Eishockey:Weckruf am Mittag

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Volle Deckung: Torwart Michael Boehm, Marinus Reiter und Klaus Kathan (v.l.) schirmen Frankfurts Matt Pistilli ab – nicht immer so erfolgreich wie hier. (Foto: imago/Eibner)

Die Tölzer Löwen holen in Frankfurt ein 0:4 gegen den Meister auf - jedenfalls fast. Die sportliche Situation des Tabellenletzten in der DEL2 raubt manchen beim Aufsteiger allmählich die Gelassenheit.

Von Johannes Schnitzler, Frankfurt/Bad Tölz

Mit dem Schlaf ist es so eine Sache. Der eine braucht viel, der andere wenig. Rick Boehm schlief am noch sehr jungen Mittwoch etwa zwei Stunden, dann, nachdem er gegen halb fünf in der Früh zu Hause eingetroffen war, noch einmal zwei Stunden - und wirkte mittags dennoch fit und erholt. Boehm hatte zwar wenig geschlafen. Aber das mit gutem Gewissen. Die 5:6-Niederlage der Tölzer Löwen beim Tabellenzweiten der DEL2 in Frankfurt hatte er bereits im Bus verarbeitet. Boehm schnitt die wichtigsten Szenen für die Video-Analyse zusammen, dann lehnte er sich zurück und nickte ein, in der beruhigenden Gewissheit, "dass wir in der Lage sind, auch gegen Top-Teams wie Frankfurt zu gewinnen". Dem eher beunruhigenden Gedanken, dass ihnen genau das wieder einmal nicht gelungen war und sie zum siebten Mal in dieser Saison mit einem Tor Unterschied verloren hatten, wollte er nicht auch noch das bisschen Schlaf opfern. Im Abstiegskampf muss man mit seinen Kräften haushalten.

Obwohl der Aufsteiger ohne Tom Horschel, Thomas Schenkel und Josef Frank nur mit vier gesunden Verteidigern beim Meister in Frankfurt antreten konnte, wusste Boehm seine Löwen gut vorbereitet. Allerdings nicht darauf, was sich in den ersten zwei Dritteln abspielen sollte. Nach 20 Minuten lagen die Tölzer 0:4 zurück. "Wir waren irgendwie gehemmt, verhalten", sagte Boehm. "Vielleicht hatten wir zu viel Respekt." Das erste Duell in dieser Saison, zugleich das erste Tölzer Heimspiel in der zweiten Liga nach mehr als acht Jahren, hatte Frankfurt 7:4 gewonnen - und dabei jeden noch so kleinen Tölzer Fehler ausgenutzt. Verstehen konnte Boehm den Auftritt seines Teams trotzdem nicht: "Das dürfte uns eigentlich nicht passieren. Wenn du in der Tabelle nach oben willst, kannst du nicht das Spiel in Frankfurt 0:4 herschenken." Man habe in der ersten Drittelpause "natürlich sehr ernst diskutiert". Und irgendetwas muss passiert sein. Denn danach stand eine andere Mannschaft auf dem Eis. "Wir haben im Powerplay schnell das erste Tor geschossen, und dann hat alles seinen Lauf genommen", sagte Boehm.

Tölz holte Tor um Tor auf. Nach 40 Minuten lagen die Gäste nur noch 4:5 zurück. "Vielleicht hat Frankfurt abgeschaltet", rätselte Boehm und fügte mit einem Schmunzeln an: "So ist das manchmal im Sport, unerklärlich, wie Dortmund gegen Schalke." Mit dem Unterschied, dass Schalke nach einem 0:4-Pausenrückstand noch einen Punkt aus Dortmund mitnahm. "Wir dachten, das Spiel wäre vorbei", sagte Frankfurts Trainer Paul Gardner. "Aber das Spiel ist niemals vorbei." Hier irrte Gardner: Nach 60 Minuten hatte der Meister 6:5 gewonnen. Tölz war am Ende einfach die Zeit davon gelaufen.

Die erste Lektion von Boehms Video-Analyse dürfte also lauten: Ein Spiel dauert 60 Minuten. Minimum. "Wie kann man nach Frankfurt fahren und so starten?", fragte der Trainer. "Ich kann es nicht erklären." Immerhin habe sein Team Charakter gezeigt: "Sonst kannst du hier auch 0:10 verlieren." Am Freitag (19.30 Uhr) gegen den Tabellenzehnten Heilbronn müsse es nun von Beginn an bissig auftreten "wie ein Außenseiter": "Nur weil wir zu Hause spielen und EC Bad Tölz heißen, heißt das nicht, dass wir gewinnen." Das Hinspiel gewann Tölz 4:3 nach Verlängerung.

Für Christian Donbeck ist es indes mit der Ruhe vorbei. Vor der Partie in Frankfurt verbreitete der Klub am Dienstagmittag auf seiner Homepage ein Interview mit dem Löwen-Geschäftsführer, das offenbar als Weckruf gedacht war. "Natürlich sind wir mit der sportlichen Situation nicht zufrieden. Wir schauen uns die Tabelle ja nicht im Kopfstand an", ließ Donbeck sich zitieren. Die Zuschauerzahlen gingen zurück, gegen Freiburg und Tabellenführer Bietigheim kamen zusammen gerade einmal noch 2300. Auch von einigen Sponsoren sei er "überrascht". Was ihn aber "unendlich" aufrege: "Wenn im Internet anonym geschossen wird." Donbeck sprach von einer "Hetzkampagne" gegen einzelne Spieler: "Das ist unter der Gürtellinie." Gegen Bietigheim (0:2) und in Bayreuth (5:2) habe die Mannschaft "ein klares Zeichen" gesetzt. "Haben wir einmal gejammert? Nein, und das werden wir auch nicht", sagte Donbeck. "Und ich verspreche: Wir werden uns nicht zurücklehnen. Und wir werden die Klasse halten." Klingt nach schlaflosen Nächten.

© SZ vom 30.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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