Eishockey:"Eine Herzensangelegenheit"

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Der emotionale Derbysieg gegen den SC Riessersee stärkt den Glauben der Tölzer Löwen an den Klassenerhalt in der DEL 2. Am Sonntag in Bad Nauheim müssen sie den nächsten Rückschlag einstecken.

Von Johannes Schnitzler, Bad Tölz

Eine Stunde vor Spielbeginn kann man sie schon hören. Vom Parkplatz auf der Flinthöhe ziehen sie vorbei am Landratsamt hinunter zur Arena. Zu sehen sind sie nicht, nur ihre Gesänge eilen ihnen voraus: "Jeder Tölzer ist ein H****sohn!" Vor dem Stadion hebt eine Gruppe Polizisten in schwarzen Overalls die Köpfe, wie eine Gruppe Erdmännchen, die Gefahr wittert: Garmisch im Anmarsch. Ungefähr so muss es gewesen sein im Mittelalter, wenn ein bis an die Zähne gerüstetes Söldnerheer gegen eine Burg zog und die Wachen auf den Zinnen in einer Mischung aus Angst und Aufregung den Feind erahnten, irgendwo da draußen. Noch eine Stunde.

"Hurra, hurra, die Garmischer sind da!" Das singen sie natürlich selbst, die Garmischer, so weit geht die Vorfreude in Bad Tölz nicht. Aber es ist ein wohliger Schauder, der die ausverkaufte Arena vibrieren lässt an diesem Freitag, an dem sich die Tölzer Löwen und der SC Riessersee zum 237. Mal miteinander messen. Derby. 4115 Zuschauer. Hurra! Hurra!

Am Tag danach, so wie früher, wenn sich Lärm und Dunst über dem Schlachtfeld verzogen hatten, werden die Herolde von einem Tölzer Triumph künden. In Großbuchstaben. "KAMPF UND SIEGESWILLE = DERBYSIEG!" steht in der Betreffzeile der Mitteilung. Riessersee ist 3:2 geschlagen. Es klingt, als wäre Rom gefallen.

"Wir bleiben in der Liga!", sagt Johannes Sedlmayr (vorn, gegen Garmischs Simon Mayr). Und damit man es auch wirklich glaubt, noch einmal: "Ausrufezeichen!" (Foto: Oliver Rabuser)

Bei all den Insultationen vorher ist es fast überraschend, dass das Spiel selbst fair bleibt. Die einzige kleinere Rempelei wird später in der Stadionwirtschaft stattfinden, wo die Tölzer Fans dieses 3:2 feiern wie einen Playoff-Sieg, "so geil, so geil, so ... geil". Die Wortfindung fällt mit jedem Glas ein bisschen schwerer. Aber egal, ein 3:2 gegen Riessersee, der zweite Heimsieg gegen Garmisch, ist einfach nur ... geil.

Die Löwen, Aufsteiger und vor diesem Spiel Tabellenletzter der DEL 2, verwickeln den Tabellenzweiten in zähe Zweikämpfe an der Bande. "Das ist natürlich immer das Ziel, den Gegner außen zu halten", möglichst weit weg vom eigenen Tor und von den Zonen, in denen er Schaden anrichten kann, sagt ECT-Trainer Rick Boehm. Aber es gelingt ihnen nicht immer so gut und so konsequent wie an diesem Freitag. "Ich denke, zentral waren unsere kämpferische Leistung, unser Einsatz, ein sehr starker Torwart und auch das notwendige Glück", sagt Boehm. "Vielleicht haben wir es auch verdient." Weil sie sich ohne Chris St. Jacques, Marcel Rodman und Tuomas Vänttinen, ohne Dominik Walleitner und Christian Kolacny Gegnern entgegenstemmen, die, wie Boehm sagt, "individuell bei Weitem besser besetzt" sind. Und weil sie, zumindest "im Vergleich zu den letzten Spielen", ihre Chancen nutzen. Sie vergeben auch gegen Riessersee viel zu viele. Doch die Tore von Johannes Sedlmayr (4.), Julian Kornelli (11.) und Joonas Vihko (40.) reichen. Der Sieg gegen Riessersee sei vor allem deshalb "ein sehr positives Signal an die Mannschaft", sagt Boehm, weil sie sehe, "was man erreichen kann, wenn man weiter zusammenhält". Die Löwen werden in der Abstiegsrunde um den Klassenerhalt kämpfen müssen, das wissen sie.

