Fußball:Gemeinsame Sache

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Der Fußballverband lädt Münchner Vereine mit türkischen Wurzeln zu einem Austausch ein. Es geht dabei auch um die aktuelle politische Lage

Von Andreas Liebmann, München

Wer etwas über die Anfänge türkischstämmiger Fußballvereine in Deutschland erfahren möchte, muss sich mit Cemal Günes unterhalten. Günes ist Pressesprecher des SV Türkgücü Ataspor München, seit 35 Jahren ist er bei diesem Verein. Er kann ad hoc Anekdoten wie diese erzählen: Gerade war der rasant wachsende Klub von der B-Klasse bis in die Bezirksliga aufgestiegen, die Auswärtsfahrten führten nun weit über die Landeshauptstadt hinaus, bis ins Chiemgau, wo es damals, Anfang der achtziger Jahre, Menschen gegeben habe, "die wahrscheinlich noch nie Ausländer gesehen hatten". Irgendwo dort jedenfalls kurbelte Günes die Fensterscheibe herunter und fragte nach dem Weg zum Sportplatz. Ein Mann mit Gamsbart am Hut antwortete freudig erregt, dass auch er gerade unterwegs zum Fußballspiel sei: "Wir spielen heute nämlich gegen die Türkei!"

Günes lacht, er findet das bis heute amüsant. 1961 kam der Banker nach Deutschland, er könnte auch viele andere Geschichten erzählen. Von Vorurteilen, Beleidigungen, voreingenommenen Schiedsrichtern und wilden Zuschauern, die die Spiele gegen Türkgücü tatsächlich mit einer Verbissenheit begleiteten, als handele es sich um Länderspiele. Günes verzichtet darauf. Sie hätten damals großen Wert auf diszipliniertes Auftreten ihrer Spieler gelegt, hätten dadurch all die "Wellen zerschlagen", wie er sagt, "und plötzlich war die Akzeptanz da". Sie hatten dann recht bald deutsche Spieler und Trainer dazugeholt und es bis in die Bayernliga gebracht. Günes will heute viel lieber von der Integrationskraft seines Sports erzählen, gerade jetzt, wo so viele Flüchtlinge ins Land kommen, wo rundum immer mehr islamfeindlichen Tendenzen laut werden. "Wir brauchen jetzt Gemeinsamkeiten", appelliert Günes. Auch an diesem Freitag wird er das so halten, er will zuversichtlich nach vorne blicken.

Für diesen Freitag hat Bernhard Slawinski, Münchens Kreisvorsitzender im Bayerischen Fußball-Verband (BFV), zwölf Vereine mit türkischen Wurzeln zu einem Treffen eingeladen. Es soll ein Kennenlernen, ein Informationsaustausch sein, doch Slawinski treiben auch die aktuellen politischen Entwicklungen um. Er leitet das Gewaltpräventionsprojekt "Fairplay München", und er will sich und die Vereinsfunktionäre auf die Möglichkeit vorbereiten, dass die aktuellen politischen Konflikte demnächst auch auf die Fußballplätze überschwappen. "Ich mache mir riesige Sorgen", sagt er, "ich rechne mit allem, was da passieren kann." Unlängst ist ein offener Brief aufgetaucht, der Menschen islamischen Glaubens dazu auffordert, Stellung zu beziehen gegen islamistischen Terror. Das Schreiben hat nichts mit Sport zu tun, doch es ist eben auch an Fußballklubs wie Türkgücü geschickt worden. Günes will das nicht kommentieren, aber Slawinski sieht darin eine Bestätigung für seine Befürchtungen. "Wir müssen aufpassen, dass der Sport nicht für solche Dinge missbraucht wird", sagt er. Er will die Vereine darauf vorbereiten, wie sie reagieren können, falls es tatsächlich zu Provokationen kommt. "Uns muss einfach bewusst sein, dass etwas passieren kann".

Sahin Yegen ist Jugendleiter bei Türkgücü, kürzlich hat er den BFV-Ehrenamtspreis bekommen. Er findet es gut, dass schon vor möglichen Zwischenfällen etwas unternommen, dass gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. "Wir müssen ruhig bleiben, dürfen aber auch nicht wegschauen", empfiehlt er. Yegen betont, dass seinem Klub heute Mitglieder aus 22 Nationen und unterschiedlichsten Glaubensrichtungen angehören, dass es im Fußball egal sei, wer den Ball treffe, "ob Schwarzer, Weißer oder Moslem", und dass sie seit Jahren mit dem jüdischen Verein Maccabi München bestens befreundet sind. "Wir müssen zeigen, dass wir alle zusammenhalten", sagt er.

Miteinander reden, nicht übereinander: Der Fußballkreis München startet eine Initiative, lädt Klubs mit türkischen Wurzeln zu einem Austausch ein. (Foto: Johannes Simon)

Ähnlich sieht das Abdil Öztürk, Abteilungsleiter von Internationale Taufkirchen, ebenfalls ein Verein mit türkischen Wurzeln. Er findet das Treffen gut, "Sport kann sehr viel bewirken", sagt er. Öztürk regt an, dass demnächst jeder Verein seine Mitglieder versammeln und ihnen dringend raten solle, auf keine Provokationen einzugehen. Allen müsse klar sein, dass die Parolen von Pegida und Co. keinesfalls die Meinung der Deutschen widerspiegelten, und dass man mit den Meinungsäußerungen einiger weniger eben klarkommen müsse. Seine Mitmenschen könne man am besten durch das eigene Verhalten überzeugen. Bange ist ihm nicht. "Wir haben hier überhaupt keine Probleme", sagt Öztürk, er selbst fühle sich auch nach 39 Jahren in Deutschland wohl und bestens integriert.

Das Thema soll die Veranstaltung auch nicht überlagern. Slawinski hatte das Treffen ohnehin vorgehabt, die Kommunikation untereinander müsse besser werden; auch mit anderen ethnischen Gruppen plane er diesen Austausch. Die Vereine sollten sich am Freitag vorstellen können, ihre Sorgen und Nöte loswerden, bei Bedarf Hilfe erhalten. "Wir müssen erst mal eine Basis schaffen", sagt er. Seit der Einführung von Fairplay München, betonen Günes und Yegen, hätten die Vorbehalte der Spieler mit ausländischen Wurzeln gegenüber dem Verband bereits rapide abgenommen.

Cemal Günes treibt die Sorge um mögliche Zwischenfälle übrigens gar nicht um. "Ich glaube nicht, dass da irgendetwas auf den Sport überspringt", sagt er, "im Gegenteil." 1972 wurde Türkgücü gegründet. Als einer der ersten Klubs in Deutschland mit Migrationshintergrund leistete er Pionierarbeit. Seine Anfänge hätten zwar gezeigt, dass es vielen der damaligen Gastarbeiter wichtig gewesen sei, im Verein ein Stück der alten Heimat zu erhalten, aber eben auch, dass der Sport den schnellsten Weg hinein in eine Gesellschaft biete. Weshalb sich Günes von dem Treffen vor allem "positive Signale" erhofft. Ihm sei es wichtig, gemeinsam Projekte anzustoßen, die es auch den heutigen Migranten erleichtert, hier Fuß zu fassen.

© SZ vom 23.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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