Golf:58 Schläge fürs Rekordbuch

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Stephan Jäger vom Golfclub Eichenried hat sich aus der zweiten Liga ins Rampenlicht katapultiert

Von Gerald Kleffmann

Der Flow erwischte ihn plötzlich an diesem Morgen. Vor der historischen Runde hatte Stephan Jäger ein paar Bälle auf der Range geschlagen, wie stets vor einem Turnier. Sein Trainer Ken Williams, der im Golfclub Eichenried als Chefcoach arbeitet und von hier aus mit ihm alles in seinem energievollen britischen Bairisch bespricht, wird später verraten, er habe Jäger nicht mehr für eine letzte Besprechung erreicht - "er schrieb mir nur kurz: Passt alles! Bin gut drauf!" Dann, an diesem 28. Juli, begann für Jäger die Ellie Mae Classic in Hayward, Kalifornien. Ein Event der zweitklassigen Web.com-Tour, von der aus Talente und gestrandete Profis versuchen, auf die funkelnde PGA Tour zu gelangen. Jäger startete mit zwei Birdies - zwei unter Par. Ein Bogey - nur noch eins unter Platzstandard. Nichts Besonderes. Doch von diesem Moment an öffneten sich die Glücksschleusen.

"Die Fahnen wirkten zehn Meter hoch, die Löcher einen Meter breit", erzählt Jäger Tage danach am Telefon. Er ist schon in Overland Park, Kansas City, das nächste Turnier steht an. Aber noch ist alles lebendig. Er sei "in der Zone" gewesen. Jeder Ball landete dort, wo er hin sollte. Birdie auf Birdie klappte. Der Flow riss ihn mit, und alles, was er wusste, war: "Du weißt nie, wann er über einen kommt. Aber wenn er da ist, musst du Gas geben." Und: "Man denkt dann nicht mehr nach, sondern macht einfach weiter." Am Ende hatte Jäger 58 Schläge notiert auf dem Par-70-Kurs - zwölf unter Par. Sechs 59er Runden hatte es gegeben auf den wichtigsten Touren. Aber eine 58? Noch nie!

Jäger hat jetzt, mit 27, etwas geschafft, was Größen wie Jack Nicklaus und Tiger Woods nicht geschafft haben. "Unfassbar", sagt Jäger und berichtet, wie alle über ihn herfielen, Familie, Freunde, Kollegen, Golfmedien. Denn der Flow hatte ihn ja an diesen speziellen Tagen an der Westküste noch viel, viel weiter getragen.

Der 58 ließ Jäger ebenfalls starke Runden von 65, 64 und 63 Schlägen folgen. 30 unter Par betrug sein Sieg-Ergebnis, auch Rekord. "Es wird dauern, bis alles gesackt ist", sagt Jäger, der wie sein Trainer nicht völlig fassungslos die Bestmarke betrachtet. "Ich habe schon in den letzten Monaten gut gespielt." Doch er konnte an den Finaltagen die Form nicht veredeln. "Bei ihm ist die Frage nicht, ob der Durchbruch gelingt, sondern wann", sagt Williams, der die Runden seines Spielers am Computer verfolgt. "Er hat das besondere Etwas."

Im größeren Zusammenhang betrachtet hat Jäger ohnehin nur einen wichtigen Schritt getan. Er klopft jetzt an die Tür zur PGA Tour. Die ersten 25 in der Geldrangliste der Web.com-Tour erhalten die Tourkarte, dank seines höchsten Preisgeldschecks (108 000 Dollar) machte er einen Satz vom 102. auf den 20. Rang. "Ich bin überzeugt, dass ich in den nächsten Wochen auch gut spiele", sagt Jäger. Vier Turniere sind noch im Programm plus eine Finalserie über vier Wochen, bei der er sich, sollte er nicht in den Top 25 landen, auch die Tourkarte erspielen kann; die besten 75 der Web.com-Tour und PGA-Tour-Spieler der Ränge 126 bis 200 spielen um weitere 25 Tourkarten. Dabei hat Jäger den Vorteil, dass er kein Grünschnabel ist, er kann von Erfahrungen zehren. Für ihn ging es nicht immer steil nach oben. Ohnehin schüchtert ihn wenig ein. Williams erinnert sich daran, wie Stephan als Bub ein Eisen 4 nahm und den Ball mit Backspin aufs Grün drosch. "Der wird was!", hatte der Engländer aus Birmingham, seit 1992 Trainersäule in Eichenried, dessen Vater Klaus zugerufen, einem Reisebürobesitzer. 2016 könnte er wirklich was werden. Schon 2015 blitzte Jägers Talent auf, als er sich erstmals für ein Major qualifizierte, die US Open. Wie bei der BMW International Open danach verpasste er den Cut. Sein Heimturnier möchte er 2017 gern wieder spielen.

Jäger ist ein echtes Eichenrieder Kind, er wuchs in der Nähe des Golfclubs auf, "mit sechs bettelte ich um Bälle", erinnert er sich. Er war ein guter Junior, mit 16 die mutige Entscheidung: Austauschjahr in Chattanooga, Tennessee, ein zweites folgte - dann blieb er ganz. Studierte Psychologie, schloss mit dem Bachelor ab, aber wichtiger: "Die Gegend bietet andere Golf-Möglichkeiten als bei uns." Gutes Wetter, perfekte Plätze, der harte Konkurrenzkampf mit US-Talenten - das alles hat Jäger genossen und geprägt. Klar, er vermisst München, aber Chattanooga ist sein Zuhause, er hat sich letzten Herbst ein Haus gekauft, hat eine Freundin, eines Tages wird er wohl die US-Staatsbürgerschaft annehmen, und auch wenn das pathetisch klingt: Er arbeitet täglich für seinen Traum, Mitglied der PGA-Tour zu werden. Er hat sich an diesem festgebissen.

2012 wurde er Profi, qualifizierte sich für die Web.com-Tour, verlor die Karte, probierte es auf der Latinoamerican Tour, der Sprung zurück auf die Web.com-Tour, dort noch ein Jahr ohne Glanz, vor, zurück, vor. "Golf ist ein Sport, bei dem du nie weißt, wie gut es nächste Woche läuft", sagt er. Das erkläre auch, dass die Besten nicht immer siegen und gar Cuts verpassen. "Im Golf geht es um Nuancen", sagt er. Einen Millimeter unsauber gegriffen, unpräzise im Rückschwung, schon ändert der Ball minimal, aber entscheidend die Richtung. Allerdings hilft Jäger, dass er mit 27 sein Spiel kennt, mit Williams werkelt er an Kleinigkeiten, nur beim Putten gab es mal eine größere Korrektur. Das Entscheidende sei ohnehin das Selbstvertrauen. Das hat nun ein Allzeithoch.

In Kansas City startete Jäger mit einer 70, eins unter Par, der Flow ist eben ein unberechenbares Wesen. Wobei Jäger nicht die Rekorde als Maßstab sehen will, er, der Bayer mit dem Tennessee-Akzent, hat einen messerscharfen Verstand und weiß: "Was absolut hilft, ist, wenn man aus einer schlechten Runde eine Okay-Runde schaffen kann." Konstanz, heißt das, ist die beste Garantie für gute Ergebnisse. "Wir sind noch nicht durch", weiß Williams, "wir sind quasi im Halbfinale einer Fußball-WM." Jetzt geht es ums Endspiel für den Golfprofi Jäger. Diese Chance hat er sich verdient. Und wenn es gut geht, kann er sagen: Es begann mit dieser verrückten 58.

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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