American Football:Der amerikanische Traum

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Was kommt denn da auf mich zu? Cowboys-Passempfänger Jaylen Zachery hält Ausschau nach kommenden Gegnern - nicht nur auf dem Spielfeld. (Foto: Claus Schunk)

Eine Gruppe um den TV-Kommentator Patrick Esume plant eine europaweit brillierende Liga. Die Munich Cowboys halten davon wenig. Sie sind auch nicht gefragt worden.

Von Christoph Leischwitz, München

Eine europaweite Liga, der schon bald 20 Mannschaften angehören, eine Champions League des American Football sozusagen, mit zig Tausenden Zuschauern in allen Stadien, jedes Team spielt Millionenumsätze ein, dazu Cheerleader, Live-Übertragungen, ein Super-Bowl-ähnliches Finale ... und dann spricht man mit Werner Maier, und all diese Footballträume hören sich auf einmal an wie eine zittrige Seifenblase.

Der Präsident der Munich Cowboys hat für solche Gedankenspiele nicht viel anderes übrig als Hohn und Spott. So sagt er zum Beispiel: "Ich gehe davon aus, dass diese neue Liga eine fundierte Marktanalyse gemacht hat und zu dem Schluss kam, dass München kein guter Standort ist." Ein Seitenhieb, denn zu den Machern der angekündigten European League of Football (ELF) gehört Patrick Esume, Deutschlands wohl bekanntester Coach und Football-Kommentator, der von München aus erfolgreich NFL-Spiele bespricht. Jedenfalls sei man bisher noch nicht gefragt worden, ob man in Form eines Franchise-Unternehmens teilnehmen möchte, sagt Maier.

"Wenn es nicht funktioniert, wird das allen wehtun."

Eigentlich möchte der Cowboys-Präsident auch gar nicht gefragt werden. Denn es ist ja alles schon mal da gewesen. Deutlich mehr als einmal hatten Football-begeisterte Geschäftsleute versucht, aus dem Sport Kapital zu schlagen. Einmal, Anfang der 1990er Jahre, wurde gar eine Weltliga (WLAF) gegründet, wenig später die Football League of Europe (FLE), der sich ein Team namens Munich Thunder anschloss. Dieses Team wollte damals natürlich Spieler bei den Cowboys abwerben, die 1993 gerade deutscher Meister geworden waren. Man mochte sich wenig überraschend nicht besonders. Die Geschichte der Thunder endete der Legende nach damit, dass die drei US-Importspieler angeblich ihre Ausrüstung verkaufen mussten, um nach Hause zu fliegen, weil Gehälter nicht gezahlt wurden. Mit der ELF und der FLE ist das aus Maiers Sicht ein bisschen wie bei Monty Python mit der Judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa: alles sehr aktionistisch, aber wenig durchdacht. Und riskant: "Wenn es nicht funktioniert, dann wird das allen wehtun", sagt er. Er meint: allen Footballfans. Genau so, wie Munich Thunder seinerzeit den Ruf des Sports in Mitleidenschaft gezogen habe.

Vielleicht, ganz vielleicht verpassen die Cowboys mit ihrer Entscheidung aber doch einen unaufhaltsamen Trend. Denn der Football-Hype ist, gemessen an Merchandising und Einschaltquoten bei NFL-Spielen, groß wie nie. Mehr Deutsche denn je spielen Football, knapp 70 000 Mitglieder hat der Verband aktuell. Auch die Cowboys verzeichneten im Nachwuchs in den vergangenen Jahren enormen Zulauf.

Maier kann sich trotzdem keinen erfolgreichen Start des neuen Projekts vorstellen. Zum einen, weil es finanziell kaum zu stemmen sei. Weil das Produkt seiner Meinung nach nicht von so vielen Menschen im Fernsehen oder im Stream verfolgt werden wird wie erhofft. "Die Zuschauer kennen die NFL", sagt Maier. Ob eine B-Liga mit halbprofessionellen Spielern eine ähnliche Begeisterung auslöst, erscheint ihm fraglich. Das finanzielle Risiko aber trügen dann vor allem die Mannschaften selbst.

München gilt als Vorreiter einer moderaten Professionalisierung

Andernorts hat man sich für den europäischen Weg entschieden. Der bisherige Liga-Konkurrent Ingolstadt Dukes zum Beispiel stellt um auf eine GmbH, will sich fortan "Praetorians" nennen und hat zur Frist Mitte November keine Lizenz für die German Football League (GFL) beantragt. In München hingegen wird sich im Vergleich zur Saison 2019 wohl so gut wie gar nichts ändern. Alle Mannschaften haben wieder eine Erstliga-Lizenz beantragt, inklusive des Junioren-Teams, das eigentlich im vergangenen Frühjahr erstmals in der GFL Juniors starten sollte - wegen der Pandemie wurden lediglich zwei Partien gegen die Fursty Razorbacks ausgetragen. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Der Präsident der Cowboys gehört einer Gruppe an, die den deutschen Football an sich vermarkten will. Nach dem Vorbild der Deutschen Eishockey Liga soll es bald eine eigenständige Liga-Organisation geben. Die neue europäische Liga ist zwar auch als Reaktion auf die Tatsache zu verstehen, dass in Football-Deutschland viele unzufrieden sind mit der Arbeit des Bundesverbandes. Auch Maier sieht beim AFVD "einiges im Argen", allerdings will er das Tischtuch nicht zerschneiden. München gilt als Vorreiter einer moderaten Professionalisierung. Und ist darüber hinaus dem AFVD für dessen Einsatz dankbar, dass die Corona-Nothilfe auch im nichtolympischen American Football angekommen ist. Damit sei die finanzielle Zukunft des Vereins gesichert, sagt Maier.

Theoretisch bliebe immer noch die Möglichkeit, dass sich in München unabhängig von den Cowboys ein Franchise bildet, um in der ELF zu spielen. Vielleicht hat Maier mit seinem Scherz über München als schlechtem Standort sogar Recht: Wo sollte solch eine Mannschaft trainieren oder gar ihre Mega-Liga-Events austragen? Die Munich Thunder trugen 1994 ihre Heimspiele im Grünwalder Stadion aus. Dort sind zurzeit nicht weniger als drei Fußballvereine beheimatet. Es müsste also schon die Fröttmaninger Arena oder das Olympiastadion sein. Wie gesagt: ein Traum.

© SZ vom 26.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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