Fußball:Verblasste Vorbilder

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Die FT Starnberg, zu ihrer besten Zeit immerhin Drittligist, musste zum zweiten Mal ihr Männerteam abmelden und bildet nur noch aus. Die Frage ist: für wen?

Von Fabian Swidrak, Starnberg

Über dem Rasen hängt noch der Morgennebel, aber draußen auf der Straße wenden schon die ersten Autos. Der Parkplatz am Sportgelände in der Starnberger Ottostraße ist voll, obwohl das Spiel erst in einer Dreiviertelstunde beginnt. Die Mannschaft des FC Bayern macht sich gerade warm. Auch die Bayern-Spieler haben sich mit dem Auto nach Starnberg fahren lassen. Von ihren Eltern.

Ein Samstagmorgen im Herbst 2017. Die D-Junioren der Freien Turnerschaft Starnberg empfangen die U12 des FC Bayern München. Punktspiel in der Bezirksoberliga Oberbayern, der höchsten Spielklasse für D-Junioren in der Region. Gut 100 Zuschauer sind da. Nicht alltäglich für einen Fußballverein, in dem weder Frauen noch Männer Fußball spielen, sondern nur Kinder.

Mitte September hat die FT Starnberg ihre erste Mannschaft aus dem Spielbetrieb zurückgezogen, zum zweiten Mal in eineinhalb Jahren. Zuvor war das Team zweimal nicht angetreten. In der C-Klasse, der zwölften und damit untersten Liga. Der Rückzug markiert das Ende eines 16 Jahre langen Abstiegs.

Die 1990er-Jahre waren die Zeit des großen Starnberger Fußballs. Die Mannschaft der Freien Turnerschaft fusionierte mit der Mannschaft der hoch verschuldeten SpVgg Starnberg. Neun Jahre spielte das Team als FC Starnberg in der Bayernliga, der damals dritthöchsten deutschen Spielklasse. Mit dem Abstieg 2001 löste sich das Konstrukt auf, die Fußballer schlossen sich wieder der FT Starnberg an. Die Schulden blieben, weitere Abstiege folgten. In der Saison 2012/13 spielte Starnberg noch einmal in der Landesliga, anschließend ging es abwärts bis in die C-Klasse. Auf dem Weg dorthin stand die Freie Turnerschaft kurz vor der Insolvenz. Die Stadt übernahm das Gelände an der Ottostraße und erlöste den Verein dafür von mehr als 200 000 Euro Schulden.

Den Niedergang der ersten Mannschaft sieht man dem Gelände an. Die Farbe blättert von den Buchstaben, mit denen der Name des Vereins an die Turnhalle geschrieben ist. Auf dem Platz bleichen die Werbebanden aus. Die Vereinsgaststätte ist dauerhaft geschlossen. Die Jalousien sind bis zur Hälfte heruntergelassen. Drinnen stehen Pokale, die an die glorreiche Zeit erinnern.

Früher spielten in Starnberg Dennis Grassow, Thomas Meggle und Michael Wiesinger. Alle drei kickten später in der Bundesliga. Heute spielt in Starnberg die D-Jugend des FC Bayern. Immerhin.

Via Starnberg zum FC Bayern: Michael Wiesinger (links). (Foto: imago)

Einige Bayern-Spieler sind deutlich größer als die Starnberger. Und das, obwohl die Münchner allesamt zum jüngeren der beiden D-Jugend-Jahrgänge zählen. Das Spiel beginnt ausgeglichen, Starnberg trifft zweimal den Pfosten. Die Bayern nutzen ihre Chancen, schießen bis zur Halbzeit drei Tore. Eine Woche zuvor verlor Starnberg beim TSV 1860 München 0:6.

Auf dem Kunstrasenplatz nebenan spielen die E-Junioren der FT Starnberg gegen den TSV Schäftlarn. Am Spielfeldrand steht Katrin Rumland, die Jugendleiterin der Freien Turnerschaft. Sie sagt: "Wir hatten ständig schlechte Presse wegen der ersten Mannschaft. Unsere Jugendspieler wurden damit aufgezogen, dass wir gegen Dörfer mit 200 Einwohnern verloren haben." Direkt nach dem Rückzug aus der C-Klasse hatte Rumland gesagt, der Verein habe nun eine Baustelle weniger.

Auf ihre Jugendteams waren sie bei der FT Starnberg stets stolz. Erst recht sind sie es jetzt, wo es außer der Vergangenheit nichts mehr gibt, auf das man sonst stolz sein könnte. Die Fußballabteilung des Vereins erfüllt einzig einen Zweck: Ausbildung. Die Frage ist nur: Für wen?

Spiele gegen den FC Bayern machen einen Verein attraktiv. Die Kinder am Spielfeldrand faszinieren allein die Trikots der Münchner. Es sind die gleichen wie die der Bundesliga-Profis. Auch die Spieler der Starnberger E-Jugend kommen nach ihrem Spiel vom Nebenplatz gelaufen und schmollen, als ihr Trainer sie zur Nachbesprechung in die Kabine schickt. Bloß: Was machen gute Spieler in höheren Altersklassen, wenn sie langfristig keine Perspektive im Verein haben? Hat sich der Niedergang der ersten Mannschaft nicht längst auf den Nachwuchs ausgewirkt?

Die B-Jugend, vor vier Jahren noch in der Bezirksoberliga, stieg vergangene Saison in die Kreisklasse ab. Die A-Junioren spielten vor zwei Jahren in der Landesliga, der dritthöchsten Spielklasse. Im vergangenen Jahr zog der Verein die Mannschaft aus der Bezirksoberliga zurück. Sie spielt nun in der Kreisliga - als Spielgemeinschaft mit den benachbarten Vereinen TSV Perchting und SV Söcking.

Mehmet Bastug ist Trainer der A-Junioren-Spielgemeinschaft und war selbst Spieler der FT Starnberg. Er sagt: "Wir müssen mehr junge Talente aus der Umgebung bekommen." Aktuell stellt die Freie Turnerschaft fünf A-Jugendliche. Aber keiner von ihnen kommt aus Starnberg, alle wohnen in München. Bastug sagt, sie kämen nur unregelmäßig zum Training.

Via Starnberg zum FC St. Pauli: Thomas Meggle. (Foto: imago)

Wahrscheinlich werden die drei Vereine aus Starnberg, Perchting und Söcking schon bald enger zusammenarbeiten. Ihre besten Spieler sollen in vereinsübergreifenden Teams höherklassig spielen; schwächere Spieler wie bisher in den Mannschaften ihrer Vereine.

Kann ohne erste Mannschaft eine langfristige Bindung zwischen Spieler und Verein entstehen? Wer trainiert in einigen Jahren die vielen Nachwuchsmannschaften?

Jugendleiterin Rumland sagt, vielleicht sei irgendwann auch eine Spielgemeinschaft der ersten Mannschaften denkbar. Die beiden anderen Vereine hätten ja auch Probleme. Der TSV Perchting steht auf dem letzten Tabellenplatz in der Kreisklasse, der SV Söcking ist Vorletzter in der A-Klasse, in den ersten zehn Spielen ließ er 45 Gegentore zu.

Die Autos in der Starnberger Ottostraße werden weniger. Spieler, Eltern und Zuschauer fahren nach Hause, einige Kinder warten noch darauf, abgeholt zu werden. Die D-Junioren haben ihr Spiel gegen den FC Bayern 0:10 verloren. Am nächsten Tag wird auch in der C-Klasse der Männer wieder Fußball gespielt werden. Der Parkplatz am Sportgelände der FT Starnberg wird leer sein.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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