Paralympics:"Ich habe versucht, mich durch­zuprügeln"

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Clara Klug, 23, sehbehinderte Biathletin aus München, spricht über ihre zwei Bronzemedaillen in Südkorea, Temperaturstürze, Stockbrüche, rettende Schreie und ihre Fahnenträger-Rolle.

Interview von Sebastian Winter

Clara Klug war nicht die erfolgreichste deutsche Sportlerin bei den Spielen in Pyeongchang, sie stand im Schatten der Gold-Gewinnerinnen Andrea Eskau und Anna Schaffelhuber. Klug hat es zugleich geschafft, bei ihrer Paralympics-Premiere mit ihrem Begleitläufer Martin Härtl zweimal Bronze zu gewinnen. Und man kann auch eines sagen: Die 23-jährige Münchnerin ist zu einem der Gesichter dieser Spiele in Südkorea geworden. Jedes ihrer Rennen war ein Drama, sie hat außerdem mutig Kritik am Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) geübt. Am Ende durfte sie mit Härtl die deutsche Fahne bei der Schlussfeier tragen. Nun ist sie froh, wieder daheim zu sein.

SZ: Frau Klug, sind Sie denn gut zurückgekommen am Montag vor einer Woche?

Clara Klug: Ja, und ich habe mich sehr gefreut, meine Familie und Freunde waren da, sogar eine Blaskapelle. Aber es war auch spät, und nach mehr als 24 Stunden Reise wollte ich nur noch in mein Bett.

Und haben wie Dornröschen geschlafen?

Leider gar nicht, weil es wegen der Zeitverschiebung dann schon wieder Frühstückszeit in Pyeongchang war. Ich war fidel, gleichzeitig todmüde, ein seltsamer Zustand. Dienstagmorgen war ich nach drei, vier Stunden Schlaf um halb sieben wach.

Können Sie denn schon ein erstes Fazit ziehen nach Ihren ersten Paralympics?

Ich kann absolut zufrieden sein mit unserer Leistung. Ich bin hingeflogen mit dem Bauchgefühl, eine Medaille ist möglich, die Erwartungshaltung war nach WM-Silber vom letzten Jahr auch da. Aber nach dem missglückten ersten Rennen hatte ich schon ein bisschen Schiss, ob das überhaupt klappt. Jetzt sind es zwei Bronzemedaillen, das runde Ding habe ich also doppelt dabei. Und natürlich hat die Geschichte, dass wir zwei Fahnenträger sein durften, das Ganze sehr schön abgerundet.

Sie waren mit Ihrem Begleitläufer Martin Härtl fahnenschwenkend bei der Schlussfeier sogar in der Tagesschau zu sehen. Eine beeindruckende Premiere.

Ich weiß nur noch nicht genau, ob ich das beeindruckend oder doch eher beängstigend finden soll. Auf der Rückreise habe ich dann auch einen leichten Panikanfall bekommen, als lauter Interview-Anfragen in meinen Mails standen. Ich weiß noch nicht, was da alles genau auf mich zukommt. Ich möchte in den nächsten Wochen ja meine Bachelor-Arbeit fertig bekommen, bevor das Training im Mai wieder losgeht. Das alles ist wahnsinnig spannend, ich freue mich auch total über die Medienpräsenz für unseren Sport. Aber es ist auch alles mit sehr viel Arbeit verbunden, das darf man nicht vergessen.

Völlig entkräftet liegt Clara Klug im Ziel. Gerade gewann sie mit 14 Sekunden Vorsprung auf ihre Verfolgerin die Bronzemedaille. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Wie war das überhaupt, bei der Schlussfeier die Fahne zu tragen?

Ich war erst einmal sprachlos, als wir die Nachricht bekommen haben, und hab ein Freudentänzchen aufgeführt. Bei der Abschlussfeier war es dann sehr witzig: Es ist alles durchgetaktet, man bekommt alles erklärt, kann keinen Millimeter falsch gehen. Wir sind strahlend eingelaufen, haben die Fahne gemeinsam geschwenkt, was schwierig war, weil der Wind mal wieder stark geblasen hat. Martin hatte immer Angst, dass uns die Fahne abhaut und jemanden erschlägt. Nach unserer Woche war das ja durchaus möglich. Im Innenraum hat man sie uns dann abgenommen, aber nicht gesagt, dass wir uns jetzt zu unserem Team setzen sollen. Wir waren total verwirrt, weil vorher alles minutiös geplant war, und uns dann diese Info fehlte.

Bekommt man die Atmosphäre im Stadion in solchen Momenten überhaupt mit?

Bei der Eröffnungsfeier haben die Blinden Audideskriptions-Geräte bekommen, wie es sie auch für Fernsehveranstaltungen gibt. Bei der Abschlussfeier hat mein Gerät leider nicht funktioniert, da hat Martin mir alles ein bisschen beschrieben. Beim Einlauf war die Musik so laut, dass man die Zuschauer fast nicht gehört hat, was ich ein bisschen schade fand. Meine Schwester hat mir aber von viel Jubel berichtet, sie saß ja mitten unter den Zuschauern.

Ist die Fahnenträgerrolle Ihr größter Moment gewesen in Pyeongchang?

Nein, man kann das nicht vergleichen mit den Wettkämpfen. Für mich war ein sehr bezeichnender Moment, nachdem ich mich endlich ins Ziel gerettet und meine erste Bronzemedaille gewonnen hatte. Es war so knapp, ich konnte das gar nicht glauben und habe immer wieder nachgefragt, alle drei Minuten: "Stimmt das wirklich?"

