Eishockey:Silo, das Kopfballungeheuer

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Beim 4:0 der Tölzer Löwen gegen Bad Nauheim bleibt Torhüter Martinovic zum 50. Mal ohne Gegentreffer.

Von Johannes Schnitzler, Bad Tölz

Der Neuner, das muss man für die Jüngeren vielleicht vorausschicken, der Neuner war früher beim Fußball das Synonym für den Mittelstürmer. Der Mittelstürmer, das vielleicht noch ergänzend, teilt das Schicksal des Schomburgk-Hirschs oder des Chinesischen Flussdelfins: Er ist eine ausgestorbene Art. Man sieht ihn nur noch auf alten, grobkörnigen Filmaufnahmen und in abgegriffenen Sammelalben. Meist trägt er nackenlange Haare und lustige Namen wie Horst Hrubesch, "Kopfballungeheuer". Vor allem aber trägt er ein Trikot mit der Nummer 9 auf dem Rücken: der Neuner. Ein paar Unterarten wie die falsche Neun haben noch ein, zwei Spielergenerationen lang überlebt, gelten mittlerweile aber als so selten wie das Sumatra-Nashorn, dessen Population buchstäblich als verschwindend gering bezeichnet werden muss. Das alles muss man wissen, um zu verstehen, was Sinisa, genannt "Silo" Martinovic meinte, als er am Dienstagabend sagte, er sei früher immer "ein Neuner gewesen". Beim Fußball.

Heute, das heißt seit 19 Jahren, ist Martinovic Eishockeyprofi. Ein Torwart. Seit dieser Saison spielt Martinovic in der DEL 2 für die Tölzer Löwen. Der Dienstagabend war für ihn ein Feiertag: Mit dem 4:0 (1:0, 1:0, 2:0) gegen den Tabellenzweiten EC Bad Nauheim stürzten die Löwen die Roten Teufel auf Platz vier und kletterten ihrerseits auf Rang drei; sie feierten den zehnten Sieg in Serie und Martinovic, der Eishockeytorwart, der früher beim Fußball ein Neuner war, erlebte seinen ersten Shutout in dieser Saison, also ein Spiel ohne Gegentor. Zuvor waren die Tölzer in dieser Spielzeit nur ein einziges Mal ohne Gegentreffer geblieben, beim 4:0 in Dresden. Damals stand aber Andreas Mechel im Tor, ausgerechnet, Martinovics Ersatzmann, der so selten zum Einsatz gekommen ist, dass er sich zurzeit eine Auszeit nimmt, um über die Sinnhaftigkeit seines Torwartdaseins zu reflektieren.

Martinovic, der mit mehr als drei Gegentreffern pro Spiel und einer Fangquote von unter 90 Prozent Werte aufweist, die durchaus nicht über jede Kritik erhaben sind, kämpfte für dieses Zu-null-Spiel mit allem, was er hatte. Er spielte gut, zeigte sehenswerte Paraden, stand immer richtig. Sein Trainer Kevin Gaudet sagte: "Vielleicht spielt er gerade das beste Eishockey, das ich je von ihm gesehen habe. Er war immer da, wenn wir ihn gebraucht haben." Und dann, als im letzten Drittel nur noch wenige Minuten zu spielen waren und dieser eine Puck auf sein Tor geflogen kam, in einer für einen Eishockeytorwart unangenehmen Höhe - da köpfelte Martinovic die Hartgummischeibe einfach beherzt aus der Gefahrenzone. Wie ein Neuner.

Schraube locker: Sinisa Martinovic musste im zweiten Drittel seine Torwartmaske reparieren lassen. Gut so. Im letzten Drittel parierte er damit spektakulär einen Nauheimer Schussversuch. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Den habe ich heute gebraucht", sagte er hinterher und grinste.

Dieser Shutout war für den 38-Jährigen ein besonderer. Nicht, weil er seinen Status als Nummer eins zementierte. Nicht, weil jeder Torwart gerne zu null spielt. Schon eher, weil es für ihn der 50. Shutout in der DEL 2 war. Vor allem aber, weil die gesamte Mannschaft für ihn und mit ihm darum kämpfte. "Wahnsinn", sagte er. "Wenn man so oft gewinnt, muss schon alles funktionieren vom Jüngsten bis zum Ältesten."

Der Ältestes im Team, das ist Martinovic.

Am Dienstag funktionierte vor allem das Powerplay. Sechs Mal durften die Löwen in Überzahl ran, vier Mal trafen sie. Mit einer Quote von knapp 33 Prozent ist das Tölzer Überzahlspiel das beste der Liga. "Der Unterschied war offensichtlich: Bei Tölz hat das Powerplay funktioniert, bei uns überhaupt nicht", sagte Nauheims Coach Christof Kreutzer. "Wir nehmen hier verdientermaßen keine Punkte mit."

Für Löwen-Trainer Kevin Gaudet, der mit Martinovic bereits von 2014 bis 2018 in Bietigheim zusammenarbeitete und mit den Steelers drei Titel feierte, wird es, wie er sagt, von Sieg zu Sieg "härter und härter", seine Mannschaft zu motivieren. Sie davor zu bewahren, dass sie glaubt, der Erfolg wäre normal. "Das ist nicht normal", sagt Gaudet. Seine Mannschaft hätte nach zehn Minuten schon 2:0 oder 3:0 führen können; sie führte aber nur 1:0. "Wenn Bad Nauheim ein Tor geschossen hätte..." Taten die Hessen aber nicht. "Wir haben zurzeit auch ein bisschen Glück", sagt Gaudet. "Ohne Glück gewinnst du nicht zehn Mal nacheinander." Außerdem hat seine Mannschaft Spaß an der Siegesserie gefunden. Seit einigen Wochen spielt sie fast immer in Bestbesetzung, am Dienstag fehlte lediglich Johannes Sedlmayr. Allmählich greifen die Automatismen. "Wichtig ist nur, dass wir gewinnen, gewinnen, gewinnen", sagt Martinovic. "Ich war selbst ein bisschen überrascht von unserem Siegeswillen heute", gab Gaudet zu. Er müsse sich jetzt überlegen, was er seinem Team vor der nächsten Partie mit auf den Weg geben könnte. Dann sagte er noch: "Silo ist ein großer Grund für diese Siegesserie."

Silo Martinovic, der im Dezember 39 wird, freute sich nach dem Spiel vor allem auf den freien Tag danach mit seiner Familie. Der eng getaktete Spielplan, der sich in der bevorstehenden Weihnachtszeit traditionsgemäß noch verdichtet, mache ihm aber nichts aus. "Wenn wir so viele Spiele haben, trainiere ich einfach fast gar nicht mehr. Ich komme nur noch zum Regenerieren, Fahrrad fahren, Massage. Ich konzentriere mich dann nur noch auf die Spiele. Wenn wir dreimal die Woche spielen, brauche ich kein Training mehr."

Hin und wieder ans Kopfballpendel, das reicht völlig.

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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