Fußball:424,82 Euro Guthaben

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Bayernliga-Primus Pipinsried gewinnt öfter, als sich die GmbH eigentlich leisten kann - ein Saisonabbruch könnte die Situation verschärfen.

Von Christoph Leischwitz, Pipinsried

Nein, sie wollten nicht absagen, sagt Roland Küspert, Virus hin oder her. Die Mitgliederversammlung sei schon mehrmals verschoben worden, und außerdem "haben wir nichts zu verbergen", sagt der Präsident des FC Pipinsried gleich zu Beginn. Es ist Donnerstagabend, die Nachricht, dass der bayerische Amateurfußball am Wochenende komplett ausfallen wird, ist noch nicht offiziell, doch jeder ahnt: So eine Menschenmenge - 57 sind gekommen - wird wohl für längere Zeit nicht mehr zusammenkommen. Niemand hustet. Offenbar sind die Erkälteten zu Hause geblieben.

Dass der FC Pipinsried wirklich nichts verbergen will, stellt Uli Bergmann recht plakativ unter Beweis: "Das sind meine Buchungen der letzten Monate", sagt er, und rollt einen meterlangen Ausdruck aus, der bis auf den Boden reicht. Aktueller Kontostand: 424,82 Euro. Haben.

Es gab da diese Gerüchte. Aber Geschäftsführer Bergmann sagt: "Die Spieler sind bezahlt."

Dabei hatte in den vergangenen Monaten niemand daran gezweifelt, dass der FC Pipinsried viele Ausgaben hat. Nur hielt sich über Wochen hartnäckig das Gerücht, dass die Spieler nicht mehr bezahlt werden können. "Die Spieler sind bezahlt", fügt Bergmann hinzu.

Bergmann ist Geschäftsführer der GmbH, die den Betrieb der ersten Mannschaft des FC verantwortet. Es ist ihm anzusehen, dass die vergangenen Wochen ihn geschlaucht haben. Er habe "ab und zu eine schlaflose Nacht" gehabt vor dem nächsten Monatsersten. Auch deshalb, weil die Mannschaft in der Bayernliga-Saison 2019/20 so extrem erfolgreich war. "Durch die vielen Siege sind Kosten entstanden", sagt Küspert. Punktprämien. Es ist kein Geheimnis, dass Fußballer in Pipinsried durchaus besser entlohnt werden als in anderen Vereinen. Und es ist der vermutlich beste Kader, der je für den FC gespielt hat: kein einziges Spiel verloren, doppelt so viele Tore geschossen (81) wie der Tabellenzweite Deisenhofen. Kurz: Die Mannschaft ist so gut, sie treibt den Klub an den Rand der Insolvenz.

Beim ehemaligen Geschäftsführer Sport, Roman Plesche, bedanken sich die Verantwortlichen ausdrücklich für dessen Arbeit. Der Vertrag mit Plesche war im Januar überraschend aufgelöst worden. Wenig später kündigte das Trainerduo Fabian Hürzeler und Muriz Salemovic an, im Sommer aufzuhören. "Roman muss vom Fußball leben", sagt Bergmann. "Wenn jemand in München wohnt, Auto, Wohnung..." - nach zwei Jahren habe man sich dann getrennt. Auch Hürzeler möchte offenbar noch eine Weile vom Fußball leben, er hofft darauf, zur DFB-Fußballlehrer-Ausbildung zugelassen zu werden. Bergmann führt die Geschäfte unentgeltlich.

Der Aufstieg in die Regionalliga ist indes kaum noch abzuwenden bei 21 Punkten Vorsprung - sofern die Saison zu Ende gespielt wird. Es wäre, ganz nebenbei, ein Drama, wenn die vermutlich erfolgreichste Bayernliga-Mannschaft der Geschichte zwar gut bezahlt, aber letztlich umsonst gespielt hätte. Aber der Verein hat in den vergangenen zwei Jahren ein Minus von rund 34 000 Euro gemacht, wie Küspert vorrechnet. Es ist also keine Überraschung, dass in der kommenden Saison, eine Liga höher, gespart werden muss. "Wir wollen ein wenig entschlacken", sagt Bergmann. Und diesen Weg habe Plesche eben nicht mitgehen wollen. Plesche habe erfolglos darauf gesetzt, hungrige, kostengünstige Spieler aus den Leistungszentren der Region zu rekrutieren. Sein Nachfolger Tarik Sarisakal verkündet gleich schon einmal zwei Zugänge für die kommende Saison: André Gasteiger, 23, vom Landesligisten Eintracht Karlsfeld, und René Hamann, 25, vom Landesligisten TSV Jetzendorf. Gleichzeitig muss er mitteilen, dass sich Offensivkraft Paolo Cipolla im Training einen Kreuzbandriss zugezogen hat.

Gegen Ende wird noch lange diskutiert, wie das Nachwuchsproblem zu lösen wäre - aktuell spielen gerade einmal fünf Kinder für den FC Pipinsried. Präsident Küspert kritisiert, dass ein Regionalligist Strafe zahlen muss, wenn er zu wenige Jugendmannschaften stellt - wie soll das denn gehen in einem 530-Seelen-Ort?

Es ist spät geworden, selbst die Spieler, die neben dem Vereinsheim lange trainiert haben, sind schon heimgefahren. Bergmann zieht sich in die Kabine zurück, es gibt immer noch Klärungsbedarf. "Es war knapp", sagt er über die finanziellen Engpässe, "weil wir keine Einnahmen hatten im Dezember, Januar, Februar." Die Pipinsrieder GmbH gibt sich aber überrascht darüber, wie vehement viele im Winter Geld eingefordert hätten. Bergmann sagt, von einem Spieler habe man sich trennen wollen, um Kosten zu senken - dieser hätte aber eine Abfindung verlangt, die man nicht hätte zahlen können. 43 Meter an neuer Bandenwerbung hat Bergmann gewonnen. Gleichzeitig wurde an alle Mitglieder appelliert, bei der weiteren Sponsorensuche zu helfen.

Bergmann ist schon lange im Geschäft. Dennoch schlägt er immer wieder ein Bein über das andere. Die Nervosität lässt auch nicht nach, als es ganz zum Schluss noch um ein Thema geht, das in den kommenden Monaten wohl sehr viele Amateurvereine betreffen wird: Wie geht es weiter, wenn gar nicht mehr gespielt wird, also keine Zuschauereinnahmen fließen, aber die Spieler weiter bezahlt werden wollen? Der Stammverein wäre aus dem Gröbsten raus - genau aus solchen Gründen wurde die Mannschaft ja in eine GmbH ausgegliedert. Bergmann sagt: "Dann gehe ich davon aus, dass man mit den Spielern reden muss, dann muss einfach ein Cut sein. Es muss auf Guthaben-Basis weitergehen", sagt Bergmann. Die Fußball-GmbH dürfe ja keine Kredite aufnehmen. Zumindest Punktprämien würden dann nicht mehr anfallen.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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