Lassen Sie uns Ihre Rennen rekapitulieren, das waren ja wahre Dramen. Zunächst der Auftakt über sechs Kilometer, wo so ziemlich alles schief ging.

Es fing damit an, dass ich keine Einlaufski hatte, weil es ein bisschen Chaos im Technikbereich gab. Martin gab mir seine, aber die sind komplett anders. Mit meinen eigenen Ski hab ich mich dann gleich beim ersten Anstieg im Rennen verhakelt. Am zweiten Anstieg bin ich in eine Streckenmarkierung eingefädelt und hab mich bäuchlings hingelegt. Bei der Abfahrt hat die Stockübergabe mit Martin dann nicht funktioniert und wir haben uns ausgebremst.

Erfolgreiches Duo: Clara Klug und ihr Begleitläufer Martin Hartl bei der Siegerehrung. (Foto: Vladimir Smirnov/imago/ITAR-TASS)

Das reicht schon für ein Rennen.

Es wird aber noch schlimmer. Bei der nächsten Abfahrt ist Martin gestürzt, ich bin über ihn drübergepurzelt, dadurch habe ich meinen Stock verloren und wir viel Zeit. Beim Schießen ist Martin dann aufgefallen, dass mein Stock angebrochen war. Der Ersatzstock war kürzer als mein eigener, und ich hatte das Gefühl, nicht mehr vorwärts zu kommen. Beim letzten Schießen noch ein Fehler, Strafrunde, irgendwie haben wir das Rennen zu Ende gebracht. Als wir über die Ziellinie sind, haben wir beide das Lachen angefangen, weil es so ein Mistrennen war. Dafür war Platz sechs noch richtig gut.

Das zweite Rennen drei Tage später über 10 Kilometer war ähnlich skurril.

Tja, das war unser Sommerbiathlon mit Schwimmeinlage. Es war unfassbar warm, 15, 16 Grad. Der Schnee war reiner Matsch, und das kommt mir gar nicht entgegen. Ich habe nur noch versucht, mich da irgendwie durchzuprügeln und zu schauen, dass ich selbst in der Abfahrt nicht stehen bleibe. Heftiger Wind kam dazu, zum Glück habe ich das Schießen gut durchgebracht.

Und dann sind Sie ein paar Meter vor dem Ziel plötzlich stehen geblieben.

Ich war total blau und habe nicht mehr mitgekriegt, was um mich herum passiert. Und Martins Rufe habe ich wegen des Windes und der lauten Zuschauer nicht gehört. In dem Moment habe ich mich fast fallen lassen, da hat Martin einen Schrei losgelassen, das war die Rettung. Wäre ich hingefallen, hätte es nicht mehr zu Bronze gereicht.

Wieder drei Tage später das dritte Rennen über 12,5 Kilometer. Das schwierigste?

Mental war es das schwierigste. Es war ein reines Kopfrennen, auch weil wir über Nacht einen Temperatursturz um 15 Grad hatten. Eigentlich sind das meine Bedingungen, aber die Kälte ging mir stark auf die Bronchien, ich hatte Asthmaprobleme. Gleich in der ersten Runde bekam ich so schlecht Luft, dass ich aufhören wollte, Martin kam dieser Bitte aber zum Glück nicht nach. Er hat mich mit ruhigen Anweisungen weitergezerrt bis hin zum Schießstand, hat das Tempo rausgenommen. Ich bin mit null Fehlern durchgekommen. Das ist sein Verdienst, ich bin nur für ihn gelaufen.

Der letzte Schrei: Begleitläufer Martin Härtl verhindert, dass sich Clara Klug schon vor dem Ziel erschöpft fallen lässt – und rettet damit Bronze. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Hatten Sie noch Energie zum Feiern?

Da ging es dann wieder. Es gab ja kein deutsches Haus, sondern ein Alpenhaus mit Deutschland, Österreich und der Schweiz, was ich eine grandiose Idee finde. Da haben wir mehrfach gefeiert, am Freitag nach der zweiten Bronzemedaille sogar in Tracht.

Ihre russische Konkurrentin Michalina Lisowa, die erst kurzfristig die Starterlaubnis vom IPC bekommen hatte, lief in Ihren Rennen zu zwei Mal Gold. Obwohl sie verdächtigt wird, in Sotschi manipuliert zu haben. Macht Sie das wütend?

Für mich ist das ein Thema, das das IPC und das IOC zu klären haben. Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, dass da aufgestellte Regeln angepasst und missachtet werden. Es ist nicht nur inkonsequent, sondern unfair allen Athleten gegenüber. Es zeigt, wie korrupt das alles ist. Michalina durfte starten, damit ist sie für mich eine Athletin wie alle anderen und hat es genauso verdient. Sie ist Donnerstag angereist und hat Samstag ein grandioses Rennen gelaufen, das muss man erst einmal hinkriegen.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Die erwähnte Bachelorarbeit, nebenbei werde ich aber trotzdem sporteln. Auf dem Laufband, oder einfach mal so, wie es einem Spaß macht und nicht immer nach Plan.

Und wo kommen die Medaillen nun hin?

Ich weiß es noch nicht. Momentan ist mein Wohnzimmer im Chaos versunken, weil ich viel Wäsche waschen muss. Gerade weiß ich nicht mal, auf welchem Regal die Medaillen liegen. Ich bin nicht diejenige, die sie in einer Vitrine an die Wand hängt. Aber eins ist klar. Sie werden einen besseren Platz bekommen als meine Medaillen aus dem Weltcup und der WM. Die liegen unwürdig in einem zerfallenen Pappkarton unter dem Schreibtisch.

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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