Fußball:Kampfansage aus dem Keller

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Unter Klaus Brand kehrt die FT Starnberg 2003 in die Landesliga zurück. Danach rasieren die Spieler ihrem Trainer (re.) den Schnauzbart ab. (Foto: Georgine Treybal)

Starnbergs einst drittklassige Fußballer sind in der zwölften Liga angekommen - sofern sie dort genügend Spieler finden

Von Andreas Liebmann, Starnberg

Am Anfang waren nicht Himmel und Erde, am Anfang war Rudi Hack. Himmel, Erde und den Starnberger See gab es da natürlich schon, doch erst als es den jungen Niederbayern 1956 aus Vilshofen in die Maxhof-Kaserne verschlug, begann die Geschichte des Starnberger Fußballs. Hack war Torjäger, klassischer Strafraum-Knipser, er schoss die FT Starnberg damals aus der C-Klasse empor. Selbst als allmählich ein Bäuchlein unter seinem Trikot wuchs, er traf unaufhörlich. Später war der gelernte Uhrmacher dann Trainer, Manager, Sponsor, Platzwart und Fußball-Abteilungsleiter. Sein Herzensverein schaffte es bis in die Bayernliga, damals die dritthöchste Klasse. Es gibt nicht wenige, die sagen: Mit Hacks frühem Tod Ende 2007 begann bereits das Ende der FT Starnberg.

Um die Geschichte mal kurz von hinten zu erzählen: Vor zwei Wochen, am Sonntagvormittag, teilte Starnbergs Abteilungsleiter Dieter Glavanich dem Spielgruppenleiter Bernd Reiser mit, dass sein Team mangels Spielern nicht zur Kreisklassenpartie in Weßling antreten könne. Es war die dritte Absage der Saison, Reiser hatte keine andere Wahl, als die FT aus dem Spielbetrieb zu streichen. Bis dahin hatte das Team null Punkte und 16:153 Tore auf dem Konto, das macht etwa sieben Gegentore pro Spiel. Zwei Wochen zuvor gegen den SV Inning hatte Ingolf Junietz noch mitgespielt, er ist Starnbergs A-Jugendtrainer, ehemaliger Abteilungsleiter, und vor allem: fast 64 Jahre alt. Diese Partie endete 0:16.

Sofern sie bis dahin genügend Spieler finden, können die Starnberger im Spätsommer in der C-Klasse antreten, ganz unten, zwölfte Liga. Von einem Ende wollen die Verantwortlichen allerdings nichts wissen, es sei ein "Neuanfang". Auf der Homepage der FT steht: "Bitte seht das nicht als Kapitulation, sondern viel mehr als eine Kampfansage für die Zukunft!"

Die Geschichte mit Rudi Hack, nach dem vor sieben Jahren das Starnberger Stadion benannt wurde, war in Wirklichkeit etwas komplizierter. Denn er war ja schon immer bei der Freien Turnerschaft. Deren Fußballer allerdings waren erst 1992 mit der SpVgg Starnberg fusioniert, und die war da gerade zum zweiten Mal in die Bayernliga aufgestiegen. Spitznamen wie FC Schampus kamen nicht von ungefähr: Die SpVgg war hoch verschuldet. Als "FC Starnberg" spielte das Konstrukt neun Jahre lang in der Bayernliga - mit dem Abstieg löste es sich auf, war immer noch verschuldet. Die Fußballer schlossen sich wieder der FT Starnberg 09 an, mit Hack als altem und neuem Abteilungsleiter.

Klaus Brand kann sich gut an diese Zeit erinnern. Der ehemalige Profi, zurzeit Interimstrainer des Bayernligisten BCF Wolfratshausen, war damals als Jugendkoordinator geholt worden. Die Jugendarbeit war stets ein Trumpf in Starnberg, und er habe sie wieder richtig in Schwung gebracht. Dann sei er vom Vorsitzenden Hans Weber überredet worden, den zweiten Vorsitz zu übernehmen. "Du kannst einfach dein Jugend-Ding weitermachen, sonst nichts", soll er gesagt haben - doch nach wenigen Wochen sei Weber dann verschwunden. Brand habe sich plötzlich um den neuen Kunstrasen kümmern müssen, um Sponsoren, um die Jugend und die Männer. Und als er für die keinen Trainer gefunden hatte, habe er diesen Job eben selbst übernommen. Turbulent sei das alles gewesen. Die meisten, ehedem fürstlich bezahlten Spieler seien nach dem Abstieg gegangen. Die FT rutschte durch bis in die Bezirksoberliga, stieg aber postwendend wieder auf.

