Tennis:Krumme Beine, feine Klingen

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Aloe Blacc bringt das Publikum zum Wippen, Putzfrauen sind im Social-Media-Modus, Boris Becker tut was für die Jugend - und einen kleinen Zuschauerrekord gibt's auch beim BMW-Open-Sieg von Alexander Zverev.

Von Gerald Kleffmann

Das Bild der Woche bot eine Putzfrau. Es war Samstagabend, als sie sich hochschlich, fast unscheinbar, bis zum Ende des Geländers jener Treppe, die in den VIP-Bereich führte. Auf der Bühne vorne bewegte sich gerade die Soulgröße Aloe Blacc wie ein Panther hin und her, während er mit seinem Hit "I need a dollar" das im Cocktail-Abend-Stil gekleidete Publikum zum Wippen brachte. Rechts aus der Hosentasche der Putzfrau lugten noch Gummihandschuhe hervor. In der Hand hielt sie ihr Handy, sie nahm es hoch, und dann filmte sie strahlend die Szenerie, live für ihre eigene Facebookseite.

Aus dem Hintergrund war zu erkennen, dass Freunde oder Follower der Frau Kommentare schickten aufs mobile Gerät, in Arabisch, und das war dann eine interessante Vorstellung: Wie irgendwo in der Welt da draußen Menschen die Social-Media-Seite einer Reinigungshilfe verfolgten, um ein bisschen hautnah dabei zu sein, bei diesen BMW Open. Es ging zwar nicht um Tennis diesmal, klar, aber das Konzert im Rahmen der FWU Night, die der zweitwichtigste Sponsor, ein Versicherungskonzern, finanzierte, war trotzdem ein Ereignis, das den Charakter des Münchner ATP-Turniers wiedergab: War mal wieder einiges los. Sportlich wie gesellschaftlich. Der große Gatsby hätte am Aumeisterweg seine Freude gehabt. Zumindest bleibt einiges mehr hängen als nur ein neuer Zuschauerrekord seit 2012 (damals 39 500) mit mehr als 38 000 Zuschauern.

Der Auftritt von Toni Nadal zum Beispiel. Toni Nadal schaute gleich zu Beginn des Turniers vorbei. Er ist 57 Jahre alt, hat eine Bräune wie ein Skilehrer in Lech und das passende Lächeln dazu. So wie Toni Nadal möchte man altern. Er stemmte die Hände in die Hüften, und dann erzählte er, wie das so ist, der Onkel von Rafael Nadal zu sein. Trainiert hat er den inzwischen 16-maligen Grand-Slam-Champion quasi dessen Leben lang, drei war der kleine Rafa, als Toni ihn erstmals mit dem Schläger ausstattete. Nur jetzt tut Toni es nicht mehr. Er promotet die gemeinsame Tennis-Akademie in Manacor, auf Mallorca, das ist ihr Zuhause. Natürlich denke er sich manchmal, ja, wäre schön, bei Rafael zu sein, wenn der spiele. "Aber ich bin nicht mehr sein Coach", wusste er zu berichten, das passe so. Carlos Moya ist nun Rafaels Trainer, aber reden über den Neffen, das kann Toni immer noch wie kein Zweiter. So plauderte er über einen speziellen Moment in Rafaels Karriere.

Balljunge und Sonderbotschafter der Zentralafrikanischen Republik für Sport: Boris Becker

2005, lange her also, da sagte ein Arzt, Rafael brauche dringend Schuheinlagen, wegen krummer Beinstellung. Toni Nadal biegt jetzt seine Füße nach außen, zur Anschauung. Prächtige O-Beine ergeben sich. Diese Position habe zu Verschiebungen der Körperstatik bei Nadal geführt und schließlich zu Rückenproblemen. Es habe sogar ein Arzt gemeint, Rafael werde nie mehr als Profi Tennis spielen können. Vielleicht stimmt das so, vielleicht hat Toni Nadal auch einfach ein Gespür für Dramatik, jedenfalls beinhaltet diese Version echten Nachrichtenwert. Wenn man sich nämlich vorstellt, das wäre so eingetreten, Nadal hätte einfach nicht mehr gespielt, und man müsste deshalb alle Siege und Rekorde von Nadal löschen, da würde dem Tennis doch plötzlich viel fehlen.

