Eishockey:"Ohne Kommerz geht's nicht"

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NHL-Profi und 1860-Fan Korbinian Holzer über emotionale Achterbahnfahrten, Interviews auf Russisch, das Vorbild Cristiano Ronaldo und den EHC Red Bull München

Interview von Johannes Schnitzler

Der vergangene Sonntag war kein guter Tag für Korbinian Holzer. Der gebürtige Münchner, aufgewachsen im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen, hatte Karten für die Saisonauftaktpartie des TSV 1860 München bei Greuther Fürth. Sechzig verlor 0:1. Ein paar Tage zuvor saß der Eishockey-Profi und Löwen-Fan Holzer, 28, auf der Terrasse eines Hotels in Icking, vor sich einen Backhendl-Salat, im Rücken die Alpen, und sprach - natürlich über 1860. Aber auch über schwierige Phasen in der NHL, über die Olympia-Qualifikation, auf die sich die Nationalspieler vom 22. August an vorbereiten, und die Bedeutung frühkindlicher Prägung.

SZ: Herr Holzer, das Titelbild ihrer Facebook-Seite zeigt 1860-Ikone Rudi Brunnenmeier. Seit wann sind Sie Löwen-Fan?

Korbinian Holzer: Puh. Ich weiß, dass ich einmal vom Kindergarten heimgekommen bin und zu meinem Vater gesagt habe: "Du, Papa, ich werde jetzt Bayern-Fan. Weil im Kindergarten alle Bayern-Fans sind." Daraufhin hat mich mein Vater angeschaut und gesagt: "Nein. Du bist Sech-zger-Fan. Dein Opa war schon Sechzger-Fan, ich bin Sechzger-Fan und du bist auch ein Sechzger-Fan." Ab dem Zeitpunkt war ich Sechzger-Fan. Also rund 25 Jahre.

Und, wie geht es mit 1860 weiter?

Schwer zu sagen, gerade bei Sechzig, der wahrscheinlich größten Wundertüte im Profifußball. Eine solide Saison wär' halt mal wichtig. Man muss geduldig sein.

Geduld ist ein schönes Stichwort.

War da jetzt ein Fragezeichen oder ein Ausrufezeichen?

Weder noch. Ich wollte das Wort einfach mal so aushallen lassen.

Verstehe schon.

Sie haben in sechs Jahren für Toronto und Anaheim insgesamt 87 Spiele in der NHL gemacht, der "besten Liga der Welt" - nicht viel angesichts von 82 Vorrundenspielen. Trotzdem haben Sie jetzt in Anaheim für die kommende NHL-Saison unterschrieben. Hat sich Ihre Geduld ausgezahlt? Oder sind Sie einfach stur?

Anaheim wollte schon während der Saison verlängern. Ich wollte aber noch warten. Nach der Saison hatte ich ein gutes, offenes Gespräch mit dem General Manager. Ich habe gesagt, dass ich mir eine faire Chance wünschen würde.

Hatte Sie zuletzt keine?

Blöderweise habe ich mich im Trainingscamp verletzt und war erst mal raus. Aber vielleicht war es gar nicht schlecht, dass ich dann ins Farmteam nach San Diego kam, zu dem Trainer, mit dem ich in Toronto drei Jahre zusammengearbeitet habe.

Dallas Eakins.

Genau. Er hat mich immer unterstützt, und so kam ich relativ schnell wieder hoch und habe mich von Spiel zu Spiel wohler gefühlt. Es ist dann halt frustrierend, wenn du für zwei, drei Spiele reinkommst, weil sich einer verletzt hat, und danach bist du wieder raus, obwohl du gut gespielt hast. Deshalb war es mir wichtig, dass ich in der neuen Saison eine faire Chance bekomme.

War Anaheim auch deshalb erste Wahl, weil Sie wussten, was Sie dort erwartet?

Da spielen auch andere Faktoren mit hinein, ja. Unsere Tochter wird im November zwei Jahre alt, ich komme mit der Mannschaft gut aus, es gibt dort gute Strukturen. Wir fühlen uns wohl in Anaheim.

Trotzdem: Wie behält man die Geduld, wenn man 28 ist, im besten Eishockey-Alter, und kaum spielen darf?

Ich muss ehrlich sagen, dieses Jahr war ich nahe dran, einen Schlussstrich zu ziehen. Immer nur um die 30 Spiele pro Saison, dafür bin ich ja nicht da drüben. Es ist halt ein "number's game", es gibt zu viele Spieler. Das kann frustrierend sein. In solchen Phasen muss man sehen, dass man mental auf dem Dampfer bleibt. Aber ich bin da mittlerweile recht abgehärtet.

Anaheim gehörte zu den Favoriten auf den Stanley Cup, schied aber gleich in der ersten Playoff-Runde aus, ohne dass Sie ein Spiel bestritten hätten. Im Jahr davor kamen Sie vor den Playoffs aus Toronto - und durften auch nur zuschauen.

Diesmal hat man mir vor dem siebten Spiel gesagt, dass ich wahrscheinlich spiele. Und dann kommst du am Morgen in die Halle und erfährst, dass du wieder nicht spielst. Das muss man so hinnehmen.

Sie haben dann einen Zwei-Jahres-Vertrag abgelehnt . Warum?

Es ging um Optionen. Ich hätte sagen können, ich unterschreibe für zwei Jahre und nehme das Geld mit. Aber die Hoffnung ist, dass ich nächste Saison mehr Spiele mache. Dass man im Februar, März zu mir sagt: "Komm, wir verlängern", und dann zu anderen Konditionen. Die Tür ist auf, aber irgendwie stehe ich mit einem Bein drin und mit einem noch draußen.

Mit der Nationalmannschaft hatten Sie dagegen Erfolge. Bei der WM war Deutschland erstmals seit 2011 im Viertelfinale.

Korbinian Holzer mit Marcel Goc und Patrick Reimer (v.r.) beim Rafting auf dem Lech - Teambuilding im Sommer-Lehrgang der Nationalmannschaft. (Foto: Imago)

Wir haben eine überragende WM gespielt, auch bei mir persönlich ist es sehr gut gelaufen. Ich hatte viel Eiszeit und das Vertrauen des Trainerteams. Da sieht man, dass es schon gehen würde. Die Frage ist: Schaffst du das über 82 Spiele? In der NHL gibt es 30 Mannschaften, von denen keine so richtig abfällt, da ist jedes Spiel wie ein WM-Spiel gegen Russland oder Kanada.

Sie haben bei der WM mit ganz neuen Qualitäten geglänzt: als Siegtorschütze beim 3:2 gegen die USA und mit einem, nun ja, Interview auf Russisch, als Sie Sätze von Papptafeln ablesen sollten. Sehr lustig.

(grinst) Vor allem, wenn 15 Kollegen drumrumstehen und lachen wie die Idioten.

Haben Sie bei Ihrem Treffer gegen die USA nicht gedacht: "Ka-Ching!"? Das muss doch in Amerika aufgefallen sein?

Die WM hat leider drüben nicht so den Stellenwert. Für mich war es trotzdem schön. Ich habe die letzten zwei Jahre kein Tor geschossen. Wenn dieses Tor nicht 30 Sekunden vor Schluss fällt, sondern in der 25. Minute, dann ist es auch nicht so eine emotionale Achterbahnfahrt. So aber war es eben der Sieg für uns und das Viertelfinale. Und die USA hatten keine Thekentruppe dabei.

Im deutschen Kader standen so viele NHL-Spieler wie nie zuvor, die Stimmung scheint sich verbessert zu haben, seit Marco Sturm Bundestrainer ist. Sind die bleiernen Jahre vorbei?

Es hat sich schon was verändert. Ich war 2011 in Bratislava zuletzt dabei, da waren wir auch im Viertelfinale. Seitdem nicht mehr. Es waren nicht die Spieler mit der Qualität dabei wie diesmal. Marco Sturm weiß als ehemaliger NHL-Profi, was es bedeutet, nach einer langen Saison noch eine WM zu spielen. Er ist ein Zugpferd. Auch Franz Reindl (Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, d. Red.) tut viel.

Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten überlegt, einen Schlussstrich unter Ihre NHL-Karriere zu ziehen. Und dann? Russland? Schweden? Schweiz?

Wir haben ausgelotet, was gehen könnte. Aber es war nichts konkret. Da müsste ich schon noch genau überlegen, bevor ich sage: Jetzt mache ich die Tür zu.

Sie sind in München geboren, in Gelting zu Hause, Sie sind Löwen-Fan - München wäre in der DEL die logische Adresse.

Klar, es ist nah an zu Hause, ich könnte mir eine Sechzig-Dauerkarte kaufen . . .

Und München wäre einer der wenigen Klubs in Deutschland, die sich einen Spieler wie Sie leisten können.

Klar, in München ist Red Bull dahinter. Und wenn ich nach Deutschland kommen sollte, will ich ja nicht um die goldene Ananas spielen, sondern Titel holen.

Finanziell ist die DEL vermutlich nicht so interessant für jemanden, der pro Saison 700 000 Dollar verdient - nicht viel für die NHL, aber doch deutlich mehr als hier.

Ach, damals in der AHL (American Hockey League, zweite Liga in Nordamerika) habe ich 67 500 kanadische Dollar verdient. Brutto. Dann hast du 50 Prozent Steuern, musst Wohnung und Auto selbst bezahlen - nicht wie in Deutschland, wo das gestellt wird -, und Toronto ist von den Lebenshaltungskosten ungefähr so teuer wie München. Vielleicht sogar teurer.

Gibt's nicht.

Kommen Sie mal nach Kalifornien, dann sehen Sie, dass es das gibt. Klar verdienen wir viel Geld. Aber wenn du in der AHL spielst, bleibt nicht viel übrig. In Deutschland hast du Nettosummen, Auto, Wohnung, die eine oder andere Prämie, vielleicht einen Playoff-Bonus. Und du hast weniger Spiele. In Deutschland kann man ganz gut verdienen.

Tom Kühnhackl ist ebenfalls seit sechs Jahren in Nordamerika und musste durch untere Ligen tingeln. Jetzt ist er mit Pittsburgh Stanley-Cup-Sieger. Leon Draisaitl musste zu Beginn dieser Saison auch runter in die AHL, hat dann aber in Edmonton seinen Durchbruch in der NHL geschafft. Haben Sie sich schon mal bei dem Gedanken ertappt: Verdammte Mistkerle?

Nein, absolut nicht. Mich freut es für jeden Deutschen, der in die Liga kommt. Das zeigt ja, dass wir gute Spieler haben. Tom hat lange gekämpft, auch mit Verletzungen, und dann das nötige Glück gehabt.

Und offenbar die nötige Geduld. Warum lief es für Leon Draisaitl bei der WM so gar nicht? Er gilt als der deutsche Hoffnungsträger, "The German Gretzky"?

Ich finde nicht, dass Leon ein schlechtes Turnier gespielt hat. Vielleicht hat das Publikum mehr erwartet, vielleicht hat auch er selbst mehr erwartet. Aber er wird noch eine große Rolle spielen, in der Nationalmannschaft und der NHL. Leon hat das Potenzial, einer der Top-Spieler zu werden, ein Typ wie Dirk Nowitzki im Basketball.

Korbinian Holzer, 28, begann im Nachwuchs des TuS Geretsried mit dem Eishockey. (Foto: Rich Graessle/AP)

Das ist ja sein eigener Anspruch. Das Problem ist: Je erfolgreicher er in der NHL ist, desto seltener wird er für die Nationalmannschaft antreten können.

Nowitzki war auch nicht bei jeder WM. Aber das Zugpferd für eine Sportart ist die Nationalmannschaft. Wenn die Nationalmannschaft funktioniert, interessiert sich ein breiteres Publikum. Siehe Handball.

Umso wichtiger wäre, Anfang September in Riga die Qualifikation für die Olympischen Winterspiele 2018 zu gewinnen.

Die Olympia-Teilnahme ist extrem wichtig. Dann hätten wir auch einen besseren Einstieg in die Heim-WM 2017. Bei Olympia 2010 in Vancouver waren wir richtig schlecht. Die Stimmung war fast am Tiefpunkt, jeder hat befürchtet, dass wir uns danach bei der Heim-WM blamieren. Aber dann kam das Eröffnungsspiel gegen die USA, vor 77 000 Zuschauern auf Schalke, wir haben 2:1 gewonnen, und die Euphorie hat uns bis ins Halbfinale getragen. Den Schwung, den wir jetzt von der WM 2016 haben, müssen wir mitnehmen in die Olympia-Quali. Und dann haben wir nächstes Jahr bei der Heim-WM hoffentlich die bestmögliche Mannschaft zur Verfügung.

Von dieser Saison an überträgt die Telekom alle DEL-Spiele live, die WM findet in Deutschland statt - glauben Sie an einen Eishockey-Schub?

Gerade live ist Eishockey ein super Produkt. Wir werden nie die Erlöse haben wie Fußball durch Eintritt, Merchandising, TV- oder Sponsoreneinnahmen. Im Fußball kauft ein Klub einen Spieler für 90 Millionen und nimmt innerhalb einer Woche die Hälfte durch den Trikotverkauf wieder ein. Das sind andere Dimensionen. Bei uns leben die großen Vereine wie Mannheim, Berlin oder München von Investoren. Im Eishockey geht es nicht ohne Kommerz.

Das werden viele nicht gerne hören. Ein Dauerthema unter den Fans ist ja: zu viel Kommerz, zu wenig Auf- und Abstieg.

In Amerika sind die Kader durch den Draft (die jährliche Talentziehung) ausgeglichen, durch den Salary Cap (Gehaltsobergrenze pro Team) haben alle das gleiche Geld zur Verfügung. Mit diesem System kann man eine attraktive Liga basteln. Bei uns ist die Fan-Kultur anders. Wenn du im Fußball Auf- und Abstieg abschaffen würdest, die würden dir die Stadien anzünden.

Die Fußball-Bundesliga ist im Gegensatz zur DEL eine der besten Ligen weltweit.

Aber wenn man die EM in Frankreich gesehen hat, das war grausam. Ich habe noch nie ein EM- oder WM-Finale gesehen, wo ich in der Halbzeit ausgemacht habe und ins Bett gegangen bin. Total überbläht. Vielleicht ist das die Chance für Eishockey.

Vorausgesetzt, das Nachwuchsproblem wird gelöst. In der Breite gibt es zu wenige Spieler, und die besten Talente gehen inzwischen direkt nach Nordamerika, weil sie hier keine Chance für sich sehen.

Wir brauchen nicht darüber diskutieren, dass da was passieren muss. Die U-23-Regel ist super, aber eigentlich sind die jungen Spieler nur zum Auffüllen der Kader da und werden in die Oberliga oder zweite Liga abgeschoben. Vielleicht muss man da auch mal individueller arbeiten und die Jungen spielen lassen. Als ich 2007 nach Düsseldorf kam, hatte ich in den ersten zehn Spielen wahrscheinlich keine vier Wechsel. Ich saß auf der Bank immer ganz hinten, beim Ersatztorwart. Irgendwann haben wir in Krefeld gespielt, Robert Dietrich hat sich den Fuß gebrochen - und ab da habe ich gespielt. Sonst wäre ich vielleicht noch ein Jahr auf der Bank gesessen.

Das heißt, die Talente wären da, sie werden nur nicht genug gefördert?

Du brauchst nur einen Co-Trainer extra, der mit den jungen Spielern arbeitet. Und die Jungen müssen auch bereit sein, was extra zu machen. In der NHL geht keiner sofort vom Eis, wenn der Trainer gepfiffen hat. Wenn ich sehe, was Sidney Crosby, ein Olympiasieger, Weltmeister und Stanley-Cup-Sieger, alles zusätzlich macht - der ist nicht umsonst so erfolgreich. Oder im Fußball: Man kann Cristiano Ronaldo hassen oder lieben. Aber er macht was aus seinem Talent. Man darf die Jungen nicht nur in Watte packen. Von nichts kommt nichts.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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