Sportschießen:Nervenstarke Apothekerin

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„Das war jetzt keine Überraschung für mich“: Julia Simons Trainer hat offenbar schon damit gerechnet, dass seine Schützin deutsche Meisterin wird. In Garching gelang der Oberpfälzerin damit eine Premiere. (Foto: Claus Schunk)

Die Außenseiterin Julia Simon bezwingt Selina Gschwandtner im Luftgewehrfinale - und wird deutsche Meisterin.

Von Niccolo Schmitter, Garching

Selina Gschwandtner zielte noch hoch konzentriert auf die Scheibe 10 Meter vor ihrem Visier, da drehte sich Julia Simon um und strahlte Richtung Publikum. 10,3 flimmerte auf der Anzeigetafel, gleichbedeutend mit dem deutschen Meistertitel bei den Luftgewehr-Schützinnen. Eigentlich sei sie ja eine langsame Schützin im Wettkampf, so Simon. Doch ausgerechnet den letzten und alles entscheidenden Schuss setzte sie schneller in die Mitte der Zielscheibe als ihre Kontrahentin.

Zuvor hatte sich Simon mit Gschwandtner, die in München studiert, ein Kopf-an-Kopf-Duell über das gesamte Finale geliefert. Es schien das Duell zweier ewiger Konkurrenten zu sein, die seit Jahren um die Vorherrschaft in ihrem Sport kämpften. Tatsächlich schoss dort aber eine ehemalige Weltcup-Gewinnerin, Europameisterin und Olympiateilnehmerin gegen eine Apothekerin aus der Oberpfalz.

Während Gschwandtner einen brechend vollen Trophäenschrank vorweisen kann, belief sich Simons größter individueller Erfolg bislang auf die Qualifikation für die Europameisterschaft 2018 in Ungarn. Jetzt ist sie zum ersten Mal deutsche Meisterin im Luftgewehr. Die Erwartungen von Robert Senft hat sie damit aber trotzdem nicht übertroffen: "Das war jetzt keine Überraschung für mich." Ihr Trainer von der SG Eichenlaub Saltendorf weiß, wenn sie es einmal in ein Finale schaffe, dann werde sie immer mitreden: "Sie ist unheimlich nervenstark, das ist ihre Stärke."

Tatsächlich gelangte Simon gerade mal als Vorletzte in die Endrunde. Dort war sie aber von Anfang an immer unter den ersten beiden Schützinnen zu finden. "Ein Finale selbst ist für mich immer eine absolute Spaßsache, da kann ich meine Stärken ausspielen", sagt die 27-Jährige. Dass sie als deutsche Meisterin den Schießsport immer noch als "Hobby" und "Ausgleich" zu ihrem Beruf bezeichnet, passt in dieses Bild. Es verschafft ihr das Maß an Lockerheit, das anderen Sportschützen auf diesem Niveau wohl fehlt. "Das sind auch lauter Berufsschützen, die sind bei der Bundeswehr oder bei der Polizei - die schießen nur", sagt auch Senft. Julia sei da eine gewisse Außenseiterin, sie habe als Apothekerin eine normale 40-Stunden-Woche und könne sich dementsprechend auch nur auf das Luftgewehr als Disziplin konzentrieren.

Die plötzliche Leistungssteigerung der Schützin vollzog sich in der vergangenen Saison, und fragt man nach den Gründen, so erhält man ganz unterschiedliche Antworten. Simons Antwort fällt typisch aus: mehr Lockerheit. Jetzt, wo sie ihr Studium beendet habe und fest als Apothekerin arbeite, habe sie nicht mehr die ganzen Prüfungen und die Lernerei im Hinterkopf. Senft hat hingegen eine andere Erklärung.

Die SG Eichenlaub Saltendorf ist seit 2016 in der 1. Bundesliga Süd vertreten, Simon war in der vergangenen Saison bei den Wettkämpfen oft an Nummer eins gesetzt. "Ihre Gegner waren dann immer Top-Schützen aus dem Ausland", erklärt Senft. Daran sei sie ziemlich gereift und habe den Sprung nach vorne geschafft. Zum Sprung nach vorne hat sie auch ihrer Mannschaft verholfen, die SG Eichenlaub wurde zum zweiten Mal in Folge Meisterschaftszweiter. Im Laufe des Jahres hat sie schon mehrfach mit der Nationalmannschaft trainiert, auch das habe sie weitergebracht, meint Coach Senft. Inzwischen ist Simon Teil des Nationalkaders, der Deutschland vom 31. August an im südkoreanischen Changwon bei der Weltmeisterschaft vertreten wird. Dort will Simon einfach nur ihr Bestes geben, "aber natürlich stärkt das einen total, wenn man sieht, dass man unter Druck Leistung abliefern kann." Dass der Druck bei einer Weltmeisterschaft ein ganz anderer sein wird, ist ihr aber auch klar.

Schlendert man über die Schießanlage in Garching-Hochbrück, vergisst man leicht, dass man sich bei einer nationalen Meisterschaft befindet. Zwischen Messeständen und Bratwurstbuden herrscht ein freundliches Miteinander, alte Bekannte sehen sich wieder, Hände werden geschüttelt. Hier herrscht die Atmosphäre eines lockeren Schützenvereins-Treffens - nur auf ungleich höherer Ebene. "Die WM ist erst ihr zweiter großer internationaler Wettkampf", warnt Senft. "Da ist es dann schon wieder schwierig, die eigene Leistung bringen zu können." Ob Julia Simon ihre Nervenstärke nach Südkorea mitnimmt, wird sich also zeigen. Zuzutrauen ist es ihr.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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