TSV 1860 München:Die Reaktion der 2plus

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Torwart Marco Hiller und seine Mitspieler bedanken sich bei den Fans, die trotz der zähen Vorstellung ihrer Löwen niemals pfiffen. (Foto: imago/ActionPictures)

Eigentlich sollte Marco Hiller der zweite Torhüter in der zweiten Mannschaft des TSV 1860 München sein, jetzt spielt er vor 12 500 Zuschauern für die Löwen.

Von Gerhard Fischer, München

Der TSV 1860 München hatte viele außergewöhnliche Torhüter. Petar Radenkovic natürlich, den Radi, der lässig die Bälle hielt, Ausflüge über die Mittellinie machte und mit schiefen Tönen eine Platte besang: "Bin i Radi, bin i König." Oder den reaktionsschnellen Thomas Zander, der ungefähr vier Millionen Elfmeter hielt. Den Herzenslöwen Michi Hofmann, der mit 44 noch als Torwart in der Landesliga aushilft, beim SV Türkgücü. Und, klar, Gabor Kiraly, der Slim-Fit verachtete, weite Schlabberhosen trug und davon träumte, den Ball in einem Punktspiel gegen die eigene Latte zu werfen und wieder aufzufangen; er ließ es dann lieber.

Heute steht Marco Hiller, 20, im Tor der Löwen, und das ist eine Überraschung. Als 1860 doppelt abstieg, gingen die Keeper Stefan Ortega und Jan Zimmermann. Das war zu erwarten, sie wollen höherklassig spielen - Ortega kam bei seinem Ex-Klub Bielefeld unter, Zimmermann bei seinem Ex-Klub Frankfurt. Und im Löwen-Tor sollte künftig Max Engl stehen. Eigentlich.

Engl war Stammtorwart der U21, die unter Trainer Daniel Bierofka in der vergangenen Saison Regionalliga-Zweiter geworden ist. Aber Max Engl tat etwas, was nicht zu erwarten war: Er wechselte zu Rot-Weiß Erfurt. Die Thüringer spielen zwar etwas höher als die Löwen, nämlich in der dritten Liga; aber Engl ist dort nur Ersatz. "Bei mir hätte er immer gespielt", sagte Bierofka.

Marco Hiller war bei der U21 so etwas wie die 1b oder die 2plus bei den Torhütern. Er machte in der vergangenen Saison acht Punktspiele. Mal war Engl verletzt, mal mit den Profis unterwegs, mal belohnte Bierofka den talentierten Hiller einfach mit einem Einsatz. Und der Tormann zeigte dann, wo seine Stärken liegen: im Fliegen. Und in der raschen Reaktion. Hiller boxte die Bälle aus dem Kreuzeck, und die Beobachter wunderten sich, wie schnell und hoch der Junge springen kann.

Allerdings hat er Schwächen, wenn er die Kalklinie zwischen den Pfosten verlässt. Manchmal verpasst er die Bälle, die in seinen Strafraum flattern; zuletzt geschah dies am Mittwoch in Buchbach, wo Hiller wie ein Handballtorwart mit ausgebreiteten Armen und Beinen aus dem Tor sprang - aber ins Leere griff. Der Ball prallte Mitspieler Felix Weber an den Körper und von dort ins Tor. Vielleicht denkt Bierofka in diesen Szenen an Hillers Stellvertreter Alexander Strobl, den 1860 vor der Saison vom TSV Buchbach verpflichtete, oder an einen Mr. X, einen Tormann, den Sechzig noch holen könnte. Neulich hieß es, der TSV 1860 sei am Ex-Nürnberger Patrick Rakovsky interessiert, der vor Jahren ein paar Bundesliga-Spiele gemacht hat.

Daniel Bierofka lässt sich nicht auf Spekulationen ein. Er sprach Marco Hiller nach dem Buchbach-Spiel sein Vertrauen aus. "Der Trainer hat gesagt, ich solle den Fehler abhaken, nach vorne schauen und eine Reaktion zeigen", verriet Hiller nach dem 2:0-Sieg gegen 1860 Rosenheim am vergangenen Samstag.

Wenn man einen Torwart auffordert, Reaktion zu zeigen, hört sich das lustig an, weil ein Torwart ja immer eine Reaktion zeigen soll. Aber Bierofka meinte es natürlich im Sinne von: sich rehabilitieren. Hiller tat das gegen Rosenheim. Natürlich gehört auch Glück dazu, wenn man in 1:1-Situationen Sieger bleibt, aber der junge Torwart hat es gegen Danijel Majdancevic und Markus Einsiedler auch geschickt gemacht: Er blieb lange stehen und bot keine Ecke an. "Marco hat uns in diesem Spiel sehr geholfen", sagte Bierofka hinterher.

Marco Hiller spielt schon seit neun Jahren für Sechzig und verkörpert damit die neue Identität des Teams, das - auch notgedrungen - auf Eigengewächse wie Felix Weber, Christian Köppel oder Kilian Jakob setzt, die entweder bei 1860 groß geworden sind oder bei Vereinen aus München und dem Umland: bei Olympia Moosach oder dem FC Dreistern etwa. Hiller kam als Elfjähriger von Grün-Weiß Gröbenzell.

Die Jungs sind zurückhaltend, aber keiner läuft abweisend und mit dem Handy am Ohr an der Mixed-Zone vorbei, wie Bundesliga-Spieler das tun. Auch Marco Hiller wirkt scheu. Aber er antwortet sehr freundlich, etwa auf die Frage, ob es ihn nervös mache, vor 12 500 Zuschauern zu spielen; Bierofka sagt ja immer, die Jungen müssten sich daran erst gewöhnen. Hiller sagt: "Es ist etwas Neues, aber es macht mich nicht nervös - es motiviert mich noch mehr." Manchmal wirkt er aber noch nervös, vor allem, wenn er den Ball am Fuß hat. Gegen Rosenheim schoss er einmal Stürmer Einsiedler an und seine Verteidiger mussten die Situation klären.

Im Rosenheimer Tor stand übrigens ein 1860-Anhänger: Dominik Süßmaier. Sein Trainer Tobias Strobl hatte der tz vor dem Spiel gesagt, Süßmaier sei "der glühendste Löwen-Fan, der beim Abstieg auch Tränen in den Augen hatte. Mehr blau geht nicht." Beim 1:0 patzte Süßmaier. Vermutlich der erste Löwen-Sieg in seinem Leben, über den er sich geärgert hat.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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