"Als Rudi Hack gestorben ist, ist alles zusammengebrochen", glaubt Brand, "es war keiner mehr da mit Starnberg-Gen, der sich so reingehauen hat, der wie Rudi jeden Sponsor persönlich kannte." Zuletzt, glaubt Brand, hätten sich im Verein "viele profiliert, die von der Materie wenig Ahnung hatten". 2006 begann der Abstieg.

Einmal noch, dank einer Ligenreform, ploppte die FT in der Landesliga auf, 2012/13, danach ging es ohne Halt bergab: Bezirksliga, Kreisliga, Kreisklasse. Zwölf Trainer in fünf Jahren waren am Werk, darunter Manuel Baum - der damals gleichzeitig bereits als Co-Trainer für die SpVgg Unterhaching arbeitete. Erster Höhepunkt des Chaos war das Jahr 2012. Zunächst hatten die Spieler den Baum-Nachfolger Timo Bartnick verhindern wollen, später hatten sie ihn zum Rücktritt getrieben - und der Vorsitzende Ralf Greif warf nach wenigen Monaten im Amt gleich mit hin. Die FT war führungslos, über Monate, die damalige Stellvertreterin und CSU-Stadträtin Eva John hielt den Laden am Laufen. Geschadet hat ihr das wohl nicht, heute ist sie Bürgermeisterin. Aus dem Vorstand trat sie 2013 zurück. Inzwischen hatte die Stadt das Gelände des Vereins übernommen und ihn von 220 000 Euro Schulden erlöst.

Geholfen hat das nicht mehr. Der Klub, für den schon Ludwig Kögl, Michael Wiesinger oder Dennis Grassow spielten, ist ganz unten. Ähnliche Schicksale gibt es viele, allein in der Vita von Klaus Brand tauchen zwei weitere auf. Seine letzte Profistation, der FC Wacker München, war bis Ende der Achtziger Drittligist - nach einer Pleite spielt Wacker heute in der Kreisklasse. Der ehemalige Landesligist TSV Wolfratshausen, bei dem Brand drei Jahre lang Spielertrainer war, tritt mittlerweile in der B-Klasse an, gegen zweite Mannschaften umliegender Dörfer. Doch nirgends, findet Brand, sei die Tragweite so groß wie in Starnberg. An einem See, der die höchste Millionärsdichte des Landes aufweist; an dem es weit und breit keine fußballerische Konkurrenz gab.

Brand fürchtet, dass nun auch die gute Jugendarbeit der FT auf Dauer nicht mehr hilft, weil guter Nachwuchs kaum in die unterste Männerliga strebe. Genau hier ist der neue Abteilungsleiter Dieter Glavanich anderer Meinung. Seit einigen Monaten ist der 45-Jährige im Amt, die komplette Führungsebene war zuletzt ausgetauscht worden. An der Spitze steht nun der Unternehmer Franz Holzinger, der eigentlich aus dem Kampfsport kommt. Sein Vorgänger Roland Sprinkart, ein Banker, hatte sich zum neuen Stellvertreter wählen lassen, trat aber im Februar überraschend zurück. Er hatte zwar die Bilanzen des Vereins in den Griff bekommen, offenbar aber nicht den Verein selbst - den habe er kaputtgespart, wurde ihm vorgeworfen. "Wir sind in drei Jahren wieder da, wo wir jetzt abgemeldet haben", verspricht Glavanich. Die Fehler seien in den guten Jahren gemacht worden, damals habe man junge Talente im Verein kaum beachtet und nicht früh genug zu den Erwachsenen gezogen. Die Legionäre verschwanden vor einigen Jahren, als die FT nichts mehr bezahlte, doch bis zuletzt habe der Austausch zwischen Jugend und Herren nicht gepasst. "Die Chemie hat nicht gestimmt", meint Glavanich.

Der Österreicher ist zuversichtlich, dass der Nachwuchs beim Wiederaufbau helfen wird. Mehr noch: Er glaubt, ein freiwilliger Neubeginn ganz unten wäre vor drei Jahren schon ratsam gewesen. "Ein freier Fall ist schwer aufzuhalten, nach drei Abstiegen ist die Moral im Keller", sagt er - "in dieser Zeit hätten wir auch zwei, drei Mal aufsteigen können." Vor mehr als zehn Jahren hatte er sein erstes Traineramt bei der FT, zog sich später aber zurück. Zuletzt hatte er einen besonders undankbaren Job, er half mehrmals im Tor der FT aus. "Da bin ich schmerzfrei", sagt er gelassen, "das ist mir der Verein wert. Hut ab vor allen, die bis zum Schluss geblieben sind." Das Wichtigste, sagt er dann noch, was die jungen Spieler für einen Neuanfang nun bräuchten, sei Ruhe. Die sollte in einer C-Klasse zu finden sein.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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