American Football:Wimperntusche und blaue Flecken

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„Ladiiies!“ Wenn Sandra Lemmer, 40, ruft, hören ihre Spielerinnen zu. Die Trainerin war als Aktive zwei Mal Meisterin mit den Cowboys Ladies. (Foto: Claus Schunk)

Mit zwei Teams in der ersten Liga ist München deutsche Hauptstadt im Frauen-Football. Ein Besuch bei den Cowboys Ladies, die dennoch mit Vorurteilen kämpfen.

Von Viktoria Spinrad, München

Elf Gestalten in ritterähnlicher Rüstung hocken in der Abendsonne im Gras. "Blitz, blitz!", ruft jemand - das Signal für den nächsten Spielzug: Ein Pass, der eiförmige Ball fliegt zum Quarterback, der macht drei Schritte zurück und wirft. Das Ei wirbelt nach vorne links zur Nummer 24, doch da rauscht schon ein Gegenspieler heran, Helme krachen aneinander, die Nummer 24 geht zu Boden. Tiefes Durchatmen. Die Nummer 24 nimmt ihren Helm ab, blonde Haare kommen zum Vorschein, eine Frau im Footballgewand. Sie deutet auf ihren Kopf und sackt zurück ins Gras. Alles sieht nach einem Unfall aus.

Ein Montagabend in München-Ramersdorf. Knapp 30 Frauen mit Helm, Mundschutz, Schonern und Schulterpolstern passen, sprinten und werfen sich über die Sportwiese. Dass hier Frauen am Werk sind, würde man von weitem nicht erkennen - die breiten Schulterpolster verleihen ihnen Kreuze wie von Bodyguards. Sie sind die "Munich Cowboys Ladies", eins von sieben deutschen Erstliga-Teams im American Football der Frauen.

Was, das gibt's? Das fragten die Leute Annalena Götz, als sie vor vier Jahren mit dem Football anfing. Die 18-Jährige mit den getuschten Wimpern und blauen Flecken an den Armen geht am Spielfeldrand auf und ab und hält Schilder hoch. Eins, zwei, drei oder vier: Es ist die Zahl der Versuche, die die angreifende Mannschaft zur Verfügung hat, um zehn Yards Raum zu gewinnen. Ziel ist der Touchdown, den Ball in die gegnerische Endzone zu bringen.

Football ist über die Jahre beliebter geworden, auch bei Frauen, vor allem in München. Als Simone Dietrich, die hier alle nur "Simse" nennen, vor 22 Jahren anfing, musste sie manchmal noch doppelt antreten - sowohl als Verteidigerin in der defensiven "D-line", als auch als Angreiferin in der offensiven "O-line". Damals bestand das Team vor allem aus Spielerfrauen. Heute tummeln sich im Team etwa 40 Mädchen, alleine in München gibt es zwei Frauen-Bundesligateams: die Cowboys und die Rangers. Das Derby am vergangenen Samstag im Dantestadion geht mit 25:7 Punkten an die Cowboys, die nach zwei Spieltagen auf Platz zwei der Süd-Gruppe liegen. Die Rangers sind noch ohne Punkte Vierte und Letzte der Gruppe.

Annalena Götz trägt keine Schoner, sie steht im Pulli an der Seitenlinie. Sie ist krank, will aber das Team unterstützen. Sie kennt die Sprüche vom "Sport der Mannweiber und Lesben", das hört man als Footballspielerin öfters. Sätze wie "Habt ihr männliche Cheerleader?" Dass alle lachten, weil sie das nicht durchhalten würden. Und die Frage: "Habt ihr was an?", eine Anspielung auf das amerikanische Laundry Football, wo die Spielerinnen im Bikini auftreten und Showkämpfe liefern.

Auf dem Feld kracht es, das Ei prallt von der Torgabel ab. Weil ein Touchdown in weiter Ferne war, hat Marei Knaute den Ball kurz hinter der Mittellinie in Richtung Gabel gekickt - und fast ein Field Goal geschafft, das drei Punkte eingebracht hätte. Die 23-Jährige ist bei der Bundeswehr. Sie findet Laundry Football "total sexistisch" - sie will für sich spielen, nicht für die Blicke gieriger Zuschauer. Sie schaut zu ihrer Trainerin am Spielfeldrand. Dort zeichnet Sandra Lemmer mit Fingern und Armen Symbole in die Luft: Mit den teamspezifischen Codes signalisiert die 40-Jährige ihrem Quarterback, welche Taktik für den nächsten Angriff gewählt wird.

Als Lemmer, kurze, zusammengegelte Haare, feiner Lidstrich, schwarze Brille, vor 15 Jahren von einer Bekannten zum ersten Probetraining mitgenommen wurde, hieß es noch: Frauen haben auf dem Footballfeld nichts zu suchen. Ihr war das egal. Sie wurde mit den Cowboys zweimal deutsche Meisterin und heulte bei zwei Weltmeisterschaften vor Rührung bei der Hymne. Um Gefühle und Zusammenhalt geht es auch beim Training in Ramersdorf. Mit einem lang gezogenen "Ladiiies!" ruft Lemmer die Mädels zum Huddle zusammen. Manche sind so schmal, dass man sie eher beim Ballett vermuten würde. Sie stehen im Pulk, ein Schlachtruf ertönt: "All it takes is all we've got!" Dann gehen sie in Position.

American Football ist ein Sport, bei dem man sich hundert Prozent auf seine Mitspieler verlassen können muss. Der Teamgeist muss stimmen, Geschwindigkeit, Kraft und Taktik. Am Rand macht sich eine Spielerin bereit, der genau diese Kopfarbeit noch Kopfzerbrechen bereitet. Sie ist ein "Rookie", also gerade neu und hat sich die vielen Laufwege auf einen Spickzettel geschrieben, der in einer Hülle am Arm befestigt ist. Bis man das Spiel in seiner Gesamtheit versteht, können Jahre vergehen.

An Selbstbewusstsein mangelt es nicht im Team - trotz der doofen Sprüche. "Es ist eine Frage der Haltung, seine Leidenschaft auszuleben", sagt Lemmer, die Trainerin. "Mittlerweile finde ich meine blauen Flecken nicht mehr hässlich. Jetzt trage ich sie als Trophäen", sagt Götz, die 18-Jährige an der Seitenlinie. "Wir spielen das selbe Spiel mit der gleichen Härte wie die Männer. Das sollten die Leute schon ernst nehmen", sagt Simse, das Urgestein.

Auf dem Trainingsfeld rührt sich etwas. Die Nummer 24 erhebt sich langsam vom Rasen und lacht: Es war nichts Schlimmes, der Helm hat fast alles abgefangen. Sie lässt ihn wieder über ihren Kopf gleiten, schiebt sich den Mundschutz rein, marschiert hinter die Defense Line und geht lauernd in die Hocke. "Blitz, blitz!", ruft eine in die Abendsonne.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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