American Football:Cowboys im Kulturwandel

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Platz da: Auf dem Weg in die gegnerische Endzone lässt sich der Münchner Sebastian Kramer auch von mehreren gegnerischen Spielern nicht aufhalten. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Münchner Football-Erstligist rückt im Abstiegskampf eng zusammen - und gewinnt gegen Marburg eine dramatische Partie mit 36:35.

Von Christoph Leischwitz, München

Benjamin Wilkerson stellte sich auf eine Bierbank und hob mehrmals die Arme in die Luft, wegen des weißen Handtuchs in der rechten Hand sah es ein wenig so aus, als wolle er seine Kapitulation herbeiwinken. Der Quarterback der Munich Cowboys hatte gegen die Marburg Mercenaries seine Arbeit erfolgreich verrichtet, doch jetzt war er hilflos. Die Gäste bekamen noch einmal für eine gute Minute den Ball, und so blieb dem Münchner Spielmacher nur noch, die Zuschauer auf der Haupttribüne zum Anfeuern zu animieren. Diese ließen von ihren Fingernägeln ab, klatschten, schrien "let's go Defense". Vier Versuche aus rund 45 Yards Entfernung hatte Marburg noch, um Punkte zu erzwingen, doch der letzte Pass landete in den Armen eines Cowboys, dann war die Partie zu Ende. Wilkerson schmiss sich vor Freunde auf den Boden, das Münchner Maskottchen rannte wie aufgezogen über die Tartanbahn, der verletzte Spieler Dominikus Hägel hüpfte vor Freude auf seinen Krücken. 36:35 gewonnen, knapper ging es nicht.

Doch es war eben auch viel mehr gewesen als ein spannender, knapper Sieg nach einem Spiel, das mehr als dreieinhalb Stunden dauerte. Normal sind in der Football-Bundesliga gute zwei Stunden. Ein Grund für die Überlänge war die schwere Verletzung des Marburger Abwehrspielers Richard Adjai gewesen. Der als Bob-Anschieber bekannte Silbermedaillen-Gewinner von Vancouver verletzte sich bei einem vermeintlich harmlosen Tackle und musste mit Verdacht auf Nackenbruch in einen Krankenwagen gehoben werden, der auf das Spielfeld gefahren war. Glücklicherweise wurde hernach "nur" eine Gehirnerschütterung festgestellt.

Ein Spiel dauert aber auch dann besonders lang, wenn es besonders knapp zugeht. Die Schlussminuten dieses Spiels zwischen den abstiegsbedrohten Münchnern und dem Tabellenzweiten aus Hessen gehörte zu den intensivsten, die den Fans in den vergangenen Jahren zugemutet wurden - obwohl, aber auch gerade weil es in dieser Saison oft knapp zugegangen ist in den Heimspielen.

Diesmal hatten die Cowboys das bessere Ende für sich, der Klassenerhalt ist mit diesem dritten Saisonsieg nun sehr wahrscheinlich. "Ich habe in den letzten Sekunden nur gebetet", sagte Cheftrainer Garren Holley. Als Schlüssel zum Erfolg sieht er den Zusammenhalt im Team. "Wenn du ein hartes Jahr hast, dann springen oft viele Spieler ab, sie kommen nicht mehr ins Training. Aber unsere kommen weiter ins Training", sagte er stolz, und sprach bezüglich der Einstellung der Spieler von einem "Kulturwandel" - Misserfolg hatte bei den Cowboys oft zu Zerwürfnissen geführt.

"Schnell, schnell, schnell": Die Taktik von Offensiv-Coach Spencer Wood geht auf

Das Spiel war wie eine Flucht nach vorne, eine Trotzreaktion auf die vielen unglücklichen Umstände, die zur schlechten Tabellensituation beigetragen hatten. "Der Plan war: schnell, schnell, schnell", sagte Offensiv-Coach Spencer Wood. Für den Stadion-DJ wurde es ein anstrengender Tag: Kaum hatte er ein Lied eingespielt, musste er den Regler auch schon wieder herunterdrehen. Normalerweise beraten sich die elf Angriffsspieler vor jedem Spielzug im Kreis, dem so genannten Huddle, welchen einstudierten Spielzug man nun anwenden möchte. Diesmal aber spielten die Cowboys meistens mit einer "No-huddle-Offensive", bei der Wood von der Seitenlinie aus per Zeichensprache hektisch aussehende Befehle gibt. Schon im Hinspiel sei den Marburgern anzumerken gewesen, dass die Abwehr recht früh müde geworden sei, erklärte Wood, diesmal waren sie auch noch stundenlang im Stau gestanden und personell dezimiert.

Es funktionierte: Im Anfangsviertel rollten die Cowboys spektakulär über das Feld und gingen schnell durch einen Lauf von Wilkerson in Führung. Dazu passte es, dass zwei neue, agile Spieler im Kader standen. Calvin Stitt, Engländer und Sohn eines ehemaligen Cowboy-Spielers, wurde gleich bei der ersten Aktion zum umjubelten Helden, als er nach einem komplizierten Trickspiel erfolgreich einen 30-Yard-Pass warf. Wochenlang hatten die Cowboys diesen Spielzug eingeübt.

Doch die Cowboys mussten ihrem eigenen Tempo Tribut zollen: Viele Fehler schlichen sich ein, zunehmend auch in der Abwehr, Raumstrafen und ein verschossenes Field Goal ließen Marburg herankommen. Im Schlussviertel mussten die Cowboys sogar zweimal einem Rückstand hinterherlaufen. Eine Minute vor Schluss trieben sie es dann in Sachen Risiko auf die Spitze. Fabien Gärtner hatte gerade einen Touchdown zum 34:35 erzielt. Ein einfacher Extrapunkt würde ein Remis bedeuten, im Abstiegskampf besser als nichts. Doch daran dachte niemand. "Wir betreiben nicht so viel Aufwand für ein Unentschieden", sagte Holley, ein Zwei-Punkte-Versuch stand also an, ein Scheitern hätte die nächste Niederlage bedeutet. Quarterback Wilkerson täuschte einen Pass an und ächzte sich dann trotz harter Angriffe selbst in die Endzone. Typisch für das Spiel der Cowboys: Beim anschließenden Jubel warf Wilkerson den Ball auf die Tribüne, was mit einer Raumstrafe zugunsten der Gäste im nächsten Spielzug geahndet wird - ein Grund, warum es am Ende noch einmal so spannend wurde.

"Es sind spannende Spiele wie diese, warum ich coache", sagte der unterlegene Gästetrainer Dale Heffron später. Da konnte Holley ihm nur zustimmen. Bei einer erneuten Niederlage hätte er das wohl kaum mehr getan.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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