Fußball:Der Ruhige

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Pepe Reina verletzt, Tom Starke verletzt - auf einmal ist Leopold Zingerle, 20, Ersatz für Manuel Neuer

Von Benedikt Warmbrunn, München

Vor ein paar Tagen hat sich Walter Junghans noch einmal die Aufnahmen aus dem Frühjahr 1981 angeschaut. Europapokal der Landesmeister, Halbfinale, der FC Bayern spielt in Liverpool. Im Sturm Karl-Heinz Rummenigge, im Mittelfeld Paul Breitner, in der Abwehr Klaus Augenthaler. Und im Tor er, Walter Junghans. Das Spiel endet 0:0, nach dem 1:1 im Rückspiel in München scheidet der FC Bayern aus. Junghans ärgert sich noch einmal kurz, als er das erzählt. Aber als er sich die Aufnahmen angeschaut hat, ist ihm etwas anderes aufgefallen. Dass er, der Torwart, sehr weit weg war vom Spielgeschehen. Dass er fast nie angespielt wurde von all den Breitners und Augenthalers. Aber wenn ihn dann doch mal einer angespielt hat, zum Beispiel Augenthaler, dann hat er, Junghans, Ungeheuerliches gemacht. Er hat den Ball in die Hand genommen. Ein weiter Abwurf, und er war wieder weg vom Spielgeschehen.

Knapp drei Jahrzehnte und eine Rückpassregel später arbeitet Junghans, der an diesem Sonntag 56 wird, als Torwarttrainer in der Nachwuchsabteilung des FC Bayern. Dass er sich jetzt noch einmal sein eigenes Spiel auf der europäischen Bühne genauer angeschaut hat, das liegt auch daran, dass sein wichtigster Schüler dort zuletzt unterwegs war, am Dienstagabend, beim 7:1-Erfolg des FC Bayern beim Champions-League-Spiel in Rom. Leopold Zingerle, 20, eigentlich erster Torwart der U23 des FC Bayern. Und seit Anfang dieser Woche befördert zum Ersatztorwart der Profis. Direkt hinter Manuel Neuer, dem Welttorhüter.

Karrieren von Fußballtorhütern starten oft mit einer ganz ungeplanten Dynamik, so war das auch bei Walter Junghans. Als 18-Jähriger war er zum FC Bayern gewechselt, die ersten zwei Jahre war er der Ersatzmann für Sepp Maier. Im Sommer 1979 musste der Nationaltorwart aber nach einem schweren Autounfall seine Karriere beenden, und auf einmal stand Junghans im Tor. So weit ist Zingerle noch nicht, er ist jetzt der Ersatz des Stammtorhüters. Aber nach den langfristigen Ausfällen von Pepe Reina und Tom Starke ist er seinem ersten Einsatz in der Bundesliga sehr nahe gekommen.

14 Spiele in der Regionalliga, zwölf Gegentore, dreimal zu Null: Auch dank Leopold Zingerle hat der FCB II die zweitbeste Abwehr der Liga. (Foto: Claus Schunk)

Ein 20-Jähriger, den fast keiner kennt, als Ersatz für Neuer: "Keine Sorge", sagt Junghans. Dann beginnt er seine Ausführungen zum modernen Torwartspiel. Und dass Zingerle dieses beherrscht.

Zusammengefasst: weniger Paraden, mehr Mitspielen - und eben: keine Sorge. Bevor er Torhüter wurde, hat Zingerle lange im Feld gespielt. "Leo spielt gut mit, kann einen guten Ball spielen, ist gut im Spielaufbau", sagt Junghans. Auch als Torwart der alten Schule achtet er als Torwarttrainer auf die Lehren der modernen Schule; Junghans hat es etwa begrüßt, dass Zingerle in der vergangenen Saison mit den Profis am Tag nach dem Spiel trainiert hat. Sechs gegen sechs, zwei Torhüter, enger Raum, wenig Zeit zum Überlegen, Ergebnis: eine gesteigerte Handlungsschnelligkeit, erstens. Und, zweitens: "Leo hat sich stabilisiert, gerade was die Ruhe und das Selbstvertrauen angeht."

Zu beobachten war das in dieser Spielzeit in der Regionalliga Bayern. In der vergangenen Saison war Zingerle formal die Nummer eins der U23, dennoch spielte er oft nicht, da Lukas Raeder, der dritte Profitorwart, Spielpraxis sammeln sollte. Zingerle zweifelte ein wenig an sich, akzeptierte seine Rolle aber. Und wenn es drauf ankam, war er bereit. Zweimal saß er zudem bereits bei den Profis auf der Bank, in Augsburg und in Madrid. "Er hat konstant gehalten, war immer trainingsfleißig. Das hat sich ausgezahlt", sagt Junghans. In der Regionalliga stand Zingerle in dieser Saison in 14 Spielen im Tor, in drei Partien kassierte er kein Gegentor, insgesamt zwölf, auch dank ihm hat das Team die zweitbeste Abwehr der Liga. "An unseren bisherigen Ergebnissen hat er großen Anteil gehabt, er hat ein paar entscheidende Bälle gehalten", sagt Junghans.

Im Auswärtsspiel der U23 an diesem Samstag (14 Uhr) beim 1. FC Nürnberg II wird Zingerle vermutlich vertreten von Daniel Müller; der eigentliche Ersatz in der U23, der österreichische Juniorennationaltorhüter Ivan Lucic, fehlt ebenfalls, Bänderriss, die Rückkehr ist noch offen.

Zingerle dagegen wird am Sonntag bei der Bundesliga-Partie in Mönchengladbach auf der Bank sitzen. Er wird Manuel Neuer, dem Vorbild seiner Torhütergeneration, zuschauen und hoffen, dass nichts passiert. Die Zeit hat er.

© SZ vom 25.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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