Fußball:90 Minuten Sehnsucht

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Mahmoud Nasser, 33, schaut die Spiele der syrischen Nationalmannschaft regelmäßig im Fernsehen. (Foto: Jan A. Staiger)

Viele der syrischen Geflüchteten in München verfolgen zurzeit im Fernsehen den Asien-Cup - mit gemischten Gefühlen.

Von Dominik Wolf, München

Mahmoud Nasser weiß, wie floskelhaft es klingt, was er jetzt sagen wird: "Im Fußball kann alles passieren." Gleich spielt die syrische Nationalmannschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten beim Asien-Cup. Im letzten Spiel der Gruppe B trifft das Team auf Australien. Der 33-Jährige huscht durch seine Wohnung im Münchner Osten, um alles vorzubereiten für das entscheidende Spiel. Baklava und Tee gegen die Nervosität. Die Ausgangslage verspricht Dramatik. Nach einem torlosen Unentschieden im ersten Spiel gegen Palästina und einer 0:2-Niederlage gegen Jordanien musste der deutsche Trainer Bernd Stange seinen Platz nach nicht einmal einem Jahr im Amt räumen. Zum ersten Mal in der Geschichte will Syrien ins Achtelfinale. Um die Chance auf ein Weiterkommen zu wahren, muss die nun von Fajr Ibrahim betreute Mannschaft unbedingt gegen Australien gewinnen.

Mahmoud ist Syrer, einer von mehr als 4000, die in München leben. Und es erscheint selbstverständlich, dass er zuschaut, wenn sein Nationalteam bei einem großen Turnier spielt. Doch Mahmoud weiß, dass es unmöglich ist, über den syrischen Fußball zu sprechen, ohne die Politik zu erwähnen. Zu eng sind die Verflechtungen des syrischen Verbandes und seiner Auswahl mit der Regierung von Präsident Assad. Ein Trainer, der regelmäßig Fanshirts des Präsidenten trägt, ein Torwart, der nach Siegen dessen Heldentaten besingt, und ein Stürmer, der erst unter Druck seine Teilnahme an der Asienmeisterschaft zusagte.

Das zwiespältige Verhältnis der Spieler zu ihrer Nationalmannschaft sagt vieles über das der Menschen aus, die in mehr als 4000 Kilometern Entfernung in München vor dem Fernseher sitzen und zusehen, wie sich das Team nach Kräften gegen die australischen Angriffe wehrt. Die einen sagen, der Fußball sei keine Politik. Die anderen weigern sich, eine Mannschaft anzufeuern, die für das Regime spielt, vor dem sie geflohen sind. Sie gaben der aktuellen Auswahl den Beinamen "Fassmannschaft" - nach den Fassbomben, die Assad über den Rebellenhochburgen abwerfen lässt. Und jene, die wie Mahmoud allen Grund hätten, gegen das Team zu sein, aber den Fußball, ihre Heimat und die Menschen dort zu sehr lieben, haben sich zu einer Art Kompromiss durchgerungen. Für die Dauer von 90 Minuten vergisst er alles und ist Fan, so wie er Fan ist, seit er ein kleiner Junge war: "Wenn ich der Nationalmannschaft zuschaue, fühle ich mich Syrien nahe. Dann kommt die Sehnsucht zurück."

Zehn Jahre lang war Mahmoud Fußballtrainer in Damaskus. Auf roter Erde brachte er Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen alles bei, was er wusste. Wie sie den Ball kontrollieren, wie sie in Position laufen und wie sie fair miteinander umgehen. Jeden Tag ging Mahmoud zum Training - auch noch, als der Krieg schon tobte. Bis er einmal auf dem Weg zur Arbeit zwischen die Gefechtsfronten gerät und eine verirrte Kugel seinen Kopf nur knapp verfehlt. Im November 2015 kommt Mahmoud nach München, zwei Jahre später holt er seine Familie zu sich. Er macht einen Sprachkurs und arbeitet nebenher als Streetworker für den Verein "Bunt kickt gut". Gerade lernt er auf die Trainerprüfung für die B-Lizenz, beim FC Alte Heide ist er Co-Trainer der C-Jugend. Den Weg, den er in Syrien begann, will er in Deutschland fortsetzen.

Die Anstoßzeiten - das Spiel gegen Australien wird um 14.30 Uhr deutscher Zeit angepfiffen - bereiten all denen Probleme, die wie Mahmoud tagsüber arbeiten. Vom zweiten Spiel gegen Jordanien sah er gerade einmal die ersten zehn Minuten. Auch heute muss er direkt nach Schlusspfiff los.

Am Ende hat es wieder nicht gereicht für Syrien. Zweimal war die Mannschaft nach australischer Führung zurückgekommen, ehe Tom Rogic den syrischen Traum vom Weiterkommen in der Nachspielzeit mit einem harten Fernschuss jäh zerplatzen lässt. Die Spieler in Weiß sinken auf den Rasen und bedecken ihre Gesichter. Mahmoud Nasser kann der Enttäuschung dennoch etwas Positives abgewinnen: "Ich freue mich, wenn die Nationalmannschaft gewinnt - am meisten für das syrische Volk, denn es ist gerade traurig - aber vielleicht ändert diese Niederlage etwas. Das Volk wird sie vergessen, aber der Verband ist gescheitert."

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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