Skicross:Ein Rennpferd auf dem Waschbrett

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Elf Monate nach ihrem Kreuzbandriss kehrt Heidi Zacher in Arosa in den Weltcup zurück. Im Februar ist Weltmeisterschaft.

Von Ralf Tögel

Alles lief optimal. Ein Weltcupsieg, vier Mal auf dem Podest, Tendenz steigend. Dann der dritte Rang beim Weltcup-Rennen im schwedischen Idre Fjäll (auch wenn dort wegen des schlechten Wetters die Qualifikation gewertet worden war). Ein Rennen im kanadischen Nakiska stand noch an, die Generalprobe für die Olympischen Spiele in Pyeongchang. "Das ist die beste und stabilste Heidi, die ich je gesehen habe", jubelte Peter Stemmer, Cheftrainer der deutschen Skicross-Nationalmannschaft. "Sie ist fast auf jeder Strecke siegfähig, das Selbstvertrauen ist auch da." Stemmer sprach über Heidi Zacher. Ein paar Tage später sagte Wolfgang Maier, Alpin-Direktor im Deutschen Skiverband (DSV): "Als ich das hörte, habe ich gedacht: Das gibt's doch gar nicht, was haben wir nur verbrochen."

Es war der 14. Januar. Das deutsche Team trainierte noch auf der Strecke in Schweden, vor dem Abflug nach Kanada, zum letzten Rennen vor Pyeongchang. Dann stürzte Heidi Zacher: Kreuzbandriss, Saison beendet. Vier Jahre hatte die Lenggrieserin auf Olympia hintrainiert, es sollte der Höhepunkt einer bewegten Karriere werden, Zacher war in Topform.

Es war ein Seuchenwinter für den DSV. Kurz vorher hatte sich Slalom-Hoffnung Felix Neureuther das Kreuzband gerissen, auch er war in hervorragender Form, zählte zur überschaubaren Gruppe der alpinen Medaillenanwärter. Sein vorzeitiges Saisonende hatte Heidi Zacher schlagartig in die erste Reihe befördert, fortan war sie die große Goldhoffnung, die Aufmerksamkeit stieg mit jedem Tag. Der Rest ist Geschichte: Olympia endete für die Alpinen enttäuschend, erstmals seit 2006 in Turin reiste die Mannschaft ohne eine einzige Medaille heim.

Schicksalsberg: Heidi Zacher (Zweite v.l.) vor zwei Jahren beim Rennen im schwedischen Idre Fjäll, wo sie im Januar schwer stürzte und die Olympischen Spiele verpasste. (Foto: Christine Olsson / Reuters)

"Heidi hat alles richtig gemacht", sagt Heli Herdt. Fast ein Jahr ist vergangen seit Idre Fjäll. An diesem Sonntag beginnt die neue Saison mit dem Weltcuprennen im schweizerischen Arosa. Und mit Heidi Zacher. Der Sportliche Leiter der deutschen Skicrosser hält große Stücke auf seine erfolgreichste Athletin, sein Blick geht nach vorn, immer. Stürze gehören nun einmal zum Alltagsgeschäft, sagt Herdt, jeder Athlet im alpinen Bereich wisse um die Gefahr - und damit umzugehen. "Das sind Risikosportarten. So eine Verletzung ist ärgerlich, ja, aber nicht schlimm." Auch in dieser Saison sei das nicht anders. "Ich mag schon gar nicht mehr ans Telefon gehen, wenn der Physio anruft", sagt Herdt. Bisher habe es den Nachwuchsbereich getroffen - und Celia Funkler, die für den TSV 1860 München fährt. Die 20-Jährige ist am Epstein-Barr-Virus erkrankt, besser bekannt als Pfeiffersches Drüsenfieber. "Wir haben sie in den Süden geschickt", sagt Herdt, Sonne und Kraft tanken, den Kopf freibekommen. Cheftrainer Stemmer erklärt, dass "sie sich nicht anstrengen darf, sie kann nichts machen". Weihnachten wird Funkler zu Hause verbringen, dann werde man sehen. "Sie soll regenerieren", im Januar folgen genaue Untersuchungen, Stemmer hofft auf eine schnelle Rückkehr.

Bei Heidi Zacher ist "alles bestens", wie sie selbst sagt. Man muss wissen, dass die 30-Jährige eine wahre Frohnatur ist, sie blickt lieber optimistisch in die Zukunft statt mit dem Schicksal zu hadern. "Am besten geht man mit solchen Dingen ganz entspannt um", sagt sie, ihr Alter und die große Erfahrung seien dabei sehr hilfreich - ändern lasse sich sowieso nichts mehr. Und siehe da, ein bisschen Glück hat sie schon: Dass die beiden ersten Weltcup-Rennen in Val Thorens (Frankreich) und im österreichischen Montafon abgesagt wurden, kommt ihr durchaus zupass. Der Winter hat sich netter Weise Zeit gelassen, zu warm, zu wenig Wasser für die Schneeproduktion, erklärt Herdt.

Erst einmal weg: Celia Funkler. (Foto: imago/Sammy Minkoff)

Das kommende Weltcup-Wochenende ist für Zacher also noch eine Standortbestimmung. Die ersten Trainingsfahrten auf Schnee waren zwar sehr positiv, doch der Ernstfall, der direkte Kampf Frau gegen Frau, die riesigen Sprünge, die Steilkurven, die vielen Wellen im sogenannten Waschbrett, "das ist schon eine andere Belastung, da muss man sich erst mal überwinden". Der große Angriff ist erst für Ende Januar geplant, in Idre Fjäll, ausgerechnet. Saisonhöhepunkt ist dann die Weltmeisterschaft in Park City, USA, im Februar. Das Rennen von Arosa und die beiden folgenden in Innichen (20. bis 22. Dezember) bezeichnet Trainer Stemmer folglich als "Training". Zacher soll wieder ein Gefühl für Schnee und Ski entwickeln, zu ihrer starken Form des Vorjahres zurückfinden. Innichen im Pustertal ist ihre erklärte Lieblingsstrecke, dort hat sie vor Jahresfrist ein Weltcuprennen gewonnen. Weder Stemmer noch Herdt haben Zweifel daran, dass die Lenggrieserin bald wieder jenes Niveau erreichen wird.

Wegen der Absagen zählen nur die drei Rennen von Arosa und Innichen zur "Cross Alps Tour", im Vorjahr war Zacher bei dieser Extrawertung Zweite. "Ich denke, dass die Heidi drei, vier Rennen braucht, um in ihren Wettkampfrhythmus zu kommen", sagt Stemmer, vielleicht funktioniere es schon früher. "Sie hat auf jeden Fall die skifahrerische Klasse", ist der Trainer überzeugt: "Die Heidi kann dort attackieren, wo keiner damit rechnet." Zacher sei in der Lage, intuitiv die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Wieder da: Heidi Zacher. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Natürlich ist die Weltmeisterschaft das große Ziel, das Podest. "Heidi ist wie ein Rennpferd", sagt Stemmer, "ich traue ihr eine Medaille zu." Heli Herdt ist ähnlicher Meinung: "Die Heidi hat so viel Erfahrung, die muss man immer auf der Rechnung haben." Und Zacher selbst? "Mal sehen", sagt sie ganz gelassen, Schritt für Schritt. "Jetzt denke ich nur an Arosa."

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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