Eishockey:Schulter-Schluss

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Mit 31 Jahren tritt Nationalspieler Felix Petermann verletzungsbedingt ab - und ruft die Branche zum Umdenken auf

Von Johannes Schnitzler, München

Es ist der Moment, in dem Felix Petermanns Unterkiefer zu mahlen beginnt. Der Moment, in dem der Eishockeyprofi Petermann zum Privatmann wird, der Moment, in dem er sagt: "Ich hänge meine Schlittschuhe an den Nagel."

Mittwochvormittag, ein loungiges Café im Münchner Gärtnerplatz-Viertel, viel Holz, viel Chrom. Vorne nimmt der ehemalige Fußballer Necat Aygün einen Kaffee mit dem ehemaligen Schiedsrichter Urs Meier, den hinteren Teil hat Petermann reserviert. Am Treppengeländer hängen Trikots seiner Stationen als Spieler: Füssen, Nürnberg, Mannheim, München. Trikots mit dem Bundesadler darauf. Trikots mit der Nummer 43. Petermann hat zur Pressekonferenz eingeladen, sogar einen Moderator hat er dazu bestellt, um sein Karriereende zu verkünden, mit 31 Jahren.

Dunkelblaues Wollsakko, weißes Hemd, weißes Einstecktuch: Petermann gibt zu, dass er eitel ist. In der Münchner Kabine haben sie ihm den Spitznamen "Bachelor" verpasst, weil er Ähnlichkeit mit dem TV-Beau Paul Janke hat. DEB-Vizepräsident Marc Hindelang sagt: "Das hat Stil. Man muss sich als Eishockey-Nationalspieler in München nicht verstecken."

Auf dem Eis geht Petermann seiner Arbeit weniger elegant als rustikal nach. Als Verteidiger soll er Tore verhindern, das ist seine Aufgabe, und er erledigt sie mit vollem Körpereinsatz. 584 Mal in der DEL, 64 Mal in der Nationalmannschaft. 2007 wird er mit Mannheim Meister und Pokalsieger, im selben Jahr darf er mit zur WM nach Moskau. Als der EHC München 2010 in die erste Liga aufsteigt, nimmt der heimatverbundene Allgäuer das Angebot aus der Landeshauptstadt an. Drei Jahre lang ist er Kapitän des EHC, auch in den "weniger lustigen Zeiten", als der Klub an der Insolvenz vorbeischrammt. Dann kommt der 12. Dezember 2014, ein Freitag, das Heimspiel gegen die Adler Mannheim.

"Ich hatte gerade einen Pass gespielt und mich noch gefreut, weil es ein guter Pass war", erzählt Petermann - "ich hatte in dem Moment null Körperspannung." Nach einem Check knallt er mit voller Wucht in die Bande. Diagnose: Schulterluxation, Trümmerbruch im linken Oberarm, Ruptur des Achselnervs. Die Fahrt ins Krankenhaus erlebt er wie auf Drogen, so viele Schmerzmittel hat er intus.

Petermann denkt positiv, er sagt: "Ich bin nicht der Typ, der lange darüber nachdenkt, weshalb das passiert ist." Er rechnet mit einer langen Pause, zehn Wochen, vielleicht zwölf. Spätestens zu den Playoffs will er wieder auf dem Eis stehen. Was Petermann nicht ahnt: Seine Profikarriere ist in diesem Moment bereits vorbei.

Die Schulter wird eingerenkt, die Brüche verheilen, doch alle Versuche, den zerfetzten Nerv zu reparieren, schlagen fehl. Am Ende steht eine Transplantation. Monat um Monat vergeht. Der EHC scheidet im Viertelfinale aus. Er hätte in der entscheidenden Phase einen zupackenden Spieler wie Petermann brauchen können. Der enttäuschte Wäre-gern-Meister baut daraufhin seinen Kader um. Petermann, der Vorzeige-Profi mit dem Kinder-Schokolade-Gesicht, der zu jedem PR-Termin geschickt wurde (und diese gerne wahrnahm), dessen Konterfei überlebensgroß den Mannschaftsbus und die Klub-Homepage zierte, er wird als einer der Ersten ausgemustert. Neben allem anderen war er auch Gutverdiener.

"Profisport ist ein knallhartes Geschäft, da gibt es keine Romantik", sagt Petermann. "Ob ich es an Stelle des Vereins auch so gemacht hätte, ist eine andere Frage." Bis heute kann er seinen linken Arm nicht über Schulterhöhe heben. Andere Vereine verlieren mit der Zeit das Interesse, irgendwann reift die Erkenntnis: Seine Zeit als Profi ist vorbei. Nach elf "unglaublich schönen Jahren", beendet in einem unachtsamen Moment im Dezember 2014.

Petermann tritt ohne Bitterkeit ab. "Verletzungen sind Teil des Sports", sagt er. "Solange es gut läuft, ist es ein Traumjob, du wirst auf Händen getragen." Die Kehrseite: Wenn es nicht mehr läuft, wird man fallen gelassen. "So etwas wie Loyalität oder Dankbarkeit gibt es nicht. Der Spieler muss Freitag/Sonntag funktionieren." Deshalb fordert er "ein Umdenken, bei den Vereinen und Spielerberatern". Gerade junge Spieler sollten "schauen, dass sie einen Plan für die Karriere nach dem Profisport machen." Mit Eishockey, sagt Petermann, "kann man in Deutschland nicht aussorgen. Ein paar Clevere vielleicht. Aber 99 Prozent können es nicht."

Um ihn muss man sich wohl keine Sorgen machen. Petermann hatte früh einen Plan, hat BWL studiert und Internationales Management, ein Angebot für Spitzensportler. Die Hochschule Ansbach wirbt mit ihm auf ihrer Homepage. Bereits am Montag fängt er beim größten deutschen Technologiekonzern in Frankfurt als Referent des Vorstands an. "Das ist ein klarer Cut", sagt er, und: "Die Familie unterstützt mich." Das ist ihm wichtig. "Wenn ich die Trikots abhänge, ist das Thema in der Schublade und erst mal weg." Ins Eisstadion gehen will er die nächste Zeit trotzdem nicht. Die Gefahr wäre zu groß, dass die Schublade aufgeht. Immer wieder darüber zu reden, was noch möglich gewesen wäre, "macht es nicht besser", sagt Felix Petermann.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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