Toni Nadal hatte noch ein bisschen weiter geredet, aber am beeindruckendsten an diesem Nachmittag, nachdem er sein Training mit Kindern beendet hatte, war summa summarum einfach seine cool zu nennende Präsenz. Seine berühmte Spiegelbrille setzte er dann auch noch auf.

Als Toni Nadal sich auf den Heimweg machte, wurde er wie bei einem Staffellauf vom nächsten bekannten Protagonisten abgelöst. Boris Becker war für ein dreitägiges Camp mit jungen Spielern des Deutschen Tennis-Bundes angereist. Zwei Tage konnten die Besucher auf den hinteren Plätzen der Anlage den früheren dreimaligen Wimbledonsieger bestaunen, wie er immer wieder engagiert Anweisungen gab, sich vom linken Platz zum rechten drehte, sofort wieder Schläge ohne Schläger in der Hand vorführte. Auch Bälle hob er höchstpersönlich auf und warf sie Rudi Molleker, 17, Louis Weßels, 19, und Marvin Möller, 19, zu.

Über sein neues Amt, als Sonderbotschafter der Zentralafrikanischen Republik für Sport und kulturelle Angelegenheiten in der EU, sprach er nicht. Tennis stand im Vordergrund, und selbstverständlich Alexander Zverev, zu dem Becker eine spezielle Verbindung pflegt. Irgendwann, prognostizierte er, werde Deutschlands bester Profi ganz Großes erreichen. Noch stünde eine erklärbare Winzigkeit im Wege. "Bei Grand Slams geht es um Krafteinteilung und Konzentrationspausen", sagte Becker, "das haben momentan die etwas Älteren besser im Griff." Grand Slams hätten nach wie vor viel mit Erfahrung zu tun. Die Jüngeren hätten noch nicht so das Wissen, wann sie die Konzentration erhöhen müssen und wann sie sie wieder runterfahren können. Dann nannte er ein Beispiel, zwei junge erwachsene Söhne habe er ja, und da habe er festgestellt: "Die Konzentrationsphase von 20-Jährigen ist maximal 20 Sekunden, und jetzt verlängern Sie das mal über 14 Tage, das ist verdammt schwer." Wenn Beckers Theorie stimmt, wäre es im Rückblick noch erstaunlicher, wie er selbst damals als 17-jähriger Rotschopf in Wimbledon die Trophäe holte.

Becker erinnerte sich schließlich daran zurück, dass er sehr wohl einmal in seinem Leben ein Sandplatzturnier gewonnen hatte. Wenn auch nicht im Einzel, das war ihm nie vergönnt, trotz Matchbällen einmal in einem Finale. "Das war 1984, im Doppel mit Wojtek Fibak." Mit dem Polen siegte er in München, und wer hätte gedacht, dass er 34 Jahre später immer noch eine Bindung zu diesem Turnier pflegt, die offenbar jedes Jahr intensiver wird. Vor zwölf Monaten hatte er den Iphitos Award verliehen bekommen, nun ehrte er als Laudator Alexander Zverev. Er habe mit diesem Preis warten müssen, bis er 49 Jahre alt war, haderte Becker lächelnd. Zverev griff die Vorlage sofort auf und erwiderte schlagfertig: "Dafür habe ich nicht mit 17 Wimbledon gewonnen."

Dieser harmlose launige Flow ist es, der die Veranstaltung beim MTTC Iphitos seit Ewigkeiten auszeichnet. Es ist kein Mega-Turnier wie die US Open, kein Ereignis, das auch jeden Tag die Menschen in Sylt, Recklinghausen und Berlin beschäftigt. Aber als Turnier der untersten ATP-Kategorie (250er) funktioniert es. Wobei die Sache mit dem Award in den nächsten Jahren kniffliger werden könnte. Die wichtigsten Personen haben nun schon sowohl den Preis erhalten als auch als Laudator operiert. Andererseits: Kreativ waren die Veranstalter immer. Als der Schotte Andy Murray kam, wurde er sofort geehrt, vor dem ersten Schlag. Einfach so, weil er da war.

