Herrsching:Globalisierung am See

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Windige Brasilianer, verwurzelte Deutsche und eine slowenische "Granate" namens Jan Pokersnik: Der Kader der Herrschinger Erstliga-Volleyballer bekommt ein internationales Gesicht

Von Sebastian Winter, Herrsching

Am Samstag möchte Daniel Malescha mit seinem Bruder Florian endlich die Beachvolleyball-Saison einläuten. Beim Masters in Unterschleißheim startet das Duo mangels vieler Qualifikationspunkte aus den Tiefen der Setzliste, exakt von Rang 19, ins Turnier. Das Spiel im Sand ist für Malescha eine willkommene Ablenkung, denn Stand Donnerstag hatte sich der Hauptangreifer des Erstligisten Herrsching noch immer nicht entscheiden können, ob er bleibt oder zum Rekordmeister Friedrichshafen geht. Oder gar nach Frankfurt, zu diesem aufstrebenden Klub, der erst im Playoff-Halbfinale scheiterte. "Ich gehe davon aus, dass er geht. Er soll das ausprobieren, aber unsere Türen stehen offen", sagt Herrschings Trainer Max Hauser schon fast fatalistisch.

Auch die Herrschinger werden langsam ungeduldig mit ihrer Schlüsselpersonalie Malescha, diesem sensiblen 22-Jährigen, der zweifelt, ob es richtig ist, sein Studium in München auf Eis zu legen und in ein Haifischbecken voller international gestählter Profis zu springen - allerdings protegiert vom künftigen VfB-Trainer Vital Heynen, dessen Wunschkandidat Malescha ist. Ungeduldig deshalb, weil sie wegen der Hängepartie keinen Ersatz für ihren Punktegaranten verpflichten können. Die meisten Diagonalspieler werden aber genau jetzt gehandelt. "Wir waren an einem Kanadier dran, der ist aber schon weg", sagt Herrschings Marketingmanager André Bugl. "Wir müssen jetzt handeln."

Dafür haben die Herrschinger auf einer anderen wichtigen Position, dem Außenangriff, "eine echte Granate" gefunden, wie Bugl sagt: Jan Pokersnik, 26, slowenischer Nationalspieler. Der Zwei-Meter-Mann hat vergangene Saison mit dem Schweizer Klub Lugano in der Champions League gespielt, der Verein hatte dann Finanzprobleme. Offenbar waren mehrere deutsche Klubs an dem wuchtigen Angreifer und Annahmeexperten interessiert, Pokersnik und seine Beraterin entschieden sich für Herrsching. Der Klub will den Transfer am Freitag öffentlich machen.

Roy Friedrich (li.) übt den Ballwurf auch künftig beim TSV, Julius Höfer (über ihm) ebenfalls. Für Phillip Trenkler (ganz links) ist kein Platz mehr. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Jan ist wie ein Traumlos und noch formbar. Wir hatten zur richtigen Zeit den richtigen Kontakt und konnten zuschlagen", sagt Trainer Hauser. Und das, wie Bugl findet, "zu einem echt vernünftigen Preis". Pokersnik, der auch sehr gut Beachvolleyball spielt, erhält einen Ein-Jahres-Vertrag, voraussichtlich zieht er mit seiner Lebensgefährtin an den Ammersee. Er sei "glücklich, zukünftig in Deutschland spielen zu dürfen, in einer sehr guten Liga".

Die Verpflichtung bedeutet aber auch, dass Außenangreifer Phillip Trenkler Herrsching nach nur einem Jahr wieder verlassen muss. Der 23-Jährige hatte Hausers Erwartungen nicht erfüllt, vor allem im Angriff war er zu schwach, schwächer jedenfalls, als es Pokersnik zu sein verspricht. "Phillip wird wohl gehen. Wir brauchen noch stärkere Angreifer und haben einen sehr beschränkten Etat, ich muss schauen, was ich mit dem Euro anfange", sagt Hauser der SZ. Möglicherweise wird er den Euro auch in den ehemaligen Hachinger und aktuellen Rottenburger Nationalspieler Tom Strohbach stecken. Die Gespräche sind weit gediehen. Die Mittelblocker Peter Ondrovic und Roy Friedrich bleiben, und über Außenangreifer Julius Höfer, der eigentlich etwas kürzer treten wollte, sagt Hauser: "Ich bin mir sicher, dass er spielt."

Bereits am Dienstag hatte der Klub die schon länger mündlich fixierten Vertragsverlängerungen von Zuspieler Patrick Steuerwald und Libero Ferdinand Tille bekannt gegeben, was Hauser extrem glücklich machte: "Sie sind unser Rückgrat und nicht nur Spieler für mich. Ich bin froh, dass sie sich hier verwurzeln, unser Pflänzchen mit gießen und uns mit ihrem Netzwerk helfen." Die beiden Nationalspieler sind auch deshalb eine große Unterstützung, weil sie durch ihre Profistationen in Italien, Polen und Frankreich viele Spieler kennen und dem TSV Expertisen über mögliche Zugänge geben können.

Überhaupt geben diese Tage einen guten Einblick in Herrschings Transferpolitik. Der Klub verlässt nämlich gerade erstmals seine Linie, fast nur mit deutschen, am besten bayerischen Spielern zu arbeiten. Nach Mittelblocker Ondrovic, der im vergangenen Jahr nach Herrsching kam, ist Pokersnik nun aktuell der zweite Ausländer. Da außerdem kaum gute deutsche Diagonalspieler zu haben sind, müssen die Verantwortlichen auf dieser Position wohl einen weiteren Profi aus dem Ausland holen. Einen Afrikaner, einen Europäer und einen Spieler aus Übersee haben sie bereits näher ins Auge gefasst.

"Max sagt uns, wen er haben möchte, Fritz (Teammanager Frömming) und ich entscheiden, ob wir uns den Spieler leisten können", erklärt Bugl die Arbeitsaufteilung. In der Zwischenzeit werden Hauser selbst, Steuerwald, Tille und vor allem Herrschings Chefscout Michael Mattes aktiv, der über ein dickes Adressbuch verfügt. Vieles läuft auch über Videoanalysen von Spielern. Denn einfach mal nach Kanada fliegen, das kann sich Herrsching nicht leisten. Der Klub erhält zugleich täglich mehrere Anfragen von Spielern oder deren Beratern, "aus Brasilien, Asien oder Osteuropa", wie Bugl sagt: "Da ist auch viel windiges Zeug dabei, wie letztens ein Brasilianer, der als Gehaltswunsch 500 000 Euro hatte" - das ist mehr als Herrschings Etat.

Apropos Etat: Die Verhandlungen mit Malescha sind André Bugl zufolge "abgeschlossen. Er weiß, was ihn erwartet, wir haben sein Gehalt angepasst". Nicht nach unten, versteht sich. Beim TSV schätzen sie jedoch, dass Friedrichshafen mindestens das Doppelte bietet. "Von daher fühlen wir uns geehrt, dass wir offenbar immer noch im Rennen sind", sagt Bugl.

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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