Rollstuhl-Basketball:L wie Leidenschaft

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Bundesliga, EM, Olympia? Manchmal ist Lisa Nothelfer, 22 und gerade erst mit dem USC München aufgestiegen, von ihrem eigenen Tempo überrascht

Von Carolin Ranz, München

Ob die Paralympics das Ziel seien? Auf Lisa Nothelfers Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. Ihr Lidstrich ist sauber gezogen, die rot gefärbten Haare hat sie zum Zopf zusammengebunden. Der Blick aus ihren blau-grünen Augen demonstriert Stärke. Lisa Nothelfer muss nicht überlegen. "Na definitiv!", sagt sie. Erst seit drei Jahren spielt die 22-Jährige Rollstuhlbasketball. Nachdem sie dieses Jahr maßgeblich am Aufstieg des USC München in die Bundesliga beteiligt war, folgte die Berufung in den erweiterten A-Nationalkader, der bei der WM 2014 Silber geholt hat. Lisa Nothelfer weiß um ihr Talent, doch diese schnelle Entwicklung hat sie überrascht. "Ich hätte gedacht, das kommt alles ein bisschen später auf mich zu", sagt sie, "aber das ist wohl die Belohnung dafür, was ich dieses Jahr geleistet habe." Überheblich klingt sie dabei nicht.

Schon immer habe sie einen athletischen Oberkörper, Krafttraining müsse sie nur wenig machen, sagt sie. Kaum zu glauben beim Blick auf ihr breites Kreuz und die muskulösen Arme, die mit zahlreichen Tattoos bedeckt sind. Fit halten muss sie sich aber dennoch zwischen den Spielzeiten. Vor allem das Ballhandling und das Lesen des Spiels lernt sie in dieser Zeit. "Da muss ich einfach drin bleiben, da brauchst du Routine."

Ihr Trainingsfleiß und ihre Leidenschaft zeichnen sie aus. Zudem fühlt sich Nothelfer einfach wohl in der Basketballhalle der Zentralen Hochschulsportanlage in München. Pendelt für das Training bis zu fünf Mal in der Woche von Kaufbeuren nach München, mit einem "stinknormalen Auto, das auf Handgas umgebaut ist". An diesem Dienstag trägt sie Freizeitkleidung. Jeans, rote Schuhe, eine dunkelgrüne Weste über dem schwarzen T-Shirt. Sie schaut den Kollegen beim Training zu und steigt nicht in den Sportrollstuhl. Eine Woche Trainingspause müsse sie einlegen, sich für den entscheidenden Nationalmannschaftslehrgang auf Lanzarote vorbereiten. Dazu gehöre Erholung.

Von Geburt an ist Lisa Nothelfer aufgrund eines sogenannten kaudalen Regressionssyndroms querschnittsgelähmt. Ihr Rückenmark hat sich im Bauch der Mutter nicht richtig ausgebildet, als sie zur Welt kam, war alles unterhalb des Halses taub. Dank einiger Operationen konnte der Querschnitt nach unten verschoben werden, auf Höhe des vierten Brustwirbels. Dennoch ist sie noch heute stark eingeschränkt. "Aber durch meinen ganzen Sport und meine Leistungen bin ich teilweise stabiler als andere, die einen tieferen Querschnitt haben", erklärt die Athletin, während sie mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf der Bank sitzt.

Wenn sie über ihre Behinderung spricht, wird Lisa Nothelfers Stimme ganz leise. Immer wieder fasst sie an ihre Kette, die sie um den Hals trägt. Der Anhänger ist ein silbernes "L". L wie Lisa. Sie gibt sich selbst Kraft. Auf die Frage, ob es in ihrem Leben ein Vorbild oder eine unterstützende Person gebe, antwortet sie trocken: "Nö, nur mich selbst." Es ist ihr anzumerken, dass sie sich immer durchkämpfen musste. Sie selbst bezeichnet sich als "Einzelkämpferin".

Ein wenig paradox erscheint es da, sich gerade in einer Mannschaftssportart so uneigennützig zu präsentieren. Denn sie hat nicht die Rolle der Werferin, sie wird nach einem Sieg nicht als Topscorerin gefeiert. "Ich habe auch ein sehr gutes Team erwischt, in dem mich einige Personen einfach sehr mitgerissen und motiviert haben", sagt sie. Nothelfer stellt Blocks, spielt Pässe, tut eben alles dafür, dass ihr Team punkten kann. Es gibt dankbarere Aufgaben, und sie habe lange Zeit benötigt, in diese Rolle hineinzufinden. Doch als sogenannte "Low-Pointerin" bleibt ihr nichts anderes übrig. 1,0 ist ihr Wert auf dem Feld, der niedrigste im Behindertensport, wegen der größten Einschränkung. Das Punktesystem reicht von 1,0 bis 4,5. Auf dem Spielfeld darf die Summe der fünf Spieler zu keiner Zeit über 14,0 liegen. Davon abschrecken lässt sich Lisa Nothelfer nicht. Auch oder gerade wegen ihrer nicht immer leichten Kindheit, in der sie "noch viel geheult hat, weil man im Rollstuhl hockt", sei sie jetzt eine umso stärkere Frau. Auf ihre Eigenständigkeit auch im Alltag ist sie stolz, und im Basketball setzt sie sich lautstark durch. "Ich habe eine große Klappe, das hört man auch auf dem Spielfeld", sagt sie und schmunzelt.

In der Bundesliga sind die Teams gemischt. Mit den Männern "kann ich es schon lange aufnehmen", sagt Nothelfer. In der Nationalmannschaft muss sie sich gegen Frauen durchsetzen. Einen Bonus gibt es nicht. "Um die freien Plätze im Kader wurde auf dem ersten Lehrgang echt gekämpft", sagt Lisa Nothelfer. Für sie, natürlich, ein Ansporn: Sie will Stammspielerin werden.

Von "Fußgänger"-Basketball hält sie hingegen nicht viel, das sei ihr zu langweilig. "Wenn ich sehe, wie die Hanseln sowieso nur zehn Zentimeter vom Korb entfernt sind, und dann auch noch anfangen zu hüpfen, um den Ball zu versenken - ich liege irgendwo am Boden und muss den Ball drei Meter hoch werfen", sagt Nothelfer. Beim Rollstuhlbasketball "weiß ich, was ich leiste." Irgendwann möchte sie von ihrem Sport leben können. Die Teilnahme an der EM in England im August wäre ein Schritt in diese Richtung. Ob sie einen Platz im Team bekommen hat, erfährt sie Anfang Juni - nach dem Trainingslager, das an diesem Freitag auf Lanzarote beginnt. An Lisa Nothelfers Einstellung wird es nicht scheitern.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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