Gaël Monfils und Fabio Fognini scheitern mal wieder früh - was Konsequenzen haben dürfte

Natürlich hat das Turnier Sponsoren, die einiges zahlen, um ihre Werbebotschaften zu verbreiten. Oft genug werden in dieser Welt des PR-Sprechs Wortblasen verwendet, wenn aber Manfred Dirrheimer spricht, lohnt es sich, hinzuhören. Vor allem wenn man zufälligerweise Gaël Monfils und Fabio Fognini heißt. Der Franzose und der Italiener sind zwei charismatische Profis, der eine ein Akrobat, der andere ein Heißsporn. Dirrheimer ist Chef der Münchner Forschungsgesellschaft FWU und seit vielen Jahren beim Münchner Turnier engagiert, die beiden Profis sponsort er privat noch dazu. Nun ereignete es sich wieder, dass Monfils und Fognini gleich verloren, beide mit einem jeweils lustlos gespielten dritten Satz. Es war nicht das erste Mal, dass sie aus welchen Gründen auch immer in München enttäuschten, wenn sie überhaupt antraten (Monfils zog öfters schon kurzfristig wegen angeblicher Verletzungen zurück). Die Auftritte seiner Spieler, so Dirrheimer, "geben mir zum Nachdenken Anlass, und wer mich kennt, weiß, ich denke nicht nur nach". Er sah "raschen Handlungsbedarf", er hätte gerne mehr Eifer gesehen, denn "wir zahlen ja auch mit Eifer unsere Beiträge". Das war mit feiner, süffisanter Klinge zwischen den Zeilen gesprochen. Gut möglich, dass diesem "Turnier der Superlative", wie es Iphitos-Präsident Peter Bosch in der ihm eigenen griffigen Art verkündete, eine Super-Rüge folgen wird, vielleicht gar gepaart mit einem Ende einer Partnerschaft zwischen einem wichtigen Geldgeber und seinen Spielern.

Bei der Players Party, stets die Mutter aller Tennis-Partys, schaute mal eben Clueso vorbei

Im Vorjahr hatte Sieger Alexander Zverev eine eingefrorene und pünktlich zum Finale aufgetaute Lederhose überreicht bekommen, diesmal schenkte man sich den Part mit dem Einfrieren, was einerseits schade war. Andererseits hätte der Gag auch nicht funktioniert. Es war zu warm, schon am Quali-Wochenende hätte das Leder hervorgeblitzt aus der Kugel. So gesehen hat Veranstalter Michael Mronz, der die Turnierlizenz vom MTTC gepachtet hat, auch dies richtig gemacht. Der Eventmanager aus Köln äußerte sich sehr zufrieden mit der Woche, legte aber auch Wert darauf zu betonen, dass es ihm immer um eine langfristige Weiterentwicklung des Turniers gehe. Mit Patrik Kühnen als Turnierdirektor werde selbstredend weitergemacht, dessen Vertrag läuft ja aus. In beschwingter Atmosphäre zogen alle Verantwortlichen Bilanz, es würde nicht verwundern, wenn die werten Herren demnächst ihre berufliche Liaison aufs Private ausdehnen und gemeinsam in den Urlaub fahren (freilich ohne Monfils und Fognini). Möglicherweise waren die guten Schwingungen auch noch Ausläufer einiger Feierlichkeiten während der Woche. Bei der Players Party, stets die Mutter aller Tennis-Partys, schaute mal eben Clueso singend vorbei, der Barde aus Erfurt. Und die groovige Nacht mit Blacc (der an diesem Abend erstmals seit dem Tod von Avicii das gemeinsam produzierte Lied "Wake me up" öffentlich vortrug und dabei sehr ergriffen war) lag ja erst Stunden zurück. In einer Angelegenheit forderte Dirrheimer jedoch mit Nachdruck Mronz auf, aktiv zu werden: Bei dem guten Wetter könne man "schlecht weiter vom härtesten Sandplatzturnier der Welt sprechen", urteilte der Unternehmer, "Michael, das ist ein Problem, ich denke, ein Re-Branding ist nötig."

Wie wäre es damit, wie Murray, der Champion aus dem Jahre 2015, gemeint hatte: "It's a nice tournament in the club" - es ist ein nettes Turnier in einem Klub. Das ist heutzutage doch eine Leistung.

© SZ vom 07.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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