Beachvolleyball:Der nette Strandjunge von nebenan

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Der Starnberger Clemens Wickler will der weltbeste Abwehrspieler werden. Ende Juni spielt der 24-Jährige seine erste WM, die Planungen sind auf Olympia 2020 ausgerichtet.

Von Sebastian Winter

Wer Clemens Wickler, den weit gereisten Beachvolleyball-Profi, nach seinem Lieblingsort fragt, bekommt eine klare Antwort: Nicht Itapema in Brasilien, nicht Xiamen in China, nicht Espinho in Portugal. Sondern Hanfeld, bei Starnberg. Dort, im sehr ländlichen Stadtteil der mondänen Seegemeinde, ist Wickler aufgewachsen, dort leben seine Eltern. Zwischen Reitklub und Bergschützen, Wiesen und Feldern, 40 Häuser mögen es wohl sein. "Ich komme richtig, richtig gerne hierher zurück. Auch, weil ich hier extrem gut abschalten und entspannen kann", sagt Wickler. Seine Schwester Jenny, die nicht weit entfernt in Planegg Zweitliga-Volleyball spielt, sieht er dann auch. Hanfeld ist sein Ruhepol, in den wenigen Tagen im Jahr jedenfalls, an denen Wickler zurückkehrt an den Ort, an dem seine Karriere im Sand begann.

Sein Reiseplan seit Januar: Den Haag, Doha, Xiamen, Itapema, Ostrava, Warschau. Es folgen bis September: Gstaad, Espinho oder Tokio, Wien, Moskau, Timmendorfer Strand, Rom. Dazwischen, vom 28. Juni bis 7. Juli: die Weltmeisterschaft in Hamburg, Wicklers zweiter Heimat. Es ist Wicklers erste WM.

Seine Liebe zum Sand wurde Wickler in die Wiege gelegt. Die Eltern spielten beide Volleyball, die Mutter in Lohhof, der Vater in Innsbruck, in Percha am Ufer des Starnberger Sees haben sie mit ihren Kindern Beachvolleyball gespielt. Oder im Urlaub in Ravenna, wo sich ein Feld ans andere reiht. Wickler probierte Fußball und Leichtathletik. Von Letzterer hat er wohl auch seine extrem gute Koordinationsfähigkeit, die Abwehrspieler brauchen. Mit Volleyball begann er beim TuS Fürstenfeldbruck, wechselte zum TV Bad Tölz, zwischen 2010 und 2013 wurde er von Peter Meyndt beim VC Olympia Kempfenhausen ausgebildet. Mit dem VC Olympia Berlin spielte er im Jahr darauf in der zweiten Liga, erst danach konzentrierte er sich voll auf den Sand.

Mit dem 2,06 Meter großen Blocker Julius Thole bildet Wickler, der 1,91 Meter kleine Abwehrspieler, inzwischen das hoffnungsvollste deutsche Männer-Duo im Beachvolleyball. Bei der WM in Hamburg, wo Wickler und Thole leben und am Bundesstützpunkt trainieren, sind sie das aussichtsreichste deutsche Team. Und sie haben im Weltklassefeld , das sich am Center Court vor bis zu 10 000 Zuschauern duelliert, nicht mal schlechte Chancen. Denn ihr fast unwirklich schneller Aufstieg führte sie aktuell auf Platz elf der Weltrangliste, noch vor den stärksten Brasilianern, die auch wegen diverser Teamumstellungen nicht mehr so gut sind wie früher einmal - vor einem Jahr lagen Thole/Wickler noch auf Rang 70. Niclas Hildebrand, Sportdirektor Beach beim Deutschen Volleyball-Verband (DVV), sagt ganz offen: "Sie sind unser Hoffnungsträger auch für die WM, wo es ganz weit nach vorne gehen kann. Das Potenzial haben sie."

In Julius Thole hat Wickler seinen perfekten Partner gefunden: "Wir ergänzen uns einfach sehr gut, sind eher ruhig, analytisch."

Seit dem Olympiasieg von Jonas Reckermann und Julius Brink 2012 in London waren die deutschen Männer international so ziemlich in der Versenkung verschwunden. Gleichzeitig ging der Stern der Goldgewinnerinnen von Rio und Weltmeisterinnen von Wien, Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, auf. Walkenhorst ist inzwischen Mutter von Drillingen, sie hat wegen diverser Verletzungen ihren Rücktritt erklärt und kann ihren Titel in Hamburg nicht verteidigen. Ludwig tut sich mit ihrer neuen Partnerin Margareta Kozuch noch schwer, nur eine Wildcard hat ihnen zur WM-Teilnahme verholfen.

