Fußball:Unter Beobachtung

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Fairplay München: Vor einem Jahr machte Münchens Amateurfußball durch zahlreiche Gewaltvorfälle Schlagzeilen. Inzwischen ist es ruhiger geworden. Der Erfolg eines klugen Präventionsprojekts - und jeder Menge Arbeit

Von Andreas Liebmann, München

Stimmt schon, es gab da diese Würge-Attacke. Ein 18-jähriger Fußball-Schiedsrichter wurde Anfang Oktober in einer Münchner C-Klasse - das ist die elfte, die unterste - von einem Spieler derart heftig an der Gurgel gepackt und gewürgt, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Und ja: Eine Woche später rückte die Polizei aus, als zwei Fußballer ihre Argumente derart überzeugend mit Fäusten vortrugen, dass beide im Krankenhaus landeten. Auch das in einer Liga, die vom Millionengeschäft Profifußball so weit entfernt ist wie der FC Bayern vom Abstieg.

"Es gab ein paar massive Zwischenfälle, die alles andere als schön waren", sagt Bernhard Slawinski, Münchens Kreisvorsitzender im Bayerischen Fußball-Verband (BFV). Er hat kein Interesse daran, das totzuschweigen. Doch es sind eben Zwischen-Fälle gewesen. Vor ein, zwei Jahren noch wären solch unsinnige Ausschreitungen als Indiz für die Zunahme von Gewaltexzessen auf Münchner Fußballplätzen wahrgenommen worden. Für steigende Aggressionen und sinkende Hemmschwellen. Was sie ja auch waren.

Wenn sich Slawinski am Ende dieses Jahres für einen Moment zurücklehnt, wenn er nachdenkt über jenes Projekt, das er vor knapp eineinhalb Jahren ins Leben gerufen, das er auf den Namen "Fairplay München" getauft und dem er seither einen Großteil seiner freien Zeit gewidmet hat, dann darf er zufrieden feststellen: Das Konzept funktioniert. Den übersteigerten Ehrgeiz manches Hobbyfußballers, den Missbrauch einer Sportart als Ventil, Konflikte zwischen sozialen Gruppen, all das kann kein Gewaltpräventionsprojekt der Welt restlos in den Griff bekommen. "Wir geben alles, aber letztlich bleibt der Fußball natürlich ein Spiegelbild der Gesellschaft", sagt Slawinski. Dennoch: Vor einem Jahr stand der BFV durchaus unter großem medialen Druck, immer mehr Schlägereien, Pöbeleien und Übergriffe auf Schiedsrichter tauchten plötzlich in Zeitungen, im Fernsehen und im Internet auf, einige Unparteiische suchten die Öffentlichkeit, weil es ihrer Auffassung nach so nicht mehr weitergehe.

Und jetzt? Ist weitgehend Ruhe eingekehrt. Nicht nur in den Medien, sondern tatsächlich auf den Plätzen. Sagt nicht nur Slawinski, sagen auch die Kritiker von damals. Es gibt da eine belastbare Zahl, über die sich der 47-Jährige besonders freut. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum habe es in München bis zur Winterpause knapp 50 Prozent weniger rote Karten gegeben.

Eine ganze Menge von Ansätzen haben zusammen offenbar einiges bewirkt. 28 Spielbeobachter hat Fairplay München in der Vorrunde eingesetzt, die teils verdeckt, teils offiziell potentielle Risikospiele besuchten. Ihre heimlichen Beobachtungen lieferten wertvolle Informationen über den Alltag auf den Plätzen, über Konflikte und Ursachen, manchmal auch über Schiedsrichter, die eine Partie durch ihr Verhalten erst eskalieren ließen. Bei den nicht verdeckten Einsätzen genügte oft schon die Anwesenheit des Beobachters, um Streithähne zu zügeln.

Slawinski und seine Mitstreiter schauen nicht weg, sondern ganz genau hin. Vereine, bei denen es häufiger kracht, suchen sie auf. Sie reden mit den Verantwortlichen, sie überprüfen die Strukturen der Klubs, decken Mängel auf, stochern nach Schwelbränden und bieten Hilfe für Löscharbeiten an. Bei Bedarf Mediationen. Oder Anti-Gewalt-Trainings. Diese können freiwillig besucht oder durchaus auch mal verordnet werden. "Durch intensive Kommunikation mit den Vereinen haben wir es immer besser geschafft, gemeinsame Wege zu beschreiten", bilanziert Slawinski.

