Eishockey:Mitternachtsspitzen

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Für den EHC München ist der Einzug ins DEL-Halbfinale der größte Erfolg seiner Klubgeschichte. Nicht nur deshalb ist das Duell mit den Kölner Haien schon vor dem ersten Bully rekordverdächtig

Von Christian Bernhard und Johannes Schnitzler

An diesem Mittwoch beginnen in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) die Halbfinals. Die Paarung EHC München vs. Kölner Haie gab es in der Play-off-Geschichte erst ein Mal, für den EHC ist das Erreichen der Vorschlussrunde der größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Und doch hat die Begegnung mit dem achtmaligen Meister die Zutaten zum Klassiker.

Vollstrecker

Es war drei Minuten vor Mitternacht, als Philip Gogulla am 16. März 2011, einem Mittwoch, in der dritten Verlängerung nach exakt 110 Minuten den Kölner 4:3-Sieg in München fixierte. Zwei Tage später gewannen die Haie auch Spiel zwei der Qualifikation, Aufsteiger EHC München hatte seine erste K.o.-Runde in der DEL verloren. Partie Nummer eins ging als das drittlängste Spiel in die Liga-Geschichte ein. Das längste Spiel datiert vom 23. März 2008, die Partie lautete Köln gegen Mannheim. Schütze des entscheidenden Treffers nach 168:16 Minuten: Philip Gogulla. Gegen Mannheim (Qualifikation) und Berlin (Viertelfinale) hat der Nationalspieler in diesen Play-offs schon wieder achtmal getroffen - doppelt so oft wie der zweitbeste Schütze, Gogullas Sturmpartner Patrick Hager. Hager ist bereits das dritte Jahr in Serie einer der prägenden Play-off-Spieler, er überzeugt nicht nur mit Scorerpunkten (zwölf, wie Gogulla), sondern nimmt auch in Unterzahl eine zentrale Rolle ein. "Unglaublich, was die leisten", sagt Münchens Kapitän Michael Wolf: "Diese Reihe müssen wir unter Kontrolle bringen." Wolf ist beim EHC der Mann für die wichtigen Tore. Spiel fünf gegen Straubing entschied der 35-Jährige mit zwei Treffern zum 2:1 und überholte mit nun 273 Toren Nürnbergs Patrick Reimer (272) wieder in der DEL-Torjägerliste.

System-Programmierer

Für Cory Clouston schließt sich an diesem Mittwoch in München ein Kreis. In der bayerischen Landeshauptstadt traf der 46-jährige Kanadier am 22. Januar erstmals auf seine Mannschaft. Zwei Tage, nachdem die Kölner Haie Niklas Sundblad entlassen hatten, fuhr Clouston direkt vom Münchner Flughafen ins Olympia-Eisstadion - und sah eine 0:3-Niederlage seines Teams. Sein Eindruck damals: "München hat mit viel Struktur gespielt. Dorthin müssen wir auch gelangen." Das System des ehemaligen NHL-Cheftrainers ist laut Stürmer Ryan Jones "extrem simpel, nichts daran ist irgendwie ausgefallen oder außergewöhnlich". Clouston führte die Haie von Rang zehn auf sieben, in den ersten beiden Play-off-Runden eliminierten sie den aktuellen Meister Mannheim und DEL-Rekordmeister Berlin. Fünf ihrer sieben Titel holten die Eisbären freilich unter EHC-Trainer Don Jackson. Der 59-Jährige hat seit 2006, als er mit Düsseldorf ins Finale einzog, in der DEL insgesamt 23 Play-off-Serien als Cheftrainer gespielt. Neunzehn davon gewann der zweimalige Stanley-Cup-Sieger. Im Finale könnte Jackson seine 25. Serie starten. Sein System? Ganz einfach erfolgreich.

Moment für die Historie: Nationalspieler Philip Gogulla (in Weiß) trifft am 16. März 2011 um 23.57 Uhr zum 4:3 für die Kölner Haie. (Foto: Stefan Matzke/sampics)

Kleine Racker

"Grandiose Arbeitsmoral": Zwei Worte im Scoutingbericht über Kölns Ryan Jones reichen aus, um den 31-Jährigen zu beschreiben. Sein Kämpferherz bewies der Kanadier im Februar nach einem Armbruch. Statt sich operieren zu lassen, entschied Jones, sich nicht unters Messer zu legen, "um die Chance auf einen Einsatz noch in dieser Saison zu erhalten". In Spiel zwei gegen die Eisbären stand er wieder auf dem Eis. Wie schnell es gegen den EHC klappen kann, hat Jones bereits gezeigt: 2014 erzielte er gegen die Münchner das schnellste Tor in der DEL-Geschichte der Haie, gerade einmal sieben Sekunden waren gespielt.

Drei Worte immerhin braucht das Münchner Publikum, um seinen Liebling zu beschreiben: "Kahun, Kahun, Kahun!" Die ersten Monate dieser Saison standen im Zeichen des trickreichen 20-jährigen Angreifers. Eine Viruserkrankung Anfang des Jahres stoppte den Höhenflug des 1,78 Meter kleinen Quirls, seitdem punktet er nicht mehr so auffällig. In der Viertelfinalserie gegen Straubing gelang ihm in fünf Spielen nur eine Vorlage. Dafür rackert der Nationalspieler an der Seite von Mads Christensen und dem lange verletzten Frank Mauer bei jedem Wechsel. Grandiose Arbeitsmoral.

Quoten-Könige

Gustaf Wesslau war vor dieser Saison nur Experten bekannt. Der 31-jährige Schlussmann hatte lediglich eine Saison, 2010/11, außerhalb seiner Heimat Schweden gespielt, und manche vermuteten, lediglich seinem Landsmann Niklas Sundblad habe Wesslau sein DEL-Engagement zu verdanken. Aber spätestens in den Play-offs überzeugte Wesslau auch seine Kritiker: Kein anderer Torhüter stand so oft (zehn Mal) und so lange (586 Minuten) auf dem Eis. Dabei steigerte der 1,93-Meter-Hüne seine Fangquote von sehr guten 92,8 auf ausgezeichnete 93,8 Prozent. Besser sind nur die Schlussmänner der anderen Halbfinalisten, der Wolfsburger Felix Brückmann (93,9), der Nürnberger Tyler Beskorowany (94,2) und natürlich: David Leggio. Münchens Goalie hat in den fünf Play-off-Partien gegen Straubing sagenhafte 96,9 Prozent aller Schüsse abgewehrt und nur vier Tore kassiert, 0,79 pro Spiel. Danny aus den Birken (92,1 Prozent), der vor seinem Wechsel nach München fünf Jahre lang für Köln spielte, dürfte das Wiedersehen mit den Haien von der Bank aus erleben.

Nationalhelden

Moritz Müllers Ausbruch beim 1:6 Anfang Januar gegen die Iserlohn Roosters ist bereits Legende. Vor laufenden TV-Kameras schimpfte der Kölner Kapitän über die "kanadische 1-c-Auswahl" der Roosters (die allerdings gut genug war, die Haie auseinanderzunehmen) und die düsteren Aussichten für das deutsche Eishockey. Müllers Eruption galt indes weniger der Iserlohner Einkaufspolitik. Dem Nationalverteidiger war vor allem die Leistung des eigenen Teams "peinlich", wie er im selben Wortschwall mitteilte. Die vermeintlich deutschen Tugenden - nie aufgeben, immer kämpfen - halten bei den Haien neben Müller dessen Abwehrkollegen Torsten Ankert und Alexander Sulzer, beide ebenfalls Nationalspieler, hoch. Und natürlich Mirko Lüdemann: In seinem 43. Lebensjahr, davon 23 im Kölner Trikot, läuft der nimmermüde DEL-Rekordmann (1192 Spiele) zur Not als Stürmer auf. Dem EHC reicht für das kämpferische Element dagegen ein Name: Steve Pinizzotto. Niemand in der DEL hat mehr Strafminuten als der - Achtung, Moritz Müller! - Deutsch-Kanadier: 185. Für jeden Zentimeter seines Körpers eine.

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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