Handball:Buben im Spielzeugparadies

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Kein Durchkommen: Wie in dieser Szene Tobias Prestele (Mitte) erging es auch seinen Mitspielern. (Foto: imago)

Die 25:40-Niederlage der Fürstenfeldbrucker Handballer beim VfL Gummersbach zeigt einen Klassenunterschied. Doch der Topfavorit zählt nicht zu den Gegnern, mit denen sich der Zweitliga-Aufsteiger vergleichen sollte.

Von Ralf Tögel, Fürstenfeldbruck

Will man den Saisonstart des TuS Fürstenfeldbruck in die zweite Handball-Bundesliga auf nackte Zahlen reduzieren, dürfte jenes Rechenwerk den Verantwortlichen einen ordentlichen Schrecken in die Glieder treiben: 26:36 in eigener Halle gegen Eisenach, 25:40 beim VfL Gummersbach, 0:4 Punkte, letzter Tabellenplatz, minus 25 Tore, wie gesagt, keine hübschen Zahlen.

Entsprechend schwer fiel es Trainer Martin Wild nach der Partie, seine Eindrücke in Worte zu fassen. Was sollte er auch sagen? "Wir sind hart auf de Boden der Realität aufgeschlagen", zum zweiten Mal sei es seiner Mannschaft nicht möglich gewesen, überhaupt ins Spiel zu finden: "Wir hatten uns viel vorgenommen, wollten es viel besser machen als gegen Eisenach, das Spiel möglichst lange offen halten", doch nichts davon sei gelungen. Nach 15 Minuten führte der Favorit mit 13:2 Toren, die Entscheidung war gefallen, die Gäste wirkten in der ersten Halbzeit überfordert. Jeder Ballverlust, jeder Fehlwurf bedeutete umgehend einen Gegentreffer. "Wir können viel besser Handball spielen", sagte Wild nach der Partie konsterniert, "aber dafür müssen wir unsere Schüchternheit ablegen." Damit nannte der Trainer das Kernproblem des Aufsteigers, der sichtlich in dieser neuen Welt des Profi-Handballs fremdelt. Manchmal wirkten die Brucker wie Buben, die mit großen Augen zum ersten Mal in einem riesigen Spielzeugparadies Dinge entdecken, von denen sie vorher nur geträumt hatten.

Es würde dem sichtlich beeindruckten Neuling aber keinesfalls gerecht, sich nur auf die Zahlen zu beschränken. In einer seriösen Analyse müssen weitere Faktoren Berücksichtigung finden. Ist schon der ehemalige Erstligist Eisenach ein Verein, der mit ambitioniertem Anspruch in diese Zweitligasaison geht, so ist der VfL Gummersbach der größte Promi im Feld einer mit Traditionsvereinen gespickten Profiliga. Ein Blick auf das Personal verdeutlicht die gravierend unterschiedlichen Möglichkeiten der Kontrahenten, was sich in den ersten Minuten der Partie auch auf dem Spielfeld niederschlug. Auf der einen Seite Akteure wie das österreichischen Nationalspielertrio Janko Bosovic, Raul Santos und Alexander Hermann, der isländische U-20-Nationalspieler Ellidi Vidarsson oder Timm Schneider, Bundesligaspieler mit vielen Stationen, der es einst in die deutsche Auswahl schaffte. Orchestriert von der isländischen Handball-Legende Gudjon Valur Sigurdsson, der den zwölfmaligen deutschen Meister schnellstens in die nationale Beletage zurückführen soll.

Auf der anderen Seite die zweifellos talentierten und bis zur Schlusssekunde wacker kämpfenden Amateure aus Fürstenfeldbruck, die angesichts ihrer Möglichkeiten schon mit dem Aufstieg eine kleine Sensation geschafft haben und sich nun auf dem neuen Planeten erst einmal zurechtfinden müssen. Wozu eben jene beiden ersten Gegner denkbar ungeeignet waren. Es war schon eine vollendete Plattitüde, als der Kommentator des übertragenden Senders Sportdeutschland.TV anerkennend betonte, dass die Gummersbacher in der Schlussphase der längst gewonnen Partie einen Rückraum bestehend aus Eigengewächsen auf dem Parkett hatte. Was grober Unkenntnis der TuS-Verhältnisse zuzuschreiben war, denn nahezu das komplette Fürstenfeldbrucker Personal speist sich aus Eigengewächsen - allein schon aus finanziellen Gründen. So war es ein ungleicher Kampf, in der Anfangsphase wirkten die Brucker gehemmt, ließen dem Gegner viel zu viel Raum: "Wir wollten eklig spielen", sagte Wild hernach, "ihnen das Leben schwer machen". Doch angesichts der deutlichen physischen Überlegenheit der Gummersbacher war das Gegenteil der Fall.

Man darf aber nicht jene Phasen verschweigen, in denen der TuS sein Talent offenbarten, sich angesichts der geklärten Verhältnisse mehr zutraute. Vor allem Max Horner, mit sechs Treffern bester TuS-Akteur, Johannes Stumpf (5) mit wuchtigen Würfen und Sebastian Meinzer (4) wussten zu gefallen, Torhüter Michael Luderschmid läutete diese Momente mit starken Paraden ein. "Wir müssen es schaffen, überhaupt ins Spiel zu kommen", befand Wild, "ehe es vorentschieden ist." Am Samstag gastiert Wilhelmshaven, Mitaufsteiger zwar, aber dank großem Etat hoch einzuschätzen. Und der TuS? "Ich muss die Jungs wieder aufrichten", sagt Wild, Zahlen interessieren ihn derzeit nicht.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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