Was hinzukommt zu den Hilfestellungen, sogar hinzukommen muss: Wenn es kracht, gibt es "empfindliche Strafen". Das hatten vor dem Start des Fairplay-Projekts viele Schiedsrichter gefordert, die sich von ihrem Verband ungenügend geschützt fühlten. Er könne zwar keinen Einfluss auf Sportgerichte nehmen, sagt Slawinski. "Aber ich kann Wünsche äußern. Und die Sportrichter haben die Problematik ja genauso erkannt." Der Würger zum Beispiel ist bereits vom Verband ausgeschlossen worden; und sein Verein hat die gesamte Mannschaft zurückgezogen.

Positive Entwicklungen sieht Slawinski auch bei der Qualifikation von Trainern und Betreuern. Längst nicht alle, aber doch viele Vereine legten Wert auf die Ausbildung ihrer Ehrenamtlichen, den Vorbildern ihrer Nachwuchskicker. Die Zahl der Fälle, in denen kurz vor Saisonstart noch hektisch Jugendbetreuer gesucht (und im Elternkreis akquiriert) werden, nimmt Slawinski zufolge ab. Um das weiter zu forcieren, will er Vereine, die hier Nachholbedarf haben, zu Hospitanzen in aktuellen Vorzeigeklubs überreden. Etwa beim TSV Poing oder beim SV Waldeck Obermenzing, wo je ein hauptamtlicher Jugendtrainer die Nachwuchskonzepte erstellt.

Slawinski wird sich nur kurz zurücklehnen. Die aktuelle Flüchtlingswelle werde den Amateurfußball vor ganz neue Herausforderungen stellen, ahnt er, neue Konfliktlinien könnten sich auftun, er will sich vorbereiten. Und es gibt noch ganz andere Probleme als die Gewalt. In München ist es vor allem Platznot. "Die Anlagen sind überfüllt", berichtet der Kreisvorsitzende, "viele Vereine im städtischen Bereich haben Aufnahmestopps, dort können zurzeit keine Kinder anfangen. Der Boom nach der WM konnte in München gar nicht aufgefangen werden." Es habe Zeiten gegeben, da das Fehlen von Ehrenamtlichen der größte Grund zur Klage war, heute sei es das Fehlen von Sportflächen. Überdeutlich hatte BFV-Präsident Rainer Koch die Probleme vor einigen Monaten angesprochen und forschen Tons medial verbreitet. Es kam zu einem Gespräch mit den Sportverantwortlichen im Rathaus, das äußerst hitzig verlief, weil sich die Politiker fraktionsübergreifend gegen die harsche Kritik zur Wehr setzten.

Über den Handlungsbedarf angesichts überfüllter und zum Teil maroder Bezirkssportanlagen sind sich die Beteiligten offenbar dennoch einig. Es gebe einen Sanierungsstau, der noch aus der Mitte des vergangenen Jahrzehnts stamme, bestätigt Sportamtsleiter Thomas Urban. Zwischen 2008 und 2014 aber habe die Stadt 35 Millionen Euro in Neubau und Instandsetzung ihrer Anlagen investiert, gerade wurde die Jahrespauschale dafür von sechs auf acht Millionen Euro erhöht. In den kommenden vier, fünf Jahren werden wohl drei neue Bezirkssportanlagen errichtet. Eine in Freiham ist bereits beschlossen, für zwei weitere in Riem und Moosach laufen die Planungen. Und dann gibt es noch 18 Rote-Erde-Plätze, "18 zu viel", wie Urban findet. "Spiele in Sandstürmen" hätten dort laut Slawinski stattgefunden, weil die Stadt die Rasenplätze trotz milden Winters erst Mitte April freigab. Jedes Jahr will München nun drei bis vier Kunstrasenplätze bauen, verspricht Urban, zuerst dort, wo zurzeit noch auf roter Erde gekickt wird. Mehr auf einmal gehe nicht, weil ja bedingt durch die Arbeiten erst mal Flächen gesperrt werden. Urban und Slawinski sind sich hierin einig, sie tauschen sich neuerdings regelmäßig aus. "Das ist sehr hilfreich", findet Urban.

Wo sich viele Menschen wenig Platz teilen müssen, entstehen naturgemäß Konflikte. Auch deshalb sind die Sportstätten so wichtig für Fairplay München. Denn es soll ja weitergehen mit der Befriedung.

© SZ vom 27.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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