Jüdisches Museum:Durchgeboxt

Lesezeit: 3 min

Von Gefeierten und Geächteten, von Siegern und Besiegten: Die Ausstellung "Never Walk Alone" beschäftigt sich im Jüdischen Museum mit der Bedeutung des Sports für das jüdische Leben.

Von Philipp Jakob

Die weißen Strafraum-Markierungen fallen auf dem dunkelbraunen Parkett sofort ins Auge. Die Proportionen stimmen nicht, dennoch wird deutlich: Im zweiten Stock des Jüdischen Museums München betritt man keinen gewöhnlichen Ausstellungsraum. Man betritt ein Fußballfeld.

Oder besser gesagt: "Einen Kicker in Lebensgröße", wie Jutta Fleckenstein sagt. Aus den Seitenwänden ragen die vom Tischfußball bekannten Drehstangen heraus, an denen die Silhouetten von Fußballspielern befestigt sind. Nur sind sie in diesem Fall Dekoration. Die Stangen dienen als Präsentationsplattformen für die Exponate der Ausstellung "Never Walk Alone - Jüdische Identitäten im Sport", die von Fleckenstein kuratiert wird.

Judenverfolgung unter den Nazis
:Die Geschichte der mutigen Elisabeth Braun

Die Schriftstellerin war Tochter jüdischer Eltern. Im Hildebrandhaus in München versteckte sie 15 verfolgte Menschen - keiner von ihnen überlebte die Nazizeit.

Von Wolfgang Görl

Die Suche jüdischer Sportler nach Zugehörigkeit ist der rote Faden, der sich wie ein Zeitstrang über das Spielfeld schlängelt. Angefangen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als erste jüdische Sportler ihr Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Gesellschaft mit der Teilnahme an der Turnbewegung ausdrückten. "Gegen Ende der 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts wird Sport dann zum Massenphänomen", erklärt Fleckenstein, "alle machen mit."

Es kristallisierten sich auch jüdische Sportidole heraus. Sie feierten Erfolge, erfuhren Anerkennung. Bis sie von den Nationalsozialisten aus der Gesellschaft und damit auch aus dem Sport ausgegrenzt wurden. Jüdische Sportler gerieten in die "Abseitsfalle", wie es in der Ausstellung heißt.

Um die Besucher über das Spielfeld zu geleiten, bemüht Fleckenstein die Fußballterminologie. So setzen jüdische Sportler in der Nachkriegszeit zum "Konter" an und setzen in späteren Jahren "Treffer". Wie zum Beispiel David Dushman. In seiner Heimat feierte Dushman - einer der Befreier des Konzentrationslagers Auschwitz - im Alter von 28 Jahren den Titel als Fechtmeister der Sowjetunion. Später wurde er Trainer des UdSSR-Teams - trotz der Nachteile, die seine jüdische Herkunft auch dort mit sich brachte.

Schmerzhafte Erinnerung an die geliebten bayerischen Berge

"In der Sowjetunion bemühte man sich sehr, möglichst keine Juden in die Nationalmannschaft aufzunehmen", erzählt der 93-Jährige in einem Interview, das Teil der Ausstellung ist. Seine sportlichen Erfolge brachten Dushman aber Anerkennung und öffneten Türen. Bei den Olympischen Spielen 1972, die ihn erstmals nach München führten, gewann seine Mannschaft zwei Gold-, zwei Silber- und drei Bronzemedaillen.

Mehr als 30 Jahre lang war er Nationaltrainer, bis er 1996 als jüdischer Kontingentflüchtling erneut nach München kam. Dieses Mal blieb er. Auch in der Landeshauptstadt ging Dushman seiner Leidenschaft nach. Trotz seines Alters steht er bis heute regelmäßig in der Fechthalle.

Neben Dushmans Geschichte präsentiert die Ausstellung im Jüdischen Museum unter anderem auch das Schicksal von Bruno Roth. Der gebürtige Münchner emigrierte 1939 in die USA. Seine Wanderstiefel, die in der Ausstellung zu sehen sind, nahm er mit, verstaute sie aber zeitlebens in seinem Koffer. Vom Skifahren oder Bergsteigen hielt er im Exil Abstand. Zu schmerzhaft war die Erinnerung an die geliebten bayerischen Berge, die er gezwungen war zu verlassen.

In gewisser Weise verdrängte Roth einen Teil seiner früheren Identität und baute sich eine neue auf. Andere entwickelten laut Fleckenstein direkt nach dem Krieg "eine neue physische sowie mentale Stärke". Unter den sogenannten Displaced People entwickelte sich in der Nachkriegszeit - auch dank des Sports - ein jüdisches Alltagsleben.

Zur Belustigung der Wachmannschaft zum Boxen gezwungen

Neben Fußball waren vor allem Boxwettkämpfe sehr beliebt. Einer der größten fand im Januar 1947 in München statt, vor mehr als 2000 Zuschauern. Als Sieger der 50 Teilnehmer ging Hertzko Haft aus dem Ring. Im Konzentrationslager Auschwitz wurde er noch zur Belustigung der Wachmannschaft zum Boxen gezwungen. Im Circus Krone gewann er eine Apollo-Statue - und neue Anerkennung.

Auf insgesamt zwei Ebenen erzählt die Ausstellung die Geschichten zahlreicher jüdischer Sportler. Darunter bekannte wie die von Kurt Landauer, dem ehemaligen Präsidenten des FC Bayern, aber auch bisher unbekannte. Die Idee dazu entstand im Rahmen der Planungen für einen Ort des Gedenkens an das Olympia-Attentat von 1972, der voraussichtlich im September dieses Jahres eröffnet wird.

Fleckenstein fand es interessant, "die Begeisterung für Sport in das Thema unseres Hauses zu integrieren". Zwei Jahre hat sie mit ihrem Team an der Ausstellung gearbeitet. Nun kann der Ball auf dem überdimensionalen Kickertisch rollen.

"Never Walk Alone - Jüdische Identitäten im Sport": 22. Februar 2017 bis 7. Januar 2018, Jüdisches Museum München, St.-Jakobs-Platz 16. Zur Ausstellung ist ein Katalog erhältlich (Hentrich & Hentrich, Berlin 2017, 240 Seiten, 24,90 Euro)

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

NS-Architektur
:Was München vom Nazi-Wahnsinn blieb

Haus der Kunst, Musikhochschule oder eine ganze Mustersiedlung: Überall in München stößt man auf Architektur der Nationalsozialisten. Wie soll man heute damit umgehen?

Von Wolfgang Görl (Text) und Johannes Simon (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: