Fußball:Herzensangelegenheit

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Wenn kleine Fußballklubs wie der FC Unterföhring oder der FC Pipinsried in semiprofessionelle Ligen aufsteigen, stoßen ihre Ehrenamtlichen an Grenzen - und riskieren dabei oft auch ihre Gesundheit.

Von Stefan Galler

Neulich war Michael Matejka, 40, zwei Wochen im Urlaub. Ein gewagtes Unterfangen. In den vergangenen Jahren war der Abteilungsleiter des Fußball-Bayernligisten SV Heimstetten fast nie länger verreist, erst recht nicht im Sommer, wenn die Saison in den oberen Amateurfußballklassen losgeht. Doch der Trip in den Süden verlief überraschend entspannt. Nur einmal rief ihn der ehemalige Profi Sebastian Kneissl, Geschäftsstellenleiter auf 450-Euro-Basis, im Urlaub an. "Er war ganz perplex, dass wir ohne ihn ausgekommen sind", verrät Kneissl.

Für Matejka ist diese Erfahrung neu, er verdankt sie einer Entwicklung der vergangenen Jahre: "In Heimstetten haben wir das Glück, mittlerweile eine Reihe von Ehrenamtlichen voller Tatendrang zu haben." Matejka, dessen Vater Ewald dem Gesamtverein vorsitzt, war früher Stadionsprecher, Teammanager, erledigte die Pressearbeit und wurde dann Abteilungsleiter; damals noch ohne große Unterstützung, dafür aber in der Regionalliga Bayern mit einem noch größeren Pensum als jetzt in der Bayernliga. "Da geht dir so viel durch den Kopf. Du wachst zwei Stunden vor dem Weckerklingeln auf, bist neben deinem Beruf ständig mit Fußball beschäftigt", erzählt Matejka. "Immer wieder habe ich mir gesagt, dass ich eigentlich nicht mehr mag."

Während Matejka sich auch deshalb Unterstützung suchte, hat ein anderer Fußballfunktionär ein paar Kilometer nordwestlich seine Konsequenzen aus der Dauerbelastung gezogen: Franz Hölzl ist als Abteilungsleiter beim VfR Garching zurückgetreten, nach zwölf Jahren im Amt. Angefangen hat Hölzl in der Bezirksliga, heute spielt der VfR in der vierthöchsten deutschen Spielklasse. Kommissarisch wird er den Regionalligisten bis zum Saisonende noch begleiten, danach ist Schluss. Sein Schritt habe private und berufliche Gründe, sagt der 54-Jährige. "Ebenso hat mein Körper einige Signale gegeben." Die hätten sich erstmals bemerkbar gemacht, als der Verein 2017 vor einer ungewissen Zukunft stand. Hölzl und Trainer Daniel Weber hatten vereinbart, nur dann den Verbleib in der Regionalliga anzustreben, wenn mittelfristig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klubs sichergestellt sei. Wie die Berserker stürzten sich die beiden in die Arbeit: Sponsorensuche, Aushandeln von Unterstützerverträgen, Verhandlungen mit der Stadt - Hölzls Arbeitspensum stieg enorm. Wohlgemerkt ehrenamtlich, denn einen bezahlten Job hat der scheidende VfR-Boss natürlich auch noch. "Irgendwann muss man dieser Zusatzbelastung Tribut zollen", sagt VfR-Trainer Weber, Hölzls engster Vertrauter. Der 44-Jährige hat die Zeichen der Zeit erkannt: "Kein Junger wird in Zukunft solche Bürden im Ehrenamt auf sich nehmen, ohne dafür entlohnt zu werden", ist er sich sicher.

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(Foto: Johannes Simon)

"Private und berufliche Gründe" gab Abteilungsleiter Franz Hölzl (Bild) für seinen Rücktritt an. Auch habe sein Körper einige Signale gegeben, so Hölzl.

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(Foto: Toni Heigl)

Konrad Höß sorgt sich beim FC Pipinsried um fast alles - auch um den Zustand des Rasens.

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(Foto: Claus Schunk)

Auf 20 bis 30 Telefonate rund um den Fußball und den SV Pullach komme er - pro Tag, sagt Theo Liedl.

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(Foto: Sven Leifer/imago)

"Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich ein Fußball-Burn-out habe", sagt Franz Faber vom SV Unterföhring.

"Ich weiß nicht, wo wir teilweise mit dem Kopf waren": Heimstettens Manager Michael Matejka war wenig begeistert von der laschen Leistung seiner Mannschaft gegen Regensburg

Geld für einen hauptamtlichen Sportchef oder Manager haben die wenigsten. Selbst mit 450 Euro für eine Teilzeitkraft wie Heimstettens Sebastian Kneissl täten sich etliche Klubs schwer. Weber sagt: "Die Vereine müssen sich neu erfinden." Entweder ausreichend Leute aufspüren, auf die man die Aufgaben verteilen könne, wobei er selbst nicht recht daran glaubt, dass das funktioniert. Oder? "Das Ehrenamt stirbt aus", sagt er. "Irgendwann wird man auch als Viert- oder Fünftligist nicht darum herumkommen, über einen Sportdirektor nachzudenken." Die Folgen sind aus seiner Sicht drastisch: "Dann wird es Vereine wie uns, Heimstetten oder Pullach in den höheren Ligen nicht mehr geben."

Beim SV Pullach ist Theo Liedl der Mann, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Er kümmert sich um sämtliche Belange rund um die erste Mannschaft, stellt Jahr für Jahr den Kader zusammen, akquiriert Sponsoren, ist Vorsitzender des Fördervereins, verantwortet die gesamte Bürokratie inklusive Steuer, organisiert den Ablauf der Heimspiele, die Reisen zu den Auswärtspartien, und so weiter und so fort. Auf 20 bis 30 Telefonate rund um den Fußball komme er - pro Tag. "Das ist nichts anderes, als ein Unternehmen zu leiten", sagt Liedl, der hauptberuflich in der Immobilien- und Versicherungsbranche arbeitet.

Im Gegensatz zu den Kollegen in Heimstetten hat er so gut wie niemanden, der ihm zur Seite steht. "Nicht mal eine Handvoll Leute", sagt er. Die Familie Süßner nennt er, ein älteres Ehepaar, das seit mehr als 50 Jahren im Verein mithilft. Aber ohne Liedl geht nichts bei dem Verein aus dem Isartal, der im Sommer erstmals Bayernligameister wurde und doch nicht aufsteigen konnte, weil das mitten in einem Wohngebiet gelegene Vereinsgelände den Ansprüchen des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) als Regionalliga-Spielstätte nicht genügt. Alle Versuche, sich anderswo einzumieten, scheiterten.

Liedl wollte nicht wahrhaben, dass sein sportliches Lebenswerk nicht veredelt werden würde - und erhielt zu Beginn des Jahres die Quittung: "Ich hatte einen Blutdruck von 240:140, war akut gefährdet, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen", erzählt der 54-Jährige. Zwei Tage lag er auf der Intensivstation, ihm wurde ein Stent gesetzt, um einem Infarkt vorzubeugen. "Das war eindeutig ein Warnschuss", sagt Liedl, der seither blutverdünnende Medikamente einnimmt. Und immer öfter hinterfragt, wofür er sich beinahe bis zur Selbstaufgabe reinhängt: "Zu uns kommen nur 50 Zuschauer pro Spiel, obwohl wir seit Jahren einen ordentlichen Fußball bieten. Von der Gemeinde kommt keine Unterstützung. Es gibt schon auch andere Dinge, die ich noch machen will."

25 Jahre ist Liedl im Verein, er war Spieler, Spielertrainer, seit zwölf Jahren ist er Manager. Einfach zu gehen, kommt für ihn nicht infrage, er könnte es kaum übers Herz bringen, Spieler und Trainer im Stich zu lassen. Trainer Frank Schmöller hofft, dass Liedl weitermacht: "Was Theo alles wuppt, ist der Wahnsinn. Ich denke aber, er hat einen Weg gefunden, damit umzugehen. Er muss sich seine Auszeiten nehmen." Alternativen? "Ohne Theo würde es in Pullach auf diesem Niveau nicht weitergehen." Und auch zu den Anforderungen, die der BFV an Vereine in den höheren Amateurklassen stellt, hat der ehemalige Profi Schmöller eine Meinung: "Der Verband will, dass die Regionalliga eine Art Formel 2 ist. Dabei wird vergessen, dass die meisten Vereine eher Go-Karts ähneln."

Das beste Beispiel ist der FC Pipinsried: Ein Dorfklub aus dem Dachauer Hinterland, der seit dieser Saison in der vierten Liga mitmischt. Sein Alleinunterhalter heißt Konrad Höß, 76, ein Solitär unter den Ehrenamtlichen. Vor 50 Jahren hat er den Verein gegründet. Bis heute kümmert er sich um Kaderplanung, heuert (und feuert gelegentlich) Trainer und ist nebenbei Platzwart. Wobei "nebenbei" eine Untertreibung ist: Kein Tag vergeht, ohne dass Höß auf seinem Mäher unterwegs ist. "Ich mache alles beim FC Pipinsried", betont er. Und was er nicht macht, erledigt seine Frau Kathi, die für Trikotwäsche und Stadionkiosk zuständig ist. Ganz alleine hätte es freilich nicht einmal das Ehepaar Höß geschafft, den Dorfklub bis in die halbprofessionelle Regionalliga zu führen. Ein fünfköpfiges "Projektteam Regionalliga-Lizenz" kümmerte sich um die Bürokratie und notwendige Umbauten. Höß, der pensionierte Milchprüfer, hat wie Liedl einen Warnschuss überstanden: 2011 erlitt er einen Herzinfarkt, wurde auf dem Weg ins Krankenhaus zweimal reanimiert. Seither passt Ehefrau Kathi ganz genau auf ihn auf. Einmal im Jahr fahren sie sogar in den Urlaub.

Eine Ferienreise war in diesem Jahr für Franz Faber, den Präsidenten des FC Unterföhring, nicht drin: Er musste das Abenteuer Regionalliga vorbereiten, auch sein Verein hat es im Sommer erstmals dorthin geschafft. Es wirkt, als hätte Faber, 57, nur darauf gewartet, dass ihn jemand nach den Belastungen fragt: "Es ist einfach brutal", sagt er. "Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich ein Fußball-Burnout habe. Täglich gehe ich nach der Arbeit aufs Vereinsgelände, und trotzdem kann ich es nicht allen recht machen." Jugendspieler, deren Eltern, die AH oder die Schiedsrichter - irgendwer sei immer beleidigt. Die Suche nach einer geeigneten Regionalliga-Spielstätte (die man schließlich in Heimstetten fand), die Auflagen und der Papierkram hätten ihn zusätzlich zermürbt: "Irgendwann geht einem all das auf den Keks." Faber bleibt dennoch, auch weil er keine Alternative sieht: Der Verein könne sich keinen hauptamtlichen Manager oder Geschäftsstellenleiter leisten. "Dafür müsste ich die Mitgliederbeiträge deutlich erhöhen, wofür niemand Verständnis hätte."

Verständnis für die abendfüllende Freizeitgestaltung muss vor allem die Familie haben. Beim FC Unterföhring spielt sein Sohn Andreas in der ersten Mannschaft, seinen Bruder Peter hat Franz Faber gerade als neuen Trainer verpflichtet, weil der FC auch nach 14 Spieltagen noch immer auf den ersten Sieg wartet. "Ohne Familien wie uns, die Matejkas in Heimstetten oder die Hölzls in Garching würde es nicht gehen", sagt Faber. Er selbst macht vorerst weiter, denn schon steht das nächste Projekt an: In der reichen Gemeinde Unterföhring wird ein pompöser Sportpark entstehen. Loslassen kann so schwierig sein.

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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