfolgerin für die scheidende Olympiasiegerin Engleder sucht und vom Prestige und Umfeld her die passende Adresse wäre.

Beim zweiten Münchner Traditionsverein läuft es in dieser Saison bislang nicht so gut: nur Platz neun, das Finale fast schon außer Reichweite. Auch hier zehrt die lange Saison mitsamt den Sommerspielen noch an den Kräften. Dafür dominiert Germania Prittlbach aus dem Münchner Norden nach zwei weiteren Siegen (jeweils 3:2 gegen Waldkraiburg und Saltendorf) als einziges ungeschlagenes Team und Tabellenführer die Bundesliga. Die Prittlbacher haben eben keinen Olympia-Teilnehmer in ihren Reihen, dafür viele aufstrebende, junge Schützen, die mental frisch sind und durchgehend Top-Ergebnisse erzielen. Dort hat der Österreicher Martin Strempfl den längsten Weg. Gut 300 Kilometer aus der Steiermark, aber längst keine halbe Weltreise.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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