Fußball:Hin und weg

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Vor zwei Wochen bereitete sich Markus Schwabl noch in Spanien auf die Rückrunde mit dem VfR Aalen vor. Auf einmal spielt der ehemalige Hachinger und Löwe für den englischen Drittligisten Fleetwood Town - und kommt sich ein bisschen vor wie beim FC Arsenal

Von Stefan Galler

Als er das erste Mal die Straße überquerte, wäre es um ein Haar schon das letzte Mal gewesen. "Man schaut ganz unwillkürlich zuerst nach links, schon kam einer von rechts und hätte mich fast umgefahren", sagt Markus Schwabl. Die ganz normalen Probleme eben, wenn ein Festland-Europäer auf die Insel kommt. Ansonsten sei alles "neu und cool" in seiner neuen Heimat: "Meine Wohnung liegt 50 Meter vom Meer entfernt."

Seit zehn Tagen verrichtet der 26 Jahre alte Fußballprofi seine Arbeit in England, er wechselte von der Ostalb an die Irische See, vom VfR Aalen zu Fleetwood Town, einem Klub, der in der League One, der dritthöchsten Liga, auf dem vierten Rang liegt. Sein Vertrag läuft bis Sommer 2019. Fleetwood ist ein Städtchen mit rund 26 000 Einwohnern im Nordwesten, ganz in der Nähe des Küstenorts Blackpool, wo man für Schwabl eine Wohnung gemietet hat, schon bevor er zur Vertragsunterschrift kam. Alles sei bestens organisiert, sagt der Defensivspieler, der früher für die SpVgg Unterhaching und den TSV 1860 spielte. Und zwar so gut, dass er seit seiner Ankunft am Dienstag der vorletzten Woche bereits zwei Spiele absolviert hat.

Vier Tage nach seiner Ankunft wurde Schwabl im Auswärtsspiel bei Schlusslicht Coventry City nach 70 Minuten eingewechselt. Prompt war er am 1:0-Siegtor in der Schlussminute beteiligt. "Da haben die vielleicht gleich gesehen, dass ich nicht ganz blind bin." Nur drei Tage später im Nachholspiel bei Tabellenführer Sheffield United stand er in der Startelf. Fleetwood Town gewann 2:0, Schwabl wirkte 75 Minuten lang mit, nachdem er sich schon nach 25 Minute für eine derbe Attacke im Mittelkreis die gelbe Karte abgeholt hatte. Dabei sei das gar nicht so einfach, wie sein Vater Manfred sagt: "In England musst du einen für eine Gelbe schon fast umbringen." Markus Schwabl fügt selbstironisch hinzu: "Da wird kein Ellbogen und kein gestrecktes Bein abgepfiffen. Es geht sehr körperlich zu, und das kommt meiner Spielweise entgegen."

Offenbar ist das auch einer der Gründe, warum ihn sein neuer Trainer unbedingt haben wollte. Der Deutsche Uwe Rösler, einst Profi bei Dynamo Dresden, Nürnberg, Manchester City, Kaiserslautern und dem FC Southampton, will ihn im defensiven Mittelfeld einsetzen, nicht als Rechtsverteidiger, wo er einst in Haching und zuletzt auch wieder in Aalen gespielt hatte. Rösler war zunächst bei Schwabls Berater vorstellig geworden und hatte sich erkundigt, ob eine Verpflichtung möglich sei. Als die Engländer ihre Bemühungen intensivierten, weilte Schwabl mit dem VfR im Trainingslager in Spanien. Die mittlerweile konkrete Anfrage ließ ihn nicht kalt, er suchte das Gespräch mit den Vereinsoffiziellen, schließlich war sein Vertrag beim VfR bis zum Sommer befristet. Schwabl, immerhin Kapitän und unumstrittener Stammspieler, rechnete mit einer unkomplizierten Verlängerung. Doch dann kam alles ganz anders: "Die Unterredung war für mich ein Schlag ins Gesicht. Man machte mir kein konkretes Angebot", sagt Schwabl, der die Hintergründe nur erahnen kann: "Vermutlich wollten sie lieber die Ablöse kassieren, die ich durch den Wechsel einbrachte."

Manfred Schwabl, hier mit der Kapitänsbinde im Trikot des VfR Aalen. (Foto: Imago)

Nach der unerfreulichen Zusammenkunft habe er keine Sekunde mehr überlegen müssen. Alles sei danach ganz schnell gegangen, bis hin zum emotionalen Abschied von seinen Kollegen, darunter die ehemaligen Hachinger Thorsten Schulz und Maximilian Welzmüller. Wenig später ging es los nach England, im Ausgehanzug und mit gerade einmal einer Handvoll Klamotten im Gepäck, weil er mehr im Trainingslager natürlich nicht dabei hatte.

Zuvor aber hatte er sich Rückendeckung von seiner Verlobten Rena geholt, die bald in München ihr erstes Jura-Staatsexamen schreibt und grünes Licht für den Wechsel signalisierte. Sie will nach ihrer Prüfung in der Sommerpause zu ihm auf die Insel ziehen. Auch die ganze Familie, insbesondere Mutter Marianne und Vater Manfred, der sofort nach England flog, um seinen Sohn bei der Abwicklung der Vertragsmodalitäten und der ersten Eingewöhnung zu unterstützen, riet ihm zu dieser Komplett-Veränderung: "Das ist eine riesige Chance zur Persönlichkeitsentwicklung, und er lernt die Sprache perfekt." Der ehemalige Nationalspieler bestärkte den Filius, obwohl er selbst einst ein Auslandsengagement kurzfristig platzen ließ: Nachdem er beim TSV 1860 München wegen seines Boykotts einer vom damaligen Präsident Karl-Heinz Wildmoser organisierten Vereinsfeier in Ungnade gefallen war, heuerte er 1997 beim italienischen Zweitligisten FC Treviso an - und kehrte nach einigen Wochen in seinen Heimatort Holzkirchen zurück. Schwabl senior hatte es vor lauter Heimweh jenseits der Alpen nicht ausgehalten. "Aber ich konnte auch kein Wort Italienisch", sagt Manfred Schwabl.

Sohn Markus plagt sich mit derlei Gedanken nicht, auch wenn er ebenfalls noch nie weiter als anderthalb Autostunden von zu Hause entfernt gelebt hat. Mit dem Wagen nach Manchester und dann per Flugzeug nach Hause, das sei in maximal vier Stunden zu schaffen, sagt er. Und genießt nun erst einmal das Ambiente im neuen Trainingszentrum des Klubs, der erst seit 2010 in einer landesweiten Liga spielt, 2012 in die vierte und 2014 in die dritte Liga aufstieg. "Man merkt, wie professionell das alles aufgezogen wird. Der Betreuerstab ist riesig, es gibt über ein Dutzend Rasenplätze. Ich denke, hier wird eine Marke aufgebaut", sagt Markus Schwabl.

Mit dem Klubpräsidenten Andy Pilley habe er sich auf Anhieb verstanden, die roten Trikots mit den abgesetzten weißen Ärmeln erinnern ihn an den FC Arsenal. Das Stadion, das allerdings nur 5000 Zuschauern Platz bietet, heißt sogar Highbury, genau wie die legendäre frühere Spielstätte der Gunners. Manfred Schwabl fühlt sich bei Fleetwood Town weniger an Arsenal als an seinen eigenen Verein erinnert, den Regionalligisten Unterhaching: "Ein toller Klub mit Ambitionen, nach oben zu kommen. Ein bissl mit uns zu vergleichen", sagt der Präsident der SpVgg.

"Das ist eine riesige Chance zur Persönlichkeitsentwicklung, und er lernt die Sprache perfekt": Manfred Schwabl hat seinem Sohn Markus zum Wechsel nach England geraten. Und das, obwohl der ehemalige Nationalspieler selbst sein einziges Auslandsengagement nach kurzer Zeit abbrach: Heimweh. (Foto: Imago)

Eines dürfte schon nach dem turbulenten Auftakt mit zwei Spielen in den ersten paar Tagen klar sein: Langweilig wird es dem Neuzugang aus Bayern im Vereinigten Königreich nicht, angesichts der 24er-Liga, in der sein neuer Klub spielt. Das bedeutet 46 Spieltage, 28 davon sind bereits absolviert. Dazu kommen drei Pokalwettbewerbe und, sollte sich Fleetwood am Ende der regulären Saison auf den Rängen drei bis sechs platzieren, eine Aufstiegsrelegation. Unter den Gegnern sind prominente Namen, neben Sheffield und Coventry auch die Bolton Wanderers, Charlton Athletic oder Wimbledon. Markus Schwabl ist jedenfalls ziemlich zufrieden, auch mit der Art, wie er vom Team aufgenommen wurde: "Einige sind sofort auf mich zugekommen und haben mir Hilfe angeboten." Im Kader stehen fast ausschließlich Spieler von den britischen Inseln, abgesehen von einem Isländer, einem Franzosen und einem Nigerianer.

Es dürfte jedenfalls eine Herausforderung werden, den neuen Kollegen das Schafkopfen beizubringen, wie Schwabl das in Aalen etwa beim friesischen Verteidiger Torge Paetow gelungen ist. "Er hat einen Abend lang zugeschaut und am nächsten Tag gespielt wie ein Routinier. Ich bin fast vom Stuhl gefallen", erzählt Schwabl. Das könnte bei Fleetwood Town schwieriger werden. Alleine schon wegen der Begrifflichkeiten: "Wie soll ich denen erklären, dass die Gras-Sau gemeint ist, wenn ich auf die Blaue spielen will?"

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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