Eishockey: Korbinian Holzer:Von Gelting nach Toronto

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Korbinian Holzer erlebt sein persönliches Sommermärchen: Mit seinem Wechsel in die amerikanische Profiliga wird für den Eishockeyspieler aus Gelting ein Traum wahr.

Johannes Schnitzler

Dann war Sommer. Die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) verweigerte den insolventen Kassel Huskies die Lizenz und den klammen Frankfurt Lions gleich dazu. Zweitligameister München drohte vorsorglich, nach Österreich abzuwandern, falls seine Bewerbung abgelehnt werden sollte. Nach Österreich! "DEL-Chaostage nehmen kein Ende", unterrichtete der Sportinformationsdienst Anfang Juli seine Kunden und setzte drei Tage später - Kassel hatte eine Einstweilige Verfügung erreicht - folgerichtig nach: "Die Chaostage in der DEL gehen munter weiter." Es gibt noch Dinge, auf die man sich verlassen kann. Das Sommertheater im deutschen Eishockey zum Beispiel.

Eishockeynationalspieler Korbinian Holzer wechselt in die NHL. (Foto: region.wor)

Zwei Monate zuvor, so nah und doch so unvorstellbar weit weg, lag sich Eishockey-Deutschland jubelnd in den Armen und hoffte auf ein Sommermärchen, wie es die Fußballer 2006 und gerade wieder erleb(t)en. Die Nationalmannschaft kämpfte sich bei der Heim-WM bis ins Halbfinale. 77.803 Zuschauer beim Eröffnungsspiel - Weltrekord. Das dramatische 2:1 nach Verlängerung gegen die USA löste eine Euphoriewelle aus, auf der das Team von Uwe Krupp zu Platz vier surfte.

Der spröde Herr Krupp erreichte "Uns Uwe"-artige Sympathiewerte, beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB) träumten sie von der Resozialisierung im Kreis der Fernsehsportarten. "Eine Gänsehaut" bekomme er, wenn er an dieses Eröffnungsspiel denke, sagt Korbinian Holzer: Wie sie aus der Kabine in die Gelsenkirchener Arena kamen und diese schwarz-rot-goldene Wand sahen. "Schade", sagt Holzer. Von der Euphorie ist nichts geblieben. "Jetzt gibt es wieder negative Schlagzeilen."

Holzer sitzt in einem Biergarten in Gelting, einem 1900-Seelen-Dorf, das 1978 nach Geretsried eingemeindet wurde. Es ist Vormittag, die Temperatur noch angenehm, auch wenn der Wintersportler Holzer brummt: "Scho wieder so heiß." An einem Baum hängt ein riesiger Fernseher, am Abend zuvor haben die Deutschen in Südafrika gewonnen. Man kann sich vorstellen, was hier los war. Jetzt um diese Zeit ist der Biergarten leer.

"Plötzlich weg"

Holzer, 22, ist mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Brüdern in Gelting aufgewachsen. Es gibt einen Burschenverein, eine Brauchtumsgruppe, den Veteranen- und Schützenverein Hubertus, die Feuerwehr und den Dorfladen. Beim SV Gelting hat er Fußball gespielt und es bis in die Zugspitzauswahl geschafft. Bald wird er dieses Oberlandidyll hinter sich lassen und in die nordamerikanische Profiliga NHL wechseln. Holzer sagt: "Ich bin froh, dass es jetzt geklappt hat."

Die Toronto Maple Leafs hielten seit 2006 die Transferrechte an dem Verteidiger mit den rötlichen Haaren. Nach der WM legten sie ihm einen Zweijahresvertrag vor. Holzer unterschrieb. Obwohl er ins Farmteam zu den Toronto Marlies in die American Hockey League soll. Obwohl er dort weniger verdient als in den vergangenen drei Spielzeiten in Düsseldorf. "Ich habe damit kein Problem. Ich will diese Chance nutzen, und wenn ich über den Umweg von unten nach oben komme." Holzer malt mit dem Finger kleine Kreise und eine Linie auf die Tischdecke. Mit Umwegen kennt er sich aus.

In Geretsried, wo er beim Turn- und Sportverein begann, war vom einen Tag auf den anderen der Trainer weg. Holzer war 15 und wechselte zum Lokalrivalen EC Bad Tölz. Dort stand er 2005 vor seinem dritten Jahr in der Deutschen Nachwuchsliga, als Trainer Axel Kammerer zu ihm kam und ihm mitteilte, dass er zu den Profis aufrücke. Die Tölzer Löwen hatten 2003 Insolvenz angemeldet, sich in der Liga gehalten, doch nach der Saison 2004/05 waren Trainer und Geschäftsführer "plötzlich weg", wie Holzer sagt.

Der Verein warf seine talentierten Nachwuchskräfte ins Feuer, da kam einer mit 1,89 Metern gerade recht. Unter Kammerer entwickelte sich Holzer nicht nur körperlich - aus dem 78-Kilo-Schlaks von damals ist ein 98-Kilo-Mannsbild geworden. Auch sein Spiel wurde stabiler. Als die Löwen 2006 trotzdem in die Oberliga abstiegen, wechselte Holzerzum Zweitligisten Regensburg und nur ein Jahr später in die DEL nach Düsseldorf. Dort avancierte er zur Stammkraft in der DEL, zum Nationalspieler und zum NHL-Kandidaten.

Holzer hat die Hoffnung nicht aufgegeben, direkt in die NHL zu rutschen. Darum trainiert er auf eigene Kosten in Los Angeles bei Mark Verstegen, der auch die deutschen WM-Fußballer fit macht - "der mit den Gummibändern, genau". 3500 Euro investiert Holzer in das Körpertuning. Neben Footballern und Boxern hat er im "Athlete's Performance" auch einen gewissen David Beckham schon getroffen. Und festgestellt, dass die Hysterie um den Fußballer "Wahnsinn" ist. "Da bin ich ganz froh, dass uns unter unserem Helm keiner erkennt."

In Gelting füllt sich allmählich der Biergarten mit Ausflüglern, Rentnern und Feriengästen. Die Kirchenglocke läutet, Holzer bleibt unbehelligt. Beim "Alten Wirt" haben sie eine Autogrammkarte von ihm aufgestellt, auf der Eckbank am Stammtisch: Für einen Oberländer ist damit das Höchstmaß an Verehrung erreicht.

In 125 DEL-Spielen hat er 38 Scorerpunkte, aber 251 Strafminuten gesammelt. Abseits der Eisfläche wirkt er ruhig, fast vorsichtig. "Das Wort, das am besten zu Korbinian passt, ist: solide", hat Nationaltrainer Uwe Krupp gesagt. "Er hat eine gute körperliche Präsenz, spielt einen guten ersten Pass und ist defensiv eine Bank." Holzer fühlt sich damit treffend charakterisiert. "Wenn solche Leute etwas sagen" - Leute wie Krupp oder seine Vereinstrainer in Düsseldorf, Harold Kreis und Mike Schmidt, ehemalige Verteidiger und Nationalspieler - "nimmt man das natürlich an". Gleichwohl müsse ein Spieler eigene Erfahrungen machen. So wie damals, als ihn dieser Lastwagen erwischte.

2008 war Holzer zum Rookie-Camp nach Toronto eingeladen. Einen Moment lang war er unachtsam - und wurde von einem Konkurrenten grußlos über den Haufen gefahren. "Ich habe das Video gesehen", sagt Holzer und zupft nervös mit Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand in der rechten Armbeuge. Auf dem Band ist zu sehen, wie er nach dem Check scheinbar unbeeindruckt weiterfuhr. Tatsächlich kann er sich erst wieder an einen Zweikampf etliche Sekunden später erinnern. Er trug eine Gehirnerschütterung davon, konnte sechs Wochen lang nicht trainieren, hatte ständig Kopfweh. "Irgendwann fängst du an zu zweifeln." Was er daraus gelernt hat: "Ich werde nie wieder so zur Scheibe gehen."

Im Flugzeug nach Los Angeles

Den Konkurrenzkampf in Toronto will er annehmen. "In Kanada musst du dich jeden Tag neu beweisen", sagt Holzer. Wenn es klappt, gut, wenn es nicht klappt, dann nicht. "Aber wenn ich es nicht probiert hätte - ich glaube nicht, dass ich das in 30 Jahren mit mir vereinbaren könnte."

Den Tagen vor dem Abflug sieht er "mit einem lachenden und einem weinenden Auge" entgegen. "Als Kind fällt es einem leichter, einen solchen Schritt zu tun", sagt Holzer. Eine bemerkenswerte Äußerung für einen 22-Jährigen. Seinen Eltern falle es schwer zu akzeptieren, "dass ausgerechnet ihr Jüngster am weitesten weg ist". Aus dem 180 Kilometer entfernten Regensburg war er mit dem Auto in zwei Stunden zu Hause, aus Düsseldorf (650 Kilometer) in der selben Zeit mit dem Flugzeug. Toronto liegt 6650 Kilometer oder 13 Flugstunden entfernt. Man müsse Opfer bringen, sagt er.

Es ist früher Nachmittag in Gelting, der Kirchturm steht ruhig in der Sonne. Dieser Sommer könnte einer werden, an den man noch denkt. Der DEB ist besorgt um seine Außenwirkung. Der EHC München zieht über die Hintertür ins Oberhaus ein. Frankfurt, der mit 4,4 Millionen Euro verschuldete Meister von 2004, hat am Montag den Laden dichtgemacht. Die Kassel Huskies marschieren durch die Instanzen.

Korbinian Holzer wird das alles aus der Ferne verfolgen. Am Dienstag ist er in ein Flugzeug nach Los Angeles gestiegen. Im August wird er seine Wohnung in Düsseldorf auflösen. "Ein paar Sachen will er mitnehmen", sagt Vater Albert, "sein Bett vielleicht, das ist ja doch ein bisschen Heimat." Er wolle sich möglichst keine Gedanken machen, hat Korbinian Holzer gesagt. Noch ist Sommer. Und Toronto weit weg.

© SZ vom 07.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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