Fußball:In aller Offenheit

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Neuer Vorstand, neuer Trainer, neue Wege: Beim SV Türkgücü-Ataspor herrscht Aufbruchstimmung. Der Klub will mit Klischees und alten Mustern brechen

Von Andreas Liebmann, München

Höchst professionell. Anders kann man das neue Erscheinungsbild des SV Türkgücü-Ataspor München kaum nennen. Zumindest das virtuelle: Wer auf den Überblick über den neuen Vorstand klickt, könnte sich auf der Homepage eines Großkonzerns wähnen, und auch die Fußballer werden kaum anders präsentiert als in der Bundesliga. Es ist nur eine Internetseite, gewiss, aber Hasan Kivran, der neuer Vorsitzende, sieht sie als Signal. Als ein Signal von vielen für einen frischen Wind, der durch seinen Verein weht. "Wenn da zwölf Wochen alte Spielberichte stehen, ist das nicht so toll", findet Kivran. Ende vergangenen Jahres hat er sich in dieses Amt wählen lassen. Mit 14 Punkten aus 17 Partien stand der Klub, der Ende der Achtzigerjahre mal in der damals drittklassigen Bayernliga antrat, am Abgrund zur Bezirksliga. Der ganze Klub sei "am Boden" gelegen.

Kivran hat die guten Zeiten miterlebt. Mit sechs Jahren kam er nach München. Als der damalige Migrantenverein, für den Gerald Hillringhaus, Bernhard Winkler, Erhan Önal oder Cacau spielten, richtig groß war, stieß Hasan Kivran aus der A-Jugend zur ersten Mannschaft. Heute ist er Geschäftsführer einer Leasing-Firma, auch seine Stellvertreter im Klub sind Unternehmer; viele der 16 Vorstandsmitglieder kommen aus der Wirtschaft. Sie wollen gemeinsam etwas erreichen, an die alten Zeiten anknüpfen, wie Kivran sagt. Die Bayernliga erreichen, zumindest mittelfristig. "Wenn es auf Anhieb klappt, umso besser."

Sie wollen an die guten Zeiten anknüpfen. Den Abstieg aus der Landesliga Südost hat der SV Türkgücü (Mitte Ercan Eraydin) gerade abgewendet. (Foto: Johannes Simon)

100 neue Mitglieder habe der Verein in den vergangenen vier Monaten gewonnen, erzählt Kivran, 60 davon Deutsche. "Wir sind ein Verein mit türkischen Wurzeln", erklärt der 50-Jährige, "diese Wurzeln sollen bleiben - aber wir sind eben ein Verein in Deutschland, sonst könnten wir ihn ja gleich in der Türkei aufmachen. Wir wollen auch andere Personen ansprechen." In der Jugend sei es längst so, dass die Jungs, die für Türkgücü-Ataspor antreten, aus 16 verschiedenen Nationen kämen. Die türkisch dominierte Männermannschaft solle auch bald besser durchgemischt werden.

Diese Offenheit nach allen Seiten ist ein Merkmal der neuen Führung. Sie drückt sich auch darin aus, dass zwei Frauen dem neuen Vorstand angehören. Sibel Uyar ist im Jugendbereich für Familien zuständig, als eine Art vereinseigene Sozialarbeiterin. Oft sei der familiäre Hintergrund von Migrantenkindern schwierig, erläutert Kivran. Und Selen Gürler ist die neue Pressereferentin, eine fußballbegeisterte Moderatorin und Projektmanagerin, die fünf Jahre lang in Italien lebte. "Wir sind jeder Kultur gegenüber offen", betont Gürler. Durch die Berufung zweier Frauen in den Vorstand wolle ihr neuer Verein "das türkische Klischee von einer reinen Männerwelt aufbrechen". Kivran sagt: "Es ist durchaus sinnvoll, Frauen einzubinden, dadurch geht es auch bei den monatlichen Vorstandssitzungen zivilisierter zu. Und wir wollen die Frauenquote noch erhöhen." In der kommenden Saison werde erstmals eine U-17-Mädchenmannschaft für Türkgücü antreten. "Es geht viel voran", sagt Kivran, "wenn auch nicht alles auf einmal."

Hasan Kivran, 50, steht seit Ende vergangenen Jahres an der Spitze des SV Türkgücü-Ataspor. Sein sportliches Ziel ist die Bayernliga. (Foto: oh)

All die neuen Ansätze hätten um ein Haar erst in der Bezirksliga, der siebten, so richtig gegriffen, doch seit vergangenem Wochenende sieht es gut aus für das Team, das in dieser Saison vom Dauer-Interimstrainer Alper Kayabunar angeleitet wurde. Die Ausgangslage vor dem letzten Landesliga-Spieltag ist etwas für Rechenkünstler: Nur falls der aktuelle Tabellen-Vierzehnte, der FC Töging, noch gewinnt und Türkgücü gleichzeitig verliert, könnten beide Teams am Ende mit bis zu zwei weiteren punktgleich sein. Dann käme es auf die jeweiligen direkten Vergleiche an. Das schlechteste dieser punktgleichen Teams müsste in die Abstiegsrelegation, sofern es auch zu den drei schlechtesten Tabellen-Vierzehnten aller fünf bayerischen Landesligen zählt. Das Kuriose: Türkgücü empfängt an diesem Samstag den Tabellenführer Ismaning, Töging dessen Verfolger Deisenhofen. Beide werden also auch die Meisterschaft mitentscheiden. Falls sie sich nicht verrechnet haben, liegt Türkgücü allerdings in allen denkbaren Konstellationen über dem Strich, der Ligaverbleib ist also sicher. Es geht nur noch darum, das letzte Heimspiel positiv zu gestalten, um danach ordentlich feiern zu können.

Für die neue Saison sind viele Weichen gestellt. Als Teammanager kommt Kadir Alkan, zuletzt Co-Trainer beim Bayernlisten FC Unterföhring. Er sei "gut vernetzt", sagt Kivran. Alkan stellte auch den Kontakt zum neuen Trainer Vitomir Moskovic her. Der sei ein "sehr disziplinierter, strenger Typ", glaubt Kivran. In einer Mannschaft mit vielen verschiedenen Mentalitäten sei es von Vorteil, wenn die sportliche Leitung eine klare Linie verfolge. Auch die zweite Mannschaft, gerade in die Kreisklasse aufgestiegen, solle weiter nach oben geführt werden, die Jugend ebenfalls.

Am Donnerstag gab Pressereferentin Gürler erste Zugänge für die neue Saison bekannt: Torhüter Cerutti Zola, 22, früher SV Pullach, zuletzt Phönix München; Aldin Medara, 24-jähriger Verteidiger vom Landesligisten Türkspor Augsburg, der in Pipinsried schon mal Bayernliga spielte; dazu Torwart Alexander Heep, 23, und Mittelfeldspieler Ali Kartal, 24 - beide kommen vom SV Heimstetten, mit dem Trainer Moskovic einmal in die Bayernliga auf- und einmal aus der Regionalliga abstieg. Weitere Zugänge stünden bevor, sagt Kivran. Sie hätten nur noch keine Zeit für ein Fotoshooting gehabt. Die Pressemeldung soll ja nach etwas aussehen.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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