Eishockey:Herzschlagfinale

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Alarmstufe Rothelm: Marco Pfleger, 28, ist mit 14 Toren und neun Vorlagen Topscorer der Löwen. In der DEL2 liegt er auf dem zweiten Rang. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Trotz großer personeller Lücken holen die Tölzer Löwen den ersten Sieg in Bad Nauheim seit 18 Jahren. Trainer Kevin Gaudet fürchtet dennoch um seine Gesundheit.

Von Johannes Schnitzler, Bad Tölz/München

Wenn Kevin Gaudet Eishockeyspiele analysiert, brauchen die Zuhörer keinen Dolmetscher. Das liegt zum einen daran, dass Gaudet relativ klar die Probleme seiner Mannschaft benennt. Zum anderen arbeitet Gaudet, 56, als Trainer seit fast 30 Jahren im deutschsprachigen Raum. Manchmal aber rutscht dem in New Brunswick geborenen Kanadier noch ein Bröckchen Muttersprache heraus. Am Sonntag nach dem 3:2 in Bad Nauheim, dem ersten Sieg bei den Hessen seit 18 Jahren, sagte er: "Das Herz hat noch gebeatet."

In Bad Nauheim hatte es - wie schon am Freitag in Tölz beim nicht minder Nerven aufreibenden 5:4 gegen Bayreuth - einige Situationen gegeben, als den Zuschauern und vor allem den Trainern fast das Herz stehen geblieben wäre. Gaudet hatte zuletzt mehrmals darauf hingewiesen, dass das Trainerdasein im Allgemeinen und im Besonderen in dieser Saison, da die DEL 2 "so ausgeglichen" sei, der Gesundheit nicht zuträglich ist - ganz allgemein und ganz besonders für die seine. "Das war unser fünfzehntes Spiel. Dreizehn davon sind mit einem Tor Unterschied ausgegangen", rechnete Gaudet nach dem Sieg in Nauheim vor. Am Freitag hatte er dieselbe Rechnung aufgemacht, nur eben jeweils minus eins. Das Ergebnis blieb dasselbe: "Als Trainer musst du froh sein, wenn du am Ende ein Tor mehr hast als der Gegner."

Dass den Löwen dies am Wochenende zweimal gelingen sollte, war nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Noch immer fehlten in Max French (Sperre) und Kapitän Philipp Schlager (Aufbautraining) zwei wichtige Stützen, Verteidiger Niklas Heinzinger, 19, ging nach seinem Armbruch in der Vorbereitung zwei Mal mit der U20 aufs Eis. Am Sonntag hatte sich zudem Dominik Kolb krank abgemeldet. Am härtesten traf den Coach aber der Ausfall von Stürmer Shawn Weller. Der 33-Jährige hatte erfahren, dass sein bester Freund am Samstag bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war. "Shawn war fix und fertig", sagte Gaudet.

Das menschliche Drama bedeutete nüchtern betrachtet für den Trainer, dass ihm noch ein Mann mehr fehlte. "Ohne Max und Philipp wäre es schon schwer geworden." Mit nur 14 Feldspielern aber schien die Aufgabe gegen die zuvor fünfmal nacheinander siegreichen Hessen unlösbar. Und die Roten Teufel machten den Löwen die Hölle heiß. "Nauheim hat uns in den ersten fünfzehn Minuten überrollt. Sie waren klar die bessere Mannschaft", sagte Gaudet. Tölz hatte Glück - und einen guten Torhüter Sinisa Martinovic - und rettete sich mit einem 0:1 in die erste Pause.

"Vielleicht ging das zu leicht", sagte Nauheims Coach Christoph Kreutzer. Im zweiten Drittel habe Tölz "zwei Schritte zugelegt". Timo Gams, 20, mit seinem ersten Saisontreffer (21.) und Topscorer Marco Pfleger (36.) nach zehn Sekunden im Powerplay drehten das Spiel. "Wir haben uns überrumpeln lassen", fand Kreutzer. Tyler Fiddler glich für die Hessen zwar noch aus (53.), aber Gaudet war längst von seiner Mannschaft angetan: "Das letzte Drittel war Kampf pur." Die Belohnung wartete in der Verlängerung. Aus einer Nauheimer Chance entwickelte sich ein Konter, den Stefan Reiter mit dem 3:2 (62.) abschloss.

"Auch wenn Tölz heute weniger Leute hatte: Alle, die auf dem Eis waren, sind hervorragende Eishockeyspieler", sagte Christoph Kreutzer. "Und sie haben dann auch die Qualität, dass dieses Tor fällt." Schon am Freitag hatte sich Kevin Gaudet auf die individuelle Klasse seiner Spieler verlassen können. "Pfleger und Dibelka waren besonders", schwärmte er. Drei Toren des vergangene Saison für Tölz stürmenden Tyler Gron setzten sie ihrerseits drei Treffer entgegen. Es ist aber vor allem das Kollektiv, das Gaudet verzückt: "Ich bin einfach stolz, wie die Jungs in dieser Situation kämpfen bis zum Ende." Die Disziplinarstrafen für Pfleger und Markus Eberhardt überging der Disziplinfanatiker Gaudet großzügig. Wichtiger war ihm an diesem Abend: Das Löwen-Herz, es beatet noch.

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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