Wickler, U-19-Weltmeister, U-20-Europameister, inzwischen dreimaliger deutsche Meister und Beachvolleyballer des Jahres 2018, ist dagegen nun der rising star bei den Männern, was auch Sportdirektor Hildebrand glaubt: "Clemens ist ehrgeizig, sehr professionell, dazu völlig auf dem Boden geblieben, noch der nette Junge von nebenan. Wir möchten ihn zum besten Abwehrspieler der Welt machen." Letztes Jahr hat der 24-Jährige im blonden Sunnyboy Thole seinen Partner gefunden, nachdem er es zuvor binnen sechs Jahren mit sechs verschiedenen Blockern versucht hatte, es aber nie ganz passte. "Wir ergänzen uns einfach sehr gut auf dem Feld, sind eher ruhige, analytische Typen, ja fast Perfektionisten", sagt Wickler.

Das Nationalteam hat außerdem, neben den Bundestrainern, einen erstklassigen Betreuerstab um sich herum. Olympiasieger Brink und der zweimalige Europameister Markus Dieckmann sind ihre Mentoren und Techniktrainer, Sportpsychologin Anett Szigetti arbeitete auch schon mit Ludwig, Walkenhorst und Kozuch. Ihr geht es viel um Selbstregulation, um positives Denken, um Teamabsprachen. "Früher hat es lange gedauert, aber dann bin ich richtig aus der Haut gefahren. Das habe ich inzwischen abgestellt", sagt Wickler. Andererseits dürfe er manchmal, wenn das Spiel dahinzuplätschern droht, schon ein wenig mehr Emotionen zeigen, findet Hildebrand. Das ist seine einzige Kritik. Auf der World Tour wurden Wickler und der Hamburger Thole im vergangenen Jahr in Ostrava gleich Fünfte, in Espinho gar Dritte. Beim Weltserien-Finale erreichten sie - in Hamburg - das Halbfinale, und waren plötzlich um 35 000 US-Dollar reicher. In Timmendorfer Strand verteidigte Wickler mit Thole danach außerdem seinen DM-Titel. Auch diese Saison begann vielversprechend, mit weiteren ordentlichen Platzierungen untermauerten sie ihre Zugehörigkeit zur erweiterten Weltspitze. "Wir sind gerade sehr zufrieden mit unserer Leistung", sagt Wickler, "auch mit unserer Auslosung, da hätte es uns schlimmer treffen können."

Wickler und Thole treffen bei der WM in Hamburg in ihrer Gruppe auf die starken US-Amerikaner Tri Bourne/Trevor Crabb, aber auch auf die schlagbaren Iraner Arash Vakili/Bahman Salemi und die kaum bekannten Olivier Ntagengwa/Patrick Kavalo aus Ruanda. "Wir sind Favorit", sagt Wickler selbstbewusst. Der Starnberger lebt von seinen Reflexen, aber auch von seiner Schnelligkeit. Er kann das Spiel extrem gut lesen, also beispielsweise in der Abwehr antizipieren, wohin die gegnerischen Angreifer schlagen werden. Er ist kein brachialer Angreifer, aber sehr variabel in seinen Schlägen, genau das ist entscheidend im Sand. Inzwischen fühlt sich der Student der Wirtschaftswissenschaften, der zumindest versucht, ein oder zwei Scheine pro Semester an der Fernuni Hagen zu machen, sehr wohl in der Hansestadt, auch wenn es ihn irgendwann nach seiner Karriere wohl wieder in die Heimat ziehen wird. Im Mai ist er umgezogen nach Barmbek in den Nordosten, in eine eigene Wohnung, sein Zimmer in der Dreier-WG war ihm auf Dauer dann doch zu eng. Von dort hat er es auch nicht weit zum Stützpunkttraining.

Ende Juni besuchen ihn seine Eltern, die Schwester, ein paar Freunde werden auch anreisen, um ihn spielen zu sehen im Tennisstadion am Rothenbaum. Das Erreichen des Halbfinales, wie beim World-Series-Finale 2018, "wäre ein guter Anfang", sagt Wickler augenzwinkernd, "träumen darf man ja ein bisschen." Etwas ernster fügt er hinzu, dass die Olympischen Spiele in Tokio 2020 "auf jeden Fall das mittelfristige Ziel" seien. Eigentlich sollten sie als Perspektivteam für 2024 oder 2028 aufgebaut werden. Aber sie waren einfach viel schneller als jedes Konzept.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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