Eishockey:Quadrato, die Zaubersau

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Mit allen Wassern gewaschen: Chris St. Jacques traf im Derby gegen Riessersee gleich zweimal für Tölz – und beim Bandencheck noch einen Gegner. (Foto: Oliver Rabuser)

Mit seinem Debüt gegen Riessersee schenkt Chris St. Jacques den Tölzer Löwen neues Selbstvertrauen. Für die Fans ist der kleine Mann schon jetzt ein Großer.

Von Johannes Schnitzler, Bad Tölz

Wie sauber muss eigentlich einer sein, der angeblich mit allen Wassern gewaschen ist? Chris St. Jacques stand nach dem Spiel gegen den SC Riessersee vor der Kabine der Tölzer Löwen, T-Shirt, kurze Hose, Badeschlappen. Die Hände hinter dem Rücken ineinander verschränkt wie ein Rekrut vor einem Offizier, der ihm gleich erklärt, dass ihm ein Verfahren vor dem Militärgericht droht. Ob das ein sauberer Check war gegen Joel Johansson? "Ich denke, es war ein sauberer Check", sagte St. Jacques. Zu seiner Verteidigung führte der Kanadier seine Größe an, wohlwollend geschätzt 1,75 Meter. "Er ist so viel größer als ich. Wie soll ich ihn am Kopf treffen?", fragte St. Jacques mit treuherzigem Blick.

Der Tölzer St. Jacques hatte den Garmischer Verteidiger Johansson am Sonntag im ersten Drittel heftig in die Bande gestemmt. Der Schwede, 1,87 Meter groß, 93 Kilo schwer, ging sofort zu Boden und blieb minutenlang auf dem Eis liegen, bis er, von Betreuern gestützt, in die Kabine geführt werden konnte. Dort sei der 27-Jährige kollabiert, wie aus Garmischer Kreisen zu hören war. Johansson wurde wegen des Verdachts auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus transportiert, beim SCR rechnet man mit einem längeren Ausfall. "Er sah mich kommen", beteuerte St. Jacques. Auf Videobildern von der Szene ist zu sehen, wie der Stürmer Anlauf nimmt und seinen Gegner mit der Schulter trifft. St. Jacques' Ellenbogen ist angelegt, vor dem Zusammenprall hebt er ein wenig ab, aber noch im Rahmen der Toleranz. "Ich glaube, er ist nach dem Kontakt mit dem Kopf gegen die Bande geprallt", sagte St. Jacques. "Das war eine unglückliche Situation. Natürlich will ich niemanden verletzen. Aber ich habe nur meinen Check zu Ende gebracht." Auch von Garmischer Seite gab es keine schwerwiegenden Anschuldigungen, weder direkt auf dem Eis noch nach dem Spiel. Im Zweifel also für den Angeklagten: Sauber, der Mann.

Christian Donbeck, Geschäftsführer der Tölzer Löwen, hatte den 34-Jährigen als einen Spieler angekündigt, der "mit allen Wassern gewaschen" ist und - "auf Bairisch", wie Donbeck anfügte - "eine verreckte Sau". St. Jacques soll die verletzten Finnen Tuomas Vänttinen und Joonas Vihko ersetzen, sein Vertrag läuft vorerst über sechs Wochen. Nach dem 7:3 gegen den SC Riessersee wünschten sich viele beim DEL2-Aufsteiger, man möge den Kontrakt sofort bis Saisonende verlängern. Am Donnerstag vergangener Woche hatte der Kanadier seine Zusage gegeben, am Freitag in Kaufbeuren stand er noch nicht im Kader, aber am Sonntag im Derby gegen Riessersee war es soweit. St. Jacques schoss zwei Tore, das erste zum 1:0 gleich in seinem ersten Wechsel, und ebnete den Weg zu einem triumphalen Sieg gegen den alten Erzrivalen. Die Tölzer Arena war zum ersten Mal seit 2009 ausverkauft. Eine bessere Bühne für seinen Einstand hätte St. Jacques nicht finden können. "Das war ein nettes Debüt", sagte der "Man of the Match" hinterher und grinste.

Bei den Fans hat der kleine, bullige Stürmer bereits einen eigenen Namen: Quadrato. Was eine hübsche Lautmalerei ist, irgendwo zwischen Superheld und Zaubermaus. Die Älteren in der Kurve erinnerte er bereits an den legendären Vladimir Kames, der nach Siegen immer ein Tänzchen vor den Fans aufführte. Auch St. Jacques ließ sich nicht lange bitten, legte sogar noch eine Rolle oben drauf und wunderte sich hinterher selbst: "Ich bin eigentlich nicht so der Tänzer, höchstens mal bei einer Hochzeit oder so. Aber hey, es war ein großes Derby, die Fans waren relaxed - ich habe mein Bestes gegeben."

Das will er auch in den nächsten sechs Wochen tun, sehr gerne auch länger: "Einige haben gesagt: ,Ah, der ist doch nicht fit'", weiß St. Jacques. Sein letztes Ligaspiel lag sechs Monate zurück, dazwischen hielt er sich bei der zweiten Mannschaft der Bietigheim Steelers in Form. Seine einzige Trainingseinheit mit den Löwen absolvierte er am Samstag. Und war am Sonntag der Matchwinner. "Vielleicht bin ich noch nicht topfit", gibt St. Jacques zu. "Aber ich hoffe, ich kann hier länger beweisen, dass ich fit genug bin für die DEL2."

Für seinen Trainer Rick Boehm ist klar, dass sein jüngster Zugang etwas mitbringt, was seinem Team bislang vielleicht fehlte: eine Portion Abgebrühtheit, Kaltschnäuzigkeit. Auch bei den vorhergehenden Niederlagen gegen Ravensburg (1:5), Kassel (1:2) und Kaufbeuren (2:5) habe sein Team streckenweise gut gespielt: "Aber da hatten wir nicht immer das Glück. Heute hatten wir es. Das tut den Jungs gut." Pause. "Und mir auch, so nebenbei."

Boehm weiß, dass bei einer weiteren Niederlage gegen Riessersee die Diskussionen um das System, um einzelne Spieler und auch um ihn lauter geworden wären. Tölz tastet sich nach dem Sieg gegen Riessersee noch immer durch den Tabellenkeller. Aber dieses 7:3 dürfte Boehm und seiner Mannschaft vorerst etwas Ruhe verschafft haben. "Zehn Tore sind für einen Trainer zwar nicht das Optimale", sagte Boehm. "Aber das ist Unterhaltung. Und das ist es, was letztlich zählt. Natürlich war der Sieg für unsere Mannschaft, für unsere Fans und für unsere Sponsoren wichtig. Mehr geht nicht." Andererseits: Noch ist St. Jacques nicht in Topform. Am Freitag (19.30 Uhr) empfangen die Löwen die Eispiraten aus Crimmitschau. Die Sachsen dürften wissen, was auf sie zukommt. Vor seinem Wechsel nach Tölz trat Quadrato, die mit allen Wassern gewaschene Zaubersau, dort zuletzt auf.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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