Hallbergmoos:Sauna statt Frühstück

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Donnerstags hat Ergün Aydin schon mal viereinhalb Kilo Übergewicht. Samstags ist er dann trotzdem in der 75-Kilo-Klasse erfolgreich. (Foto: imago images / Kadir Caliskan)

Die Bundesliga-Ringer feiern einen wichtigen Sieg zum Abschluss der Hinrunde - auch weil sie ihr Gewicht im Griff haben.

Von Andreas Liebmann, Hallbergmoos

Zunächst nur zu den allerwichtigsten Eckpunkten: Sohn von Zeus und Alkmene, Gatte von Megara sowie zahlreichen weiteren Sagenschönheiten, Miterschaffer der Milchstraße und Inhaber übernatürlicher Kräfte - die Rede ist von Herakles, auch als Herkules bekannt. Erzählt wird, dass er die Künste des Wagenlenkens, Bogenschießens, Fechtens, Faustkampfs und, Achtung: Ringens erlernte, dass er ferner Unterricht in Gesang und Leierspiel erhielt, seine Musikerkarriere allerdings wohl einen frühen Knick erfuhr, als er den Musiklehrer mit seiner Leier erschlug. Blieb noch die Karriere als Held und Kämpfer. Von Gewichtsproblemen ist hingegen nichts überliefert. Insofern war nicht ganz klar, ob Michael Prill, der Vorsitzende des SV Siegfried Hallbergmoos, vor dem vergangenen Wochenende die passende Wortwahl traf, als er von einer "Herkulesaufgabe" für seine Ringer sprach.

Schwitzkur im Auto? Joggen entlang der Autobahn? "Ist alles schon vorgekommen."

Was Prill damit ganz allgemein meinte: Sein Erstliga-Team hatte zum Hinrundenabschluss gleich zwei bedeutende Kämpfe an einem Wochenende zu absolvieren, erst am Samstagabend zu Hause das bayerische Derby gegen den vor ihm platzierten Tabellennachbarn SV Johannis Nürnberg, und am Sonntagnachmittag auswärts das noch wichtigere Duell mit dem Vorletzten, dem FC Erzgebirge Aue. Wären beide verloren gegangen, wäre der SVS auf den vorletzten Platz abgerutscht. Das haben die Hallbergmooser am Sonntag aber verhindert: Nach einer denkbar knappen 13:14-Niederlage gegen Nürnberg gelang ihnen in Sachsen der wichtige 20:14-Auswärtssieg. Die Hinrunde schließen sie damit als Sechste ihrer Achtergruppe ab, nur der Letzte steigt ab. Das ist zurzeit der AC Lichtenfels.

Im Besonderen hatte Prill mit seiner Herkulesaufgabe ein Detail gemeint, das man im Ringen nicht unterschätzen darf: Es hätte durchaus zu gravierenden Gewichtsproblemen kommen können. Gleich vier Ringer aus seiner Mannschaft müssen nämlich eine Menge Disziplin aufbringen, um sich Woche für Woche in eine grenzwertig niedrige Gewichtsklasse hineinzupressen: Ergün Aydin, Mihran Jaburyan, Justas Petravicius und Prill selbst. Das sieht im Regelfall so aus, dass vor dem entscheidenden Gang auf die Waage am Wettkampftag trainiert und (am besten in der Sauna) geschwitzt wird. Wer zu viel wiegt, verliert. Eine besondere Rolle spielt die Flüssigkeit, die erst nach dem Wiegen wieder aufgenommen werden sollte. Dann aber reichlich, der Körper soll ja Leistung bringen.

Aydin etwa, erzählt Prill, wiege Donnerstagabends schon mal 79,5 Kilogramm, schaffe es aber trotzdem, am Wochenende in der Klasse bis 75 Kilo nicht nur anzutreten, sondern erfolgreich zu sein. "Das ist faszinierend", findet Prill. Der Doppelwettkampf bedeutete nun auch in dieser Hinsicht eine Herausforderung. Nach dem Kampf am Samstagabend verlangt der Körper Flüssigkeit und Nährstoffe, er nimmt zu. Doch am folgenden Morgen begann bereits die Reise ins Erzgebirge - und ein solcher Ablauf birgt Risiken. Wann und wie soll man Gewicht verlieren, wenn man nur im Auto sitzt? Was kann man vor dem Wiegen tun, wenn sich die Ankunft etwa wegen eines Staus verzögert? Die Daunenjacke überziehen, Auto- und Sitzheizung aufdrehen und schwitzen? Oder aussteigen und neben der Autobahn joggen? "Alles schon vorgekommen", sagt Prill ohne jede Ironie. Er habe das alles schon erlebt.

Am Sonntag ging alles gut. Einen Stau gab es nicht, und die vier Kandidaten mit dem Gewichtsrisiko kamen mit etwas unterschiedlichen Taktiken jeweils pünktlich zu ihrem Traumgewicht. Die federleichten Jaburyan und Petravicius, berichtet Prill, hätten sich unmittelbar nach Ende des Heimwettkampfs gegen Nürnberg ins Bett verabschiedet, ohne davor noch etwas zu sich zu nehmen. Vermutlich ärgerten sie sich beim Einschlafen noch ein bisschen, schließlich waren sich alle einig, dass mehr drin gewesen wäre als dieses 13:14. Thomas Kopp etwa hatte acht Sekunden vor Ende seines Freistilkampfes (bis 66 Kilo) gegen Stoyan Iliev eine ärgerliche Wertung zum 0:3 kassiert, aber das war nur eines von ganz vielen Hätte-wäre-wenn-Duellen. Andreas Walter zum Beispiel hätte Prill gegen Eduard Tatarinov (80 Kilo Freistil) einen etwas deutlicheren Sieg zugetraut als ein 2:0, und so zählte Prill ganz vieles auf, was minimal besser hätte laufen können. "Alle haben ihr Bestes gegeben", schloss er. Eine Stunde vor dem Wiegen am Sonntag jedenfalls kamen sie dann in Aue an, wo Jaburyan und Petravicius mit Laufen und Seilspringen noch ein überschüssiges halbes Kilo Gewicht loswurden.

Prill selbst, der Vorsitzende, trat beim Stand von 13:13 zum entscheidenden Kampf an

Prill und Aydin indes hatten sich am sehr frühen Sonntagmorgen vor der Abfahrt zu einer Saunarunde getroffen. Je ein Kilo mussten sie noch loswerden. Das hieß schwitzen - und eine dreieinhalbstündige Anreise lang den Durst niederringen.

Am späten Samstagabend hatten die beiden nichts Besonderes getan. Eine Frust-Halbe, nach der Prill womöglich gelüstete, war aber nicht drin. Er selbst hatte gegen Nürnberg den letzten Kampf bestritten, beim Stand von 13:13; gegen seinen Dauerrivalen Sven Dürmeier, mit dem er sich seit Jahren enge Duelle liefert, die aber zumeist Dürmeier gewinnt. So auch am Samstag. Dabei hatte Prill aufopferungsvoll mitgehalten und keinerlei Wertung zugelassen. "Ein Quäntchen Glück" habe seinen Hallbergmoosern gefehlt. Auch ihm selbst.

Petravicius (3:0 gegen Mariusz Los) und Aydin (4:0 gegen Maximilian Becher) punkteten dann auch am Sonntag. "Wir haben taktisch klug aufgestellt", sagte Prill, "wir wussten, wo unsere Stärken sind, und haben viele hohe Wertungen geholt." Nun gut, Herkules hätte es vielleicht noch besser hinbekommen, aber mit fünf Punkten Vorsprung vor dem Abstiegsplatz sind die Hallbergmooser zur Halbzeit zufrieden.

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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