"Natürlich würden wir uns dann Heimrecht wünschen", sagt Boehm. "Aber wir sollten uns nicht darauf versteifen, sondern versuchen, weiter unsere Leistung abzurufen, wie heute. Wo wir dann konkret stehen, wird man sehen." Es gibt Stimmen, externe wie interne, die mahnen, ein gutes Spiel gegen Riessersee mache nicht 30 schlechte gegen andere Gegner wett.

Die Mannschaft kennt diese Stimmen. Aber: "Wir lassen keine Unruhe in die Kabine", sagt Johannes Sedlmayr. "Nach den ganzen Watschen in den letzten Wochen haben wir uns immer wieder aufgerappelt und hauen uns immer voll rein", auch der Trainer bleibe "sehr, sehr positiv". Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl sei eine der größten Stärken der Mannschaft, findet Sedlmayr: "In Garmisch spielt in den ersten drei Reihen kein einziger Garmischer. Für uns ist der ECT eine Herzensangelegenheit."

Neben Torhüter Mikko Rämö, dem vor vier Wochen verpflichteten Finnen, der sich an diesem Abend mit 33 Paraden die Auszeichnung zum besten Spieler verdient, ist Sedlmayr das Gesicht dieses Tölzer Derbysiegs. Seit Wochen spielt der 27-Jährige mit den feinen Händen "wie ein Wahnsinniger", sagen die Fans, er sei zurzeit "der beste Ausländer". Gegen Riessersee schießt Sedlmayr nicht nur sein 18. Tor in dieser Saison und bereitet ein weiteres vor. Er läuft und checkt und ("das muss man nicht schreiben") provoziert den Gegner, wo er nur kann. Sedlmayr: kämpft.

Jahrelang galt der schmächtige Stürmer als schlampiges Genie, das sein Talent vergeudet. Gastspiele in Duisburg und Ravensburg endeten unbefriedigend. Jetzt sitzt er eine halbe Stunde nach Spielschluss in der Nachwuchskabine, er war noch im Kraftraum, und gibt zu: "Das hat mir immer gefehlt." Das Kämpferische. Sedlmayr sagt, er habe das erst lernen müssen. "Man muss sein eigenes Spiel voranbringen. Man entwickelt sich", sagt er nun.

Vielleicht ist es genau so: Vielleicht braucht diese Mannschaft, wie Sedlmayr, noch ein bisschen Zeit, um sich zu entwickeln. Die Frage ist, ob sie sie bekommt.

Er habe Verständnis, wenn die Fans sich Sorgen machen, sagt Sedlmayr. Acht Jahre haben sie auf die Rückkehr in die zweite Liga gewartet, darauf, endlich wieder in Punktspielen gegen Riessersee antreten zu können. Und jetzt könnte bald alles schon wieder vorbei sein. "Wir werden alles dafür tun, in der Klasse zu bleiben", sagt Sedlmayr. "Wir bleiben in der Liga! Davon bin ich felsenfest überzeugt!" Und damit man es auch wirklich glaubt, sagt Sedlmayr noch einmal: "Ausrufezeichen!"

Auch am Sonntag tun sie alles. Sedlmayr schießt ein Tor, aus einem 1:5-Rückstand machen die Löwen in Bad Nauheim noch ein 3:5. Am Ende aber heißt es 3:6 im "Kurstadt-Duell".

In der Nacht nach dem Derby, dem echten, dem gegen Riessersee, der neue Tag ist bereits angebrochen, sagt ein Fan, der über die Jahre viel gesehen hat: Das Schlimmste, was Tölz passieren könnte, schlimmer noch als ein Abstieg, "das Schlimmste wäre, wenn es diese Derbys nicht mehr gäbe." Die Derbys gegen diese geliebten Garmischer H****söhne.

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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