SpVgg Unterhaching:An der Schnittstelle

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Auf dem Weg nach oben: Patrick Hasenhüttl gibt im Kopfballduell den Weg von Türkgücü vor. (Foto: Markus Fischer/imago)

Der ehemalige Co-Trainer Steffen Galm ist Hachings Kaderplaner und das Bindeglied zum Nachwuchs des Vereins. Dessen Entwicklung stimmt ihn positiv - die der ersten Mannschaft gibt eher Anlass zur Sorge.

Von Andreas Liebmann

Am liebsten, sagte Steffen Galm sehnsüchtig, stünde er jetzt auf dem Platz, um mit jungen Spielern zu arbeiten. In den Hachinger Sportpark war gerade etwas Leben zurückgekehrt nach der Corona-Pause. In Kleingruppen durfte man wieder trainieren, die erste Mannschaft bereitete sich auf die Wiederaufnahme der Drittligasaison und ihres Aufstiegsprojekts vor. Es war ein warmer Frühlingstag voller Vorfreude. Lange her. "Ich bin Trainer durch und durch, das ist schon etwas, das mir abgeht", gestand Galm. Dann dachte er einen Augenblick über seine Worte nach und korrigierte: "Nein, am liebsten würde ich den ganzen Tag nur Fußball spielen. Aber das kann ich ja schon mein halbes Leben lang nicht mehr."

48 Jahre ist Galm alt. Bis zur vergangenen Saison war er Co-Trainer der SpVgg Unterhaching. Seitdem fungiert er als "Leiter Entwicklung und Kaderplanung". Eigentlich müsste er wohl Technischer Direktor heißen, aber das passe nicht zu Haching. Es gibt keine Direktoren in diesem Verein, in dem selbst der Vorsitzende Manfred Schwabl bei seiner Wahl mit dem "großen Wort Präsident" fremdelte.

Die Wochen des Stillstands dürften eine schwierige Zeit gewesen sein, für den Verein, die Spieler, aber auch für Steffen Galm. Was will man schon entwickeln oder planen, wenn nicht klar ist, wann, wie oder ob es nach der Krise weitergeht. Und für welche Liga: Für die zweite? Die dritte?

"Das würde schon alles stimmen", antwortete Galm an jenem unbeschwerten Frühlingstag - "wenn wir jetzt erst angefangen hätten." Tatsächlich seien sie schon in der Winterpause fertig gewesen mit der Kaderplanung für nächste Saison. Deshalb habe er die Wochen des Lockdowns als beinahe entspannt erlebt. Um ein paar strukturelle Dinge habe er sich gekümmert, vor allem im Nachwuchs-Leistungszentrum (NLZ). Als dann täglich E-Mails und Anrufe von Beratern kamen, die Spieler anboten, eröffnete er ihnen mit verschmitztem Grinsen, dass sie seit Januar durch seien mit allem, egal für welche Liga. Ihm gefielen die verblüfften Reaktionen. "Wir sind sehr zufrieden mit unserem Kader."

Im Wesentlichen ist es derselbe wie der alte. Auslaufende Verträge, mit Dominik Stahl oder Steve Kroll, wurden verlängert, nur Verteidiger Alexander Winkler müsse man nach Kaiserslautern ziehen lassen. Hinzu kämen Lucas Markert, 19, Mittelfeldspieler vom Bayernligisten ATSV Erlangen, sowie Julien Richter, 21, Angreifer vom Regionalligisten Wacker Burghausen; außerdem eine Handvoll Talente, die verliehen waren, meist an Kooperationspartner 1860 Rosenheim, und einige aus eigener Förderung, die noch in der Jugend spielen dürften. "Das ist doch die Basis, wenn alle bleiben und Junge dazukommen", sagte Galm. Höchstens für den Fall, dass man reagieren müsse, weil etwa noch Spieler weggekauft würden wie im Vorjahr Stefan Schimmer (Heidenheim) oder sich einer schwer verletze, führe man eine Kandidatenliste, eine Art Schattenkader.

"Wichtig ist, welches Vertrauen man in die Spieler hat, was man bei ihnen für eine Fantasie hat."

An diesem Samstag (14 Uhr) gastiert die Spielvereinigung beim TSV 1860 München. Die Chance auf den Aufstieg ist dahin, Frust ist eingekehrt. Während einer Serie von sieben Partien ohne Sieg sind nicht nur die Löwen vorbeigezogen, und spätestens seit dem Kreuzbandriss von Routinier Dominik Stahl dürfte auch die Schattenkandidatenliste wieder weit oben auf dem Schreibtisch liegen. "Wir hatten deutlich mehr erwartet, aber wir sind aus dieser Negativspirale nicht herausgekommen", versucht Galm zu erklären, was seit Ende Mai passiert ist, also den Sturz von Tabellenplatz zwei auf zehn. "Nach jedem Negativerlebnis kam mehr Kopfkino dazu."

Steffen Galm hat eine Schlüsselposition inne in diesem Klub, der es sich unter Schwabl zur Aufgabe macht, Spieler möglichst selbst auszubilden. Er ist das Bindeglied zwischen Profis und NLZ. "Das ist nicht der Mainstream-Zweitligakader", das wusste Galm natürlich auch schon an jenem Frühlingstag, als viele noch so zuversichtlich waren. "Wichtig ist doch, welches Vertrauen man in die Spieler hat und was man bei ihnen für eine Fantasie hat." Oft sehe man erst, was Talente wirklich draufhätten, wenn sie regelmäßig zum Einsatz kämen, siehe etwa Torwart Nico Mantl. "Wir halten sehr viel von den Jungs." Trotzdem dürfte auch Galm nach den jüngsten Erfahrungen noch einmal neu ausloten, wie viel Jugend erlaubt ist auf dem Weg in Liga zwei, den Präsident Schwabl weiter als Ziel vorgibt. "Unsere Sinne sind geschärft, dass wir vielleicht noch mal etwas tun müssen", sagt er. "Wir haben wahrgenommen, dass wir das eine oder andere überdenken müssen." Die am Donnerstag verkündete Rückkehr des Angreifers Patrick Hasenhüttl von Türkgücü dürfte ein erster Schritt sein. "Er ist einer, der gern den Ball jagt", charakterisiert Trainer Schromm den 23-Jährigen, der aus Hachings Jugend nach knapp zehn Jahren zunächst zum VfB Stuttgart ging; "unglaubliche Mentalität und Intensität" zeichne ihn aus, "und eine sehr hohe Bereitschaft."

Eine grobe Kursänderung ist nicht zu erwarten. "In den letzten ein, zwei Jahren hatten wir ein paar Probleme mit der Quantität der Spieler, die wir herausgebracht haben", sagt Galm. "Das war der gestiegenen Qualität der A-Mannschaft geschuldet und ein paar Jahrgangslücken, aber die haben wir jetzt nicht mehr." Die Verträge von Deniz Haimerl, 17, Daniel Hausmann, 17, und Viktor Zentrich, 16, haben sie gerade um je drei, den von Jannis Turtschan, 18, um zwei Jahre verlängert. Das ist ihr Weg.

Galm hat die Schlüsselrolle nicht alleine inne. Cheftrainer Claus Schromm hat ebenfalls immer ein Auge auf den Nachwuchs, Schwabl erst recht, und das NLZ wird sportlich von Marc und Patrick Unterberger geleitet. Die Rollen seien nicht genau getrennt, erklärt Galm, vieles werde im Team erarbeitet, jeder mache ein bisschen alles und entscheide mit. Am Ende müsse es Schwabl gefallen. "Das macht Haching aus", findet Galm. Er habe das kürzlich mit dem Satz erklärt: "Jeder wirft rein, was er kann" - in einem Interview "mit der Heimat", wie Galm sagt.

Die Heimat, damit meint der Unterfranke Schweinfurt. Den FC, bei dem sein Vater Präsident war. Wo er selbst als Fußballer begann, obwohl sein Körper dafür offenbar nicht geschaffen war. "Mit 15, 16 hat man mir dringend zum Aufhören geraten, da war ich schon fünf Mal operiert." Aber er habe eben einmal in diesem Stadion einlaufen wollen. Acht oder neun Knie-OPs waren es am Ende, er weiß es gar nicht genau, aber knapp 40 Einsätze sind es nach seiner Zählung doch geworden, davon sieben in der zweiten Liga. Mit 20 beendete er seine aktive Karriere. Nach Unterhaching kam Galm, inzwischen Inhaber einer Naturheilpraxis in Starnberg, erstmals 2002, als Therapeut, Individualcoach, dann als U-19-Trainer - und sogar Standby-Spieler. Tatsächlich brachte er es hier bis 2005 noch auf neun Bayernliga-Einsätze. Als Trainer war er je zwei Jahre beim SV Pullach, in der Jugend der Münchner Löwen, beim BCF Wolfratshausen und beim TSV Murnau erfolgreich, ehe er im Januar 2016 Hachings Co-Trainer wurde. Eigentlich habe er dann vier Jobs gehabt, erklärt er, auch für das NLZ, die Kaderplanung und das Scouting sei er mit zuständig gewesen. Deshalb habe er vor der laufenden Saison auf jenen Part verzichtet, der ihm "nicht ganz so wichtig war, aber viel Energie verbraucht hat": Patrick Irmler als neuen Co-Trainer hat er selbst empfohlen. Galm sei auch im Sportlichen weiter "ein wichtiger Baustein", versichert Schromm, im Training immer dabei, die Spiele sehe er oben von der Tribüne aus. "Er beobachtet viel und gibt uns mit seiner Erfahrung immer wieder Hinweise." Aktuell fange er "die erste Welle ab" von Spielern, die nicht zuletzt die Corona-Krise auf den Markt spüle.

Galm hat also nun als Teil des Teams "das große Ganze" im Blick. Macht Videoscouting, Networking, wie er sagt, und verwendet einige Energie in die Kooperation mit Rosenheim. Die sei zunächst mit heißer Nadel gestrickt worden, aber sehr wichtig für das Gesamtkonzept, daher "wollen wir sie intensivieren und leben".

Vielleicht können sie bis Saisonende zumindest noch die Münchner Löwen überholen. Galm, Schromm, Schwabl und ein halbes Dutzend Spieler haben ja eine Sechzig-Vergangenheit. Es ist ein warmer Sommertag, und das ist wohl das einzige kleine Ziel, das ihnen in dieser Saison geblieben ist. Für Steffen Galm ist es nicht mal das: "Ich kann voller Inbrunst sagen: Das interessiert mich überhaupt nicht. Entscheidend ist einzig die Konzentration auf uns selbst."

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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