Sportschießen:Fünf Jahre für 0,5 Millimeter

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Wie die Münchnerin Michaela Walo Weltmeisterin mit der Armbrust wurde.

Von Katharina Brumbauer und Raphael Weiss

Noch ein letztes Mal abdrücken, dann ist Michaela Walo Weltmeisterin. "Vor dem Schuss hat mein ganzer Körper vibriert," sagt die 25-jährige. Er vibrierte, weil ihr Körper nicht mehr wusste, wohin mit dem ganzen Adrenalin, das jeder Herzschlag durch ihre Adern pumpte. Sie erzählt, wie sie die Armbrust aufhob, fest an die Schulter drückte, so fest, dass sie die Waffe überall spürte. Wie sie anvisierte, die Waffe so ausrichtete, dass sie im Lot war und sie über die Zielscheibe zielte - und sie dann langsam nach unten bewegte, bis der Lauf genau auf diesen einen kleinen Punkt gerichtet war. "Und dann hab ich sofort abgedrückt. Der Druck ist da so extrem - das ist meine Chance. Später werde ich immer zu unruhig."

Auch zwei Wochen später hellt sich das fröhliche Gesicht der Schützin noch einmal auf, wenn sie über ihren WM-Triumph redet. Ihre Augen werden feucht, das Lächeln noch breiter. Walo schüttelt ihre braunen Locken, als könne sie es noch immer nicht glauben: "Beim Finale ist mein Puls immer extrem, aber diesmal war es zusätzlich wahnsinnig eng. Jeder Schuss hat gezählt." Walo hatte nur einen Punkt Vorsprung. "Normalerweise starte ich immer ein bisschen wackelig ins Finale. Aber diesmal hab ich gleich eine Zehn geschossen, das war einfach toll."

"Die ist einfach sensibler, die verzeiht dir keinen Fehler": Früher schoss Michaela Walo mit dem Luftgewehr. Heute bevorzugt sie die Armbrust. (Foto: privat / oh)

Eine Zehn: Das ist ein im Durchmesser nur 0,5 Millimeter großer Kreis, den man aus zehn Metern Entfernung mit dem Kolben treffen muss, um die höchste Punktzahl zu bekommen. Mit einer Sport-Armbrust, die optisch nur noch wenig mit jener Waffe zu tun hat, mit der Wilhelm Tell einst seinem Sohn einen Apfel vom Kopf geschossen haben soll. Es sind moderne Hightech-Geräte, oft in Neonfarben.

Nach einem Wettkampf "steckt die Anspannung im ganzen Körper", sagt Michaela Walo

Das WM-Finale fand in Osijek/Kroatien statt. Das Team fuhr zwölf Stunden mit dem Bus in die rund 800 Kilometer entfernte Kleinstadt. Eine Fahrt, die sich gelohnt hat: Walo holte auch den WM-Titel mit der Mannschaft, im Einzel landeten ihre Teamkolleginnen auf Platz zwei und drei. "Dass wir alle zusammen auf dem Trepperl standen, das war gigantisch", sagt Walo im Münchner Dialekt. Nach dem Turnier blieb sie noch ein paar Tage in Kroatien, Urlaub mit den Eltern. "Es ist mir wichtig, dass ich nach so einem Wettkampf wieder runter komme. Die Anspannung steckt da im ganzen Körper."

Walos Eltern waren bei der SG Schützenliesl Fasanarie-Nord, "da bin ich schon als kleiner Stumpf immer mitgelaufen und war überall dabei", sagt die Feldmochingerin. Zunächst schoss sie mit dem Luftgewehr, ehe sie 2010 zum "Bund" in den Münchner Westen wechselte, in den Verein von Olympiasiegerin Barabara Engleder. "Ein absolutes Goldstück", findet Walo. "Mit der versteh ich mich bestens - aber es gibt auch niemanden, der sich mit der Barabara nicht versteht." Der gesamte Verein hatte Engleder bei ihrer Rückkehr von den Olympischen Spielen 2016 am Flughafen empfangen.

Beim "Bund" merkte Walo schnell, dass ihr die Armbrust liegt: "Die ist einfach sensibler, die verzeiht dir keinen Fehler." 2012 kaufte sie ihre erste Armbrust, ein Jahr später nahm sie bereits an ihrer ersten Europameisterschaft teil. Beim "Bund" kann sie ihren Ambitionen nachgehen. Anders als bei ihrem ersten Verein arbeitet sie dort mit Leistungssportlern und hat einen eigenen Trainer. Walo schreibt ihre eigenen Trainingspläne, beschäftigte sich intensiv mit ihrer Technik, arbeitete an Abläufen und lernte viel über das Material ihrer Waffe. Nach fünf Jahren ist sie nun Weltmeisterin. Ihr zweiter Titel in diesem Jahr, nachdem sie im Juni schon bayerische Meisterin geworden war, doch ungleich größer.

Anders als für Engleder ist der Weltmeistertitel der größte Erfolg, den Walo erreichen kann. Das Schießen mit der Armbrust ist nicht olympisch. Auch wenn sie deswegen nicht vom DOSB unterstützt wird und von ihrer Paradedisziplin nicht leben kann, sieht sie darin auch Vorteile: "Man kennt sich untereinander, es ist alles intensiver. Das wäre bestimmt nicht so, wenn Armbrustschießen olympisch wäre." Auch ohne Olympia hat der Sport Zuwachs. Mittlerweile wird nicht nur in Bayern, sondern auch in Norddeutschland vermehrt mit der Armbrust geschossen, bei der WM 2015 in Russland waren erstmals Schützen aus der Mongolei vertreten, in der Schweiz gibt es die ersten Profis.

Walo ist gelernte Industriekauffrau und arbeitet als Buchhalterin bei Airbus. Ihre 35-Stunden-Woche lasse sich gut mit dem Training vereinbaren. Für Wettkämpfe muss sie allerdings Urlaub nehmen. Ende August wird sie genau das wieder tun, dann steht die deutsche Meisterschaft an. Eine zwölfstündige Busfahrt muss sie dafür nicht antreten: Der Wettkampf findet in München statt. Walos Ziel ist klar: "Nach der bayerischen und der Weltmeisterschaft will ich jetzt das